Biologie Sexuelle Vermehrung ohne Paarung
Hutpilze können auch ohne einen Partner Fruchtkörper ausbilden. Dies begründet eine seit Jahrzehnten ungeklärte Frage: Gibt es sexuelle Vermehrung bei Hutpilzen ohne Paarung?
Samthauben im weiteren Sinne heißen die Pilze, welche ein Team der Biologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) auf ihre Strategien der sexuellen Vermehrung hin untersucht hat. Neben der europäischen Samthaube (Cyclocybe aegerita) verfügt auch deren pazifische Verwandte, die Parasitische Samthaube (Cyclocybe parasitica), über die für Hutpilze außergewöhnliche Fähigkeit, im Alleingang komplexe multizelluläre Strukturen zur sexuellen Vermehrung auszubilden. Diese Fruchtkörper werden normalerweise als gemeinschaftliche Leistung zweier Sexualpartner gebildet. Hannah Enders und Dr. Florian Hennicke beschreiben die genaue Anatomie dieser Strukturen der Parasitischen Samthaube in der Fachzeitschrift „Journal of Fungi“ vom 19. Mai 2021.
Ein essbarer Wildpilz
Der Pilz Cyclocybe parasitica befällt unter anderem den in Neuseeland holzwirtschaftlich relevanten Tawa-Baum (Beilschmiedia tawa). Er ist im pazifischen Raum weit verbreitet und den Maori, den Ureinwohnern Neuseelands, seit langem als essbarer Wildpilz unter dem Namen „Tawaka“ bekannt.
Biologiestudentin Hannah Elders hat, betreut von Dr. Florian Hennicke am Lehrstuhl Evolution der Pflanzen und Pilze, das Sexualverhalten des Tawaka-Pilzes untersucht. Die beiden Forschenden konnten zeigen, dass der pazifische Tawaka wie sein europäischer Verwandter, die ebenfalls essbare Samthaube (Cyclocybe aegerita), eine der sexuellen Vermehrung zweier Partnerindividuen vorbehaltene komplexe Struktur, den sogenannten Fruchtkörper, im Alleingang eines kompetenten Partners ausbilden kann. Der Fachbegriff dafür ist das monokaryotische Fruchten im engeren Sinne.
Schwesterstämme können auch solo Fruchtungsstrukturen bilden
Elders und Hennicke haben nicht nur einen kompetenten Stamm dieses Pilzes identifiziert, der nahezu vollständig entwickelte Fruchtkörper ausbilden kann. Sie charakterisierten zudem Schwesterstämme, die in unterschiedlichem Maße dazu fähig waren, Vorstufen dieser Fruchtkörper auszubilden, von denen eine Vorstufe, der sogenannte stromatische Typ, bisher nur von Konsolenpilzen – auch Baumschwämme genannt – bekannt war. Darüber hinaus gelang es mittels Gewebeschnitttechnik und -mikroskopie, die genauen anatomischen Unterschiede zwischen den komplexen multizellulären Strukturen dieser Schwesterstämme aufzuklären.
„Die Ergebnisse der Arbeit sind auch reproduktionsbiologisch interessant, da sie eine seit Jahrzehnten ungeklärte Frage der Pilzforschung in einem neuen Kontext betrachtet: die Frage, ob in der Natur Samthauben-Populationen vorkommen, deren Hauptvermehrungsstrategie auf dem monokaryotischen Fruchten im engeren Sinne beruht“, so Florian Hennicke. Außerdem diskutieren sie die Frage, inwiefern diese Art der Vermehrung Hutpilzen eine höhere ökologische Fitness gewähren kann, über eine trotz Abwesenheit eines Paarungspartners stattfindende Rekombination der Erbinformation. Eine so vermittelte höhere ökologische Fitness kann zum Beispiel eine Ansiedlung in einem vorher ungeeigneten Lebensraum erlauben, so wie es normalerweise die zweigeschlechtliche Fortpflanzung mit Paarung ermöglicht.