Pierre Thielbörger ist Spezialist für Öffentliches Recht und Völkerrecht. © Mirko Raatz

Rechtswissenschaft Wie gut das Grundgesetz für die Coronakrise gewappnet ist

Juristen empfehlen eine Anpassung der Verfassung für innere Krisen.

In Zeiten der inneren Krise haben Juristen der RUB dem Grundgesetz auf den Zahn gefühlt: Prof. Dr. Pierre Thielbörger und Benedikt Behlert vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht kommen zu dem Ergebnis, dass die relevanten Regelungen zum inneren Notstand zu unübersichtlich über das Grundgesetz verteilt und wenig krisenfreundlich sind. Das referieren sie in einem Beitrag für verfassungsblog.de, Deutschlands führenden, international renommierten Blog im Bereich des Staatsrechts.

Kompetenzen verlagern, Verfahren vereinfachen

Im Gegensatz zum äußeren Notstand, dem Verteidigungs- oder außenpolitischen Spannungsfall, sei der innere Notstand – konkret durch die Artikel 35 Absatz 2 und 3 des Grundgesetztes (Katastrophenfall) sowie Artikel 91 in Verbindung mit Artikel 87a Absatz 4 des Grundgesetztes (Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes) – nicht ausreichend geregelt und bedürfe einer Anpassung durch den Verfassungsgeber. „Konkret müssten Kompetenzen auf die Bundesebene verlagert werden und Verfahren für die obersten Verfassungsorgane auch in Zeiten des inneren Notstands vereinfacht werden“, sagen Pierre Thielbörger und Benedikt Behlert. „Wie soll der Bundestag mit über 700 Mitgliedern funktionieren, wenn schon kleine Zusammenkünfte als gefährlich gelten?“ Das Grundgesetz sieht solche Regelungen aber nur für den Fall des äußeren Notstands vor.

Benedikt Behlert ist Doktorand am IFHV. © Mirko Raatz

Auch eine explizite Regelung der Einschränkbarkeit oder sogar Aussetzung von Grundrechten, wie sie in internationalen Menschenrechtsverträgen üblich ist, müsse erwogen werden, empfehlen die Experten: nicht um Einschränkungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern um Staat und Volk die Unterscheidung zwischen Normalfall und Extremfall stärker vor Augen zu führen und einer Normalisierung des Krisenzustandes vorzubeugen.

Gesetz steht der Krisenbekämpfung nicht im Wege

Nichtsdestotrotz stehe die Verfassung in ihrer jetzigen Form einer effektiven Bekämpfung der Coronakrise nicht im Wege. „Sie setzt aber Solidarität und Vertrauen auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel zwischen Bund und Ländern, zwischen den Fraktionen im deutschen Bundestag und zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen, sowie vor allem die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger voraus, auf eigene Freiheiten und ökonomischen Wohlstand zugunsten vulnerabler Gruppen temporär zu verzichten“, erklären Thielbörger und Behlert. „Was aber, wenn in einer zukünftigen Krise eine derartige Bereitschaft nicht mehr besteht?“

Veröffentlicht

Montag
23. März 2020
11:33 Uhr

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