Chancen Was Karrieren in der Wissenschaft erschweren kann
Im Interview erzählt Wissenschaftlerin und Gleichstellungsbeauftragte Wanda Gerding, welche Hürden sie während ihrer Karriere nehmen musste und was es braucht, diese in Zukunft abzubauen.
Dr. Wanda Gerding erzählt zum Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft am 11. Februar, warum sie sich für Wissenschaft begeistert und wie sie sich als Gleichstellungsbeauftragte für mehr Vielfalt in der Forschung einsetzen möchte.
Frau Gerding, Sie sind Neurowissenschaftlerin und Humangenetikerin. Was hat Sie in die Wissenschaft gebracht? Was war Ihre Motivation?
Wanda Gerding: In der Wissenschaft zu arbeiten ist eine große Bereicherung – weil es keinen Stillstand gibt, sondern es immer weiter nach vorne geht. Wenn eine Forschungsfrage beantwortet werden kann, ergeben sich daraus wie von selbst viele weitere spannende Fragen, die erforscht werden können.
In der Wissenschaft wird es einfach nie langweilig, und das ist meine größte Motivation. Es gibt die Möglichkeit, immer neue Dinge dazuzulernen und das lebenslange Lernen beschränkt sich nicht nur auf Wissenszuwachs allein, sondern zum Beispiel auch auf die Anwendung vieler unterschiedlicher Methoden, die sich wiederum auch ständig weiterentwickeln und dabei helfen, Forschungsfragestellungen bearbeiten und beantworten zu können. Meine Mentor*innen haben damals den Funken überspringen lassen und mich mit ihrer Freude an der Forschung angesteckt und dies ist bis heute so geblieben.
Es ist wichtig, dass Wissenschaft nicht ausschließlich als Berufung, sondern auch als Beruf verstanden wird.
Wanda Gerding
Gab es Hürden? Wenn ja, welche?
Gerding: Natürlich gab es auch immer wieder Hürden – berufliche Hürden können meiner Meinung jedoch nicht allein auf das Wissenschaftssystem zurückgeführt werden. Als Wissenschaftler*in zu arbeiten wird allerdings häufig als Berufung verstanden – damit es neben Sorgeaufgaben, wie Kinderbetreuung, auch möglich ist, wissenschaftlich arbeiten können, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass Wissenschaft nicht ausschließlich als Berufung, sondern auch als Beruf verstanden wird.
Mittel einzuwerben und Ergebnisse zu publizieren, gepaart mit der Unsicherheit der eigenen Beschäftigungssituation und dem Anspruