Paläontologie So lebten ausgestorbene Meerestiere
Ammoniten lebten bis vor 65 Millionen Jahren auf der Erde. René Hoffmann möchte wissen, wie dieses Leben aussah. Mit hochauflösender Röntgenstrahlung untersucht er das, was heute noch von den Ammoniten zu finden ist.
Vor rund 400 Millionen Jahren traten auf der Erde erstmals Ammoniten in Erscheinung. Gemeinsam mit den Muscheln und Schnecken gehörten sie zu den Weichtieren. Auf den ersten Blick ähneln sich Ammoniten und Schnecken dadurch, dass bei beiden der Weichkörper in einem spiralig aufgewundenen Gehäuse steckt. Aber im Gegensatz zu Schnecken mit Gehäuse, die am Meeresboden kriechen, konnten Ammoniten mithilfe ihres Gehäuses schwimmen. So lautet jedenfalls eine Theorie.
Dr. René Hoffmann vom Lehrstuhl Paläontologie will wissen, ob es wirklich so war. Dafür bedient er sich einer Methode, die typischerweise in der Medizin Einsatz findet: der Computertomografie (CT). Im Gegensatz zu vielen anderen Forscherinnen und Forschern setzt er das Verfahren aber nicht nur ein, um die Struktur von Fossilien dreidimensional sichtbar zu machen, sondern auch für quantitative Analysen. Damit kann er zum Beispiel anhand der CT-Bilder das Volumen des Gehäuses bestimmen.
Neben einer französischen Gruppe ist er weltweit bislang der einzige, der Kopffüßer auf diese Weise erforscht. Er möchte bestimmen, ob die Ammoniten mit einem gasgefüllten Gehäuse genug Auftrieb erzeugen konnten, um ihr Eigengewicht zu überwinden und sich so im Wasser frei zu bewegen – ähnlich wie der heute noch lebende Nautilus.
Das Nautilusgehäuse enthält mehrere Kammern, aus denen das Tier das Wasser herauspumpt, so dass gasgefüllte Räume entstehen. Diese verleihen ihm genug Auftrieb, um zu schwimmen, ohne viel Energie aufzubringen. Auch die Ammonitengehäuse waren gekammert und könnten die gleiche Funktion erfüllt haben.
Aber konnten die Tiere mit ihren Gehäusen genug Auftrieb erzeugen, um zu schwimmen? Mit seinen Kollegen berechnet René Hoffmann die Antwort auf diese Frage. Der Auftrieb ist abhängig von der Masse des Körpers, dem Volumen der verdrängten Flüssigkeit und der Dichte dieser Flüssigkeit – im Fall der Ammoniten also Meerwasser. Wie aber bestimmt man Gewicht und Volumen eines Tieres, dessen Überreste nur noch als Fossil existieren?
Ammoniten im Computertomografen
Hoffmanns Idee: Mittels Röntgenstrahlung lässt sich die innere Struktur eines Fossils exakt rekonstruieren, ohne dass man es dafür zerstören muss. Anhand von computertomografischen Bildern sollte es möglich sein, das Volumen des Gehäuses zu bestimmen. Aus dem Volumen und der Dichte des Gehäusematerials lässt sich außerdem das Gewicht berechnen. Damit wären alle Daten über das Gehäuse vorhanden, um dessen Auftrieb zu ermitteln.
Ein Wert fehlte aber noch: das Gewicht des Weichkörpers. In den Versteinerungen ist nur das Kalkgehäuse erhalten, nicht das eigentliche Tier. Neben dem gekammerten Bereich besitzt die Schale eine nicht unterteilte große Wohnkammer, in der sich der Weichkörper befand. Mit etablierten Methoden und Beobachtungen am rezenten Nautilus lässt sich die Masse des Körpers basierend auf dem Volumen der Wohnkammer schätzen.
Ganz so einfach, wie es klingt, war die Analyse aber nicht. Denn von den ersten Fossilien-Röntgenbildern bis hin zu verlässlichen Zahlenwerten war es ein weiter Weg. Er begann in einer Kleintierklinik. „Mein Betreuer Prof. Helmut Keupp von der Freien Universität Berlin hatte dort 2005 an der Einweihung eines neuen Computertomografen teilgenommen“, erzählt René Hoffmann. „Ganz zufällig hatte er einen versteinerten Ammoniten dabei und fragte, ob er den nicht einmal hineinlegen dürfte“.
Von diesem Termin brachte Helmut Keupp Bilder des Fossils mit recht geringer Auflösung zurück, die sich nicht für eine quantitative Auswertung eigneten. Zu wenig Details waren auf den Aufnahmen zu erkennen. Ein weiteres Problem: Viele Fossilien sind mit Sediment gefüllt, oder es wachsen nachträglich Kristalle in den Hohlräumen des Gehäuses, die aus dem gleichen Material bestehen wie das Gehäuse, also Kalziumkarbonat. Auf dem Röntgenbild sind diese Ablagerungen nicht von der eigentlichen Schale zu trennen, somit ist es unmöglich, deren Gewicht zu ermitteln.
Auf der Suche nach hohlen Fossilien
Unter bestimmten Bedingungen entstanden jedoch hohle fossile Ammoniten, nämlich wenn die Tiere schnell eingebettet wurden und dann einige Millionen Jahre unberührt blieben. „Das ist aber so selten, dass ich es in Kauf genommen habe, weltweit herumzureisen, um wenigstens ein paar Exemplare zu bekommen“, erzählt Hoffmann.
In Japan und Russland hatte er Erfolg, auch wenn er sich manchmal bürokratischen Hürden geschlagen geben musste. „In Russland habe ich einen kindskopfgroßen hohlen Ammoniten aufgetan“, so der Forscher, „aber ich hatte nur eine Ausfuhrgenehmigung für sieben Kilogramm. Deswegen durfte ich ihn nicht mitnehmen.“ Schließlich wurde René Hoffmann aber auch in der Heimat fündig, genauer in Norddeutschland.
Um eine möglichst gute Bildauflösung zu erreichen, reiste Hoffmann mit seinem Kollegen Florian Fusseis (Edinburgh) zu einem Teilchenbeschleuniger in der Nähe von Chicago, der Synchrotron-Strahlung produziert, also monochromatische, kontrastreiche Röntgenstrahlung. Bei einer Auflösung von 0,74 Mikrometern konnten die Bochumer Forscher auch winzige Strukturen sichtbar machen. 48 Stunden ohne Pause scannten sie eine ganze Reihe von Proben, und reisten schließlich mit hoch aufgelösten Bildern von Ammonitengehäusen zurück.
Heute ist dieser Aufwand nicht mehr nötig, weil die Technik so weit vorangeschritten ist, dass neueste Mikro-Computertomografen eine Auflösung von 0,5 Mikrometern bei vergleichbarer Bildqualität erreichen.
Anhand der ersten Daten konnte René Hoffmann die Frage zur Lebensweise der Ammoniten aber noch nicht beantworten. Zunächst musste er zeigen, dass sein Verfahren prinzipiell funktioniert. Für diesen Zweck erstellte er per Computertomografie am Steinmann-Institut der Universität Bonn eine 3D-Rekonstruktion eines Nautilusgehäuses.
Da die Tiere noch leben und nicht nur in versteinerter Form vorliegen, konnte er das Gehäuse einfach auf die Waage legen und das so ermittelte Gewicht mit dem Ergebnis aus der Analyse der Röntgenbilder vergleichen. Die Aufnahmen analysierte der RUB-Forscher mit einer speziellen 3D-Software, mit der er festlegen kann, welche Bildbereiche zum Gehäuse gehören und welche nicht. Aus den Daten lässt sich dann das Volumen bestimmen.
