Nachts allein unterwegs zu sein, ist eine angstbesetzte Situation für viele – zurecht?
© Damian Gorczany

Kriminalität Gibt es wirklich immer mehr Verbrechen?

Besonders gefährlich ist es nachts auf dunklen Wegen, und überhaupt hat die Kriminalität in den vergangenen Jahren zugenommen – das meinen viele. Aber stimmt es auch?

Nachts im Dunkeln ganz alleine nach Hause zu gehen – beim Gedanken daran kann einen ein mulmiges Gefühl beschleichen. Wer es verspürt, dem geht es wie etwa der Hälfte der Bochumer Bürgerinnen und Bürger, die 2016 an einer Befragung teilgenommen haben, die das sogenannte Dunkelfeld erhellen soll. Diese Befragung hat Prof. Dr. Thomas Feltes, inzwischen pensionierter Professor für Kriminologie an der RUB, durchgeführt. Vergleichbare Studien gab es an diesen Lehrstuhl seit 1976 mehrfach. Er kann somit über einen Zeitraum von 40 Jahren vergleichen, wie es in den Köpfen der Leute und in der Statistik der Polizei mit der Bedrohung durch kriminelle Taten aussieht. Und er weiß: In Bochum ist es besser, als man glaubt.

Obwohl die tatsächlich erlebte und in unseren Studien von Opfern berichtete Kriminalität gegenüber 1998 deutlich zurückgegangen ist, gehen die Befragten von einem zum Teil starken Zuwachs der Kriminalität aus.


Thomas Feltes

So überschätzten die Befragten 2016 die Häufigkeit von Mord und Totschlag um den Faktor 125. Ähnlich sieht es für Raub aus, der laut Statistik nur 0,7 Prozent aller aktenkundigen Delikte ausmacht, aber von den Befragten bei geschätzten 30 Prozent liegt. „Obwohl die tatsächlich erlebte und in unseren Studien von Opfern berichtete Kriminalität gegenüber 1998 deutlich zurückgegangen ist, gehen die Befragten von einem zum Teil starken Zuwachs der Kriminalität aus, wobei sie die Häufigkeit insbesondere schwerer Straftaten deutlich überschätzen“, berichtet Feltes. Während nur jeder zehnte Teilnehmer der Befragung in den vorangegangenen zwölf Monaten Opfer eines Diebstahls geworden war, befürchtete mehr als jeder dritte, im darauffolgenden Jahr Opfer zu werden. 1,6 Prozent haben es erlebt, beraubt zu werden. Fast 25 Prozent befürchten, es demnächst zu werden. Und apropos Angst nachts im Dunkeln: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, insbesondere einer Körperverletzung oder eines Sexualdelikts, ist in den eigenen vier Wänden um ein Vielfaches höher als in der Öffentlichkeit.

Was könnten die Gründe für diese verzerrte Wahrnehmung sein? „Die Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen gesehen werden“, meint Thomas Feltes. Das zunehmende Auseinanderklaffen von Arm und Reich, die Abwendung von der Politik aus Frustration, der Verlust des Glaubens an die Gesellschaft und die Demokratie münden in eine diffuse Angst. Soziale Medien verunsichern zusätzlich, Einsamkeit macht anfällig für Ängste. In der Überschätzung der Kriminalität sieht Feltes ein Ventil: „Die Menschen verlagern ihre allgemeinen gesellschaftlichen Ängste in einen konkreten, wie man glaubt definierbaren Bereich.“ Berichte über organisierte Kriminalität, Banden, Clans und Skandale wie die Wirecard-Affäre trügen zu einem Gefühl der Bedrohung bei.

Den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken

Den Schlüssel zur Bekämpfung der Angst sieht der Jurist darin, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. „Die Politik sollte sich stärker um die nachbarschaftlichen und stadtteilbezogenen Ängste und Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger kümmern. Menschen, die das Gefühl haben, dass sie mit ihren Ängsten und Problemen wahrgenommen werden, fühlen sich sicherer und wohler.“

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Veröffentlicht

Freitag
29. April 2022
09:13 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. Mai 2022 in Rubin 1/2022 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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