Interview Wie man einen Krieg nacherzählt
Elena Lewers twittert zusammen mit 31 anderen Studierenden ein Jahr lang über den deutsch-französischen Krieg 1870/71.
Elena Lewers, Absolventin des RUB-Masterstudiengangs Public History, nimmt zurzeit am Projekt „Kriegsgezwitscher – Twitterprojekt zum Krieg 1870/71“ teil. Darin wird zwischen Sommer 2020 und Sommer 2021 der deutsch-französische Krieg minutiös und stets exakt 150 Jahre nach den Ereignissen nacherzählt. Im Interview berichtet sie über die Projektarbeit.
Frau Lewers, warum haben Sie beim Projekt mitgemacht?
In meinem Studiengang Public History geht es darum, sich die Aufbereitung von Geschichte in der Öffentlichkeit anzuschauen. Durch das Seminar habe ich die Gelegenheit gesehen, selbst daran mitzuwirken und mich historischen Inhalten aus der Perspektive von Produzentinnen und Produzenten zu nähern.
Leider musste die Exkursion nach Versailles und Sedan abgesagt werden.
Wurde das Format wegen Corona geändert?
Leider musste eine geplante Exkursion, unter anderem an die kriegswichtigen Orte Versailles und Sedan, abgesagt werden. Auf der Exkursion sollte weiterer Content für Twitter gesammelt werden. Außerdem sollte ein Seminar stattfinden, das stattdessen komplett online und ohne Sitzungen abgehalten wurde.
Wie erfolgte die Auswahl der Menschen, aus deren Sicht der Krieg erzählt wird?
Die Themen wurden von Prof. Dr. Tobias Arand und Prof. Dr. Christian Bunnenberg ausgewählt. Dazu zählen nicht nur Akteure wie Johann Zeitz, der seine Söhne, sie sind Soldaten, auf den Schlachtfeldern sucht und sich von ihnen verabschieden möchte, sondern auch übergreifende Themen wie Militär, Reichseinigung oder Kriegsverlauf. Für die einzelnen Akteure oder Themen konnten die Studierenden sich dann melden. Grundlage war die Monographie „1870/71“ von Tobias Arand aus dem Jahr 2018 sowie weiteres themenspezifisches Quellenmaterial.
Umformuliert haben wir die Quellentexte nicht.
Wurden Quellentexte umformuliert?
Hier kann ich nur für meine Gruppe sprechen, gehe aber davon aus, dass es in anderen Gruppen ebenso gehandhabt wurde. Umformuliert haben wir die Quellentexte nicht, wir haben sie meistens zusammengefasst und bei wörtlichen Zitaten gegebenenfalls Auslassungen vorgenommen. Wortlaut und Rechtschreibung wurden aus der Vorlage übernommen. Es wurde auch über Quellen diskutiert, in denen Gewalt sehr explizit thematisiert wird, und ob diese Auszüge abgeschwächt werden sollten. Es wurde sich aber sehr schnell darauf geeinigt, dass das nicht gemacht wird, da die Quellen die Perspektive der Zeitgenossen ausdrücken.
Wie lange dauerte die Vorbereitung?
Begonnen haben wir im April 2020, abgeschlossen sein wird das Projekt im Sommer 2021. Zunächst mussten die Quellen gesichtet, dann Tweets formuliert und am Ende bei Tweetdeck oder Autochirp eingestellt werden. Im Endeffekt würde ich den Aufwand mit einem Hauptseminar, wie ich es aus dem Geschichtsstudium kenne, vergleichen. Nur war das Ergebnis keine Hausarbeit, sondern knapp elf Seiten Tweets.
Wie erfolgt die Abstimmung, wer wann welchen Tweet veröffentlicht?
Jede Gruppe füllte eine Excel-Tabelle aus und trug dort ungefähren Inhalt, beteiligte Personen und Zeitpunkt der Tweets ein. Danach wurden die Tabellen aller Beteiligten zusammengefügt und eine sehr, sehr lange Tabelle – mit, ich glaube, über 2.000 Zeilen – erstellt, in der man sehen konnte, welche Gruppe wozu Tweets verfasst und ob sich das mit eigenen Tweets überschneidet. Außerdem haben wir geschaut, mit welchen Gruppen sich generell Überschneidungen ergeben könnten und haben uns darüber ausgetauscht, wer welchen Tweet wozu macht und welche Gruppe ihre Tweets gegebenenfalls löscht.
Spannend sind die Streitereien zwischen König Wilhelm I. und Bismarck über den Kaisertitel.
Gehen einem die sehr menschlichen Schicksale schon mal nahe?
Das Thema meiner Gruppe war Reichseinigung, Friedens- und Waffenstillstandsverhandlungen. Dabei kamen wir wenig mit menschlichen Schicksalen in Berührung, eher mit dem politischen Ränkeschmieden im Hintergrund. Unterhaltsam ist zum Beispiel der Brief von Bismarck, der Anfang September an seine Frau schreibt, dass er morgens um fünf Uhr „ungewaschen und ungefrühstückt“ nach Sedan ritt, weil Napoleon III. nach ihm verlangt hatte. Spannend sind auch die ständigen Streitereien zwischen König Wilhelm I. und Bismarck über den Kaisertitel, wobei der König dem Druck aber schließlich nachgab.
Jetzt lese ich die Tweets anderer Gruppen, die einen tieferen Eindruck vom Geschehen auf den Schlachtfeldern und teilweise sehr grausige Bilder vermitteln. Dadurch lerne eine ganze andere und menschlichere Seite des Krieges kennen. Wenn zum Beispiel Abschiede von Familien thematisiert werden, kann es sehr berührend sein. Schon allein dadurch, dass ich mir als Mensch des 21. Jahrhunderts, dem es ziemlich gut geht und der keine persönlichen Erfahrungen mit Krieg gemacht hat, das Grauen und den Schrecken dieser Zeit gar nicht vorstellen kann, wirkt es auf mich beklemmend und lässt mich nachdenklich werden, da es auch heute genug Menschen gibt, die Kriegserfahrungen machen (müssen).