Kunstgeschichte Ein virtueller Besuch im Halberstädter Dom

Und was daran so außergewöhnlich war für die Studentinnen und Studenten eines kunstgeschichtlichen Seminars an der RUB.

Glück im Unglück. Auf den Besuch des Halberstädter Doms im Sommersemester 2020 hatten sich die Studentinnen und Studenten des kunsthistorischen Seminars „Mittelalterliche Kirchenschätze einst und heute. Das Beispiel Halberstadt“ lange gefreut. Dann kam Corona. Und wie so viele andere Dinge musste die Exkursion in den Harz ausfallen. Das gleiche galt für die gemeinsamen Kurstreffen; Seminarleiter Prof. Dr. Ulrich Rehm vom Kunstgeschichtlichen Institut verlegte den Kurs auf Moodle und Zoom.

Ulrich Rehm, Professor am Kunstgeschichtlichen Institut, leitete das Seminar. © Privat

Dann die Überraschung: Die Hüterinnen und Hüter des Domschatzes gewährten dem Kurs statt vor Ort nun per Film einen Blick auf die wertvollen Halberstädter Reliquien und Kunstschätze. Extra für die Bochumer Studierenden öffneten sie sogar den sogenannten Heiltumsschrein. Dieser Schrein, in dem früher Reliquien aufbewahrt wurden, bleibt normalerweise verschlossen. Auch während der ursprünglich geplanten Exkursion wäre er verschlossen geblieben.

Der Schrein

Der Heiltumsschrein im Halberstädter Dom ist ein hoher, tonnenschwerer Schrank aus dem frühen 16. Jahrhundert. Er beherbergte bis in das 19. Jahrhundert hinein den Reliquienschatz des Domes auf, also die Gebeine von Heiligen. „In dieser Zeit glaubte man an die Anwesenheit der Heiligen noch in ihrem kleinsten Körperpartikel“, erklärte Claudia Wyludda, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Doms, kürzlich der Süddeutschen Zeitung. Daher habe man damals im Inneren des Schreins eine Art Heiligenhimmel mit blauer Farbe im Hintergrund und aufgesetzten vergoldeten Zinnsternen geschaffen. An hohen Festtagen wurde der Schrank geöffnet, sodass das Heiltum zu sehen war. Die Reliquien und der Schrein sind heute in der Schatzkammer des Doms zu besichtigen.

„Während sich die Studierenden über Moodle mit den Objekten und ihrem Stellenwert innerhalb der Geschichte des Schatzes auseinandersetzten, arbeiteten im Domschatz Kunsttechnologen“, erklärt Ulrich Rehm. „Es wurden Filme über ihre Untersuchungen an den Objekten gedreht, die dann unserem Seminar zur Verfügung gestellt wurden. Mehr noch: Die Studierenden konnten Wünsche an die Direktion und die Restauratoren äußern, was sie gerne genauer obduzieren wollten. Auf diese Weise haben wir zum Beispiel detaillierte Film-Einblicke in den sogenannten Karlspokal – ein Reliquiar mit einer Schädelreliquie Karls des Großen – erhalten.“

Victoria Boricza studiert im dritten Mastersemester Geschichte und Kunstgeschichte. © Privat
Victoria Boricza studiert im dritten Mastersemester Geschichte und Kunstgeschichte.

Im Mittelpunkt des Seminars stand allerdings der gesamte Halberstädter Domschatz. Seit über 1.000 Jahren angewachsen, zählt er mit seinen rund 650 Objekten zu den bedeutendsten mittelalterlichen Kirchenschätzen überhaupt. „Was wir heute als Sammlung wertvoller Kunstobjekte aller mittelalterlichen Gattungen wie beispielsweise Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei oder Textilkunst klassifizieren und als Eigentum einer großen Kulturstiftung museal inszeniert vorfinden, kam ursprünglich unter ganz anderen Maßgaben zusammen“, erklärt Ulrich Rehm. „Welches Wissen und welche Praktiken sich seinerzeit mit ihnen verbanden, lässt sich zum Teil heute noch an den Objekten und ihrer Umgebung selbst nachvollziehen.“

Rebecca Neumann stammt selbst aus dem Harz. © Privat

Kooperationspartner

Hilfreich für die gute Kooperation mit dem Dom, über die vielfach in der Presse berichtet wurde, war der Umstand, dass die Museumsleiterin des Doms, Dr. Uta-Christiane Bergemann, langjährige Lehrbeauftragte der RUB ist. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen nahm sie Ende Juni auch einer abschließenden Videokonferenz mit den Bochumer Studierenden teil.

Im Seminar untersuchten die Studierenden, welche Vorstellung von Kirchenschatz in den mittelalterlichen Jahrhunderten mit der Ansammlung der Objekte verbunden wurde, wie sich die Auffassung von Schatz und Schatzobjekt im Laufe der Jahrhunderte wandelte und welchen Anteil die Objekte selbst und der Umgang mit ihnen womöglich an solchen Entwicklungen hatten. „Schließlich steht immer wieder die Frage im Hintergrund: Welche kunsthistorische und welche gesellschaftliche Relevanz hat ein Kirchenschatz wie dieser heute und in Zukunft?“, sagt Ulrich Rehm.

Interview mit Teilnehmerinnen des Seminars

Wir haben mit drei Studentinnen über ihre Erfahrungen und Eindrücke im Seminar gesprochen: Rebecca Neumann, Tabea Rauth und Victoria Boricza.