Mithilfe der Dichte von Kalziumkarbonat – dem Material, aus dem die Schale besteht – berechnete Hoffmann außerdem das Gewicht des gesamten Gehäuses. „Im ersten Anlauf hat das nicht so gut funktioniert“, erinnert er sich. „Ich habe 235 Gramm herausbekommen, habe das Nautilusgehäuse auf die Waage gelegt, und es wog nur 175 Gramm. Da bin ich nervös geworden, denn das kann man natürlich nicht als präzise Methode publizieren.“
Die Fehlersuche begann, und das Problem wurde gefunden: Computertomografische Aufnahmen liegen zunächst nur in Graustufen vor. Für die Bildauswertung musste Hoffmann also definieren, welche Grauwerte in den CT-Bildern das Gehäuse repräsentieren und welche den Hintergrund. Dafür gab es kein objektives Kriterium. „Jeder Bearbeiter würde den Grauwertebereich also anders festlegen“, erklärt der Paläontologe. Eine verlässliche Definition musste her.
In Zusammenarbeit mit der „TPW Prüfzentrum GmbH“ aus Neuss scannte René Hoffmann erneut ein Nautilusgehäuse, diesmal gemeinsam mit verschiedenen Hochpräzisionsobjekten aus Aluminiumoxid, Silikat und Kalziumkarbonat. Dimensionen, Dichte, chemische Zusammensetzung und Volumen dieser Objekte waren exakt bekannt. Anhand der CT-Bilder dieser Gegenstände konnte der Grauwertebereich exakt bestimmt werden, am besten funktionierte das mit der Silikatkugel.
Computeranalyse und Waage stimmen überein
Die Computerauswertung ergab als Gewicht für die Nautilusschale 200,46 Gramm; die Waage 203,5 Gramm – ziemlich nah dran. Also wagte sich Hoffmann gemeinsam mit RUB-Doktorand Robert Lemanis an die Ammoniten-Analyse. Dazu diente ein gerade einmal 0,98 Millimeter großes hohles Fossil aus Russland, das rund 165 Millionen Jahre alt ist. Es handelte sich um einen sehr jungen Ammoniten, der, kurz nachdem er geschlüpft war, ins Sediment eingebettet wurde.
Eine Theorie besagt, dass solche Schlüpflinge als Teil des Planktons an der Wasseroberfläche schwammen. Eine andere behauptet, dass die Jung- und Alttiere dafür nicht genug Auftrieb hatten und deshalb am Boden gelebt haben müssen.
Die Bochumer Auswertung spricht für die erste Theorie. Ein Schlüpfling mit drei bis fünf Gehäusekammern hätte positiven Auftrieb erzeugt. Selbst mit nur einer gasgefüllten Kammer wäre das Tier nicht zu einem Leben am Boden verdammt gewesen, sondern hätte sich mit aktiven Schwimmbewegungen im Wasser frei bewegen können – nach dem Rückstoßprinzip wie der Nautilus.
Ergebnisse stützen Theorie von schwimmenden Ammoniten
Bleibt die Frage, wie viele Kammern der Schlüpfling denn nun wirklich hatte. Das Fossil, das Hoffmann und Lemanis untersuchten, besaß elf Kammern. Wie viele davon bereits zum Zeitpunkt des Schlüpfens existierten, ist heute nicht mehr zu sagen. Denn je älter ein Ammonit wurde, desto größer wurde der Weichkörper und desto mehr Gehäusekammern baute das Tier an, um das zusätzliche Gewicht zu kompensieren.
Aber René Hoffmann ist überzeugt, dass die Ergebnisse zusammen mit weiteren Indizien dafür sprechen, dass schon frisch geschlüpfte Ammoniten schwimmen konnten – man findet zum Beispiel nie Kriechspuren in der Nähe der versteinerten Gehäuse. Er wird mehr Gehäuse mit der Computertomografie untersuchen und der Frage weiter nachgehen. Aber auch andere Rätsel um das Ammonitengehäuse treiben den RUB-Forscher um. Zum Beispiel die Frage, warum diese Tiere im Gegensatz zu Nautilus sehr kompliziert aufgebaute Kammerwände besaßen. Vielleicht wird der Röntgenblick die Antwort bringen.