Was war Ihr Hauptgrund, das Seminar zu wählen?
Rebecca Neumann: Ich komme ursprünglich aus dem Harz und habe mich bereits viel mit der regionalen Geschichte auseinandergesetzt und wollte mein Wissen noch weiter vertiefen.

Tabea Rauth: Ich habe das Seminar gewählt, weil ich mich für die Exkursion interessiert habe und ich mich bis dato noch nicht mit der Halberstädter Domgeschichte und dem Domschatz auseinandergesetzt habe.

Victoria Boricza: In meinen beiden Studienfächern Geschichte und Kunstgeschichte interessiere ich mich für das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Ich hatte bisher nie die Gelegenheit, mich mit Kunsthandwerk und Reliquienschätzen zu beschäftigen. Deshalb erschien mir dieses Seminar besonders attraktiv.

Wie groß war die Enttäuschung, dass die Exkursion ausfiel?
Rebecca Neumann: Den Kurs habe ich erst belegt, als Corona bereits aktuell war. Deshalb hat es mich wenig überrascht, dass die Exkursion ausfallen musste. Trotzdem wäre ich gerne nach Halberstadt gefahren – vielleicht werde ich das demnächst nachholen, schließlich sind Besuche im Domschatz wieder möglich.

Tabea Rauth: Natürlich war die Enttäuschung groß, da ich sehr gerne am Objekt selbst arbeite. Dadurch intensiviert sich einerseits die Forschung am einzelnen Objekt, andererseits der Gesamteindruck einer so umfangreichen Sammlung, wie sie in Halberstadt vorzufinden ist.

Eine Exkursion wird zwar von Seiten des Seminars nicht nachgeholt, doch hat die Museumsleitung uns alle herzlich zu einem Forschungsaufenthalt in Halberstadt eingeladen. Ich kann mir gut vorstellen, das Angebot anzunehmen, da ich besonders den Kirchenraum mit seiner Ausstattung als Ganzes wahrnehmen möchte.

Victoria Boricza: So wie das Seminar ursprünglich aufgebaut war, stellte die Exkursion ein besonderes Highlight dar. Die Enttäuschung war dementsprechend groß.

Wie lief der Kurs online?
Rebecca Neumann: Überraschend gut, auch wenn uns der Hacker-Angriff natürlich einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Kommunikation zwischenzeitlich nur sehr erschwert funktioniert hat. Seitdem sich das wieder eingependelt hat, läuft es sehr gut.

Tabea Rauth: Wir haben uns sowohl mit dem Domschatz als auch der erweiterten Ausstattung des Doms, Triumphkreuzgruppe und bemaltes Holzmobiliar, auseinandergesetzt. Die Objekte wurden als Einzelthemen auf die Studierenden verteilt, die dann zunächst ein wissenschaftliches Paper formuliert und auf der Plattform Moodle hochgeladen haben. Wir haben die Texte gegenseitig korrigiert und jeder Studierende erarbeitet nun aus den fertiggestellten Papers einen Essay, der unsere Arbeit mit und über den Domschatz zusammenfassen soll.

Victoria Boricza: Ich fand den Onlinekurs unter diesen Umständen erstaunlich produktiv, leider fehlten die anregenden Diskussionen, die sonst in Seminarräumen aufkommen.

Was haben Sie aus dem Seminar mitgenommen?
Rebecca Neumann: Während der Recherchen fand ich es sehr spannend, wie die neu angekommenen Heiltümer zu einem stetigen Ausbau des Doms geführt und somit auch maßgeblich seine Architektur beeinflusst haben.

Besonders gut hat mir auch gefallen, dass wir mit der Leiterin des Domschatzes in Kontakt standen und sogar eine Videokonferenz mit ihr abhalten konnten, nachdem einige Reliquiare, also die Behältnisse, in denen Reliquien aufbewahrt werden, für uns geöffnet und gefilmt worden sind.

Es hat mich außerdem wirklich erstaunt, wie umfangreich der Domschatz in Halberstadt ist und dass viele Heiltümer während des vierten Kreuzzugs im Hochmittelalter den weiten Weg aus dem Nahen Osten hierher gefunden haben. Interessant fand ich auch, dass die eigentlich katholischen Heiltümer trotz des Zusammenlebens der gemischten Konfessionen nach der Reformation in den Messen und zu bestimmten Feiertagen weiterhin Verwendung fanden.

Tabea Rauth: Für mich persönlich war das Arbeiten im Homeoffice, also das Selbststudium, auch in diesem Kurs, sehr intensiv und produktiv. Ich war überrascht, wie gut ich zurechtkam und wie problemlos die Kommunikation zwischen den Kommilitoninnen und Kommilitonen und dem Dozenten funktioniert hat.

Victoria Boricza: Das Engagement der Externen, insbesondere der Leitung des Halberstädter Domschatzes, war sehr erfreulich und unerwartet. Dass uns so viel ermöglicht wurde war sehr schön. Mich würde im Nachgang interessieren, wie die Leitung mit einem möglicherweise auch schwierigen Erbe umzugehen versucht, Stichwort Reliquienraub.

Tabea Rauth empfand das Homeoffice als sehr intensiv und produktiv. © Privat

Veröffentlicht

Dienstag
07. Juli 2020
09:52 Uhr

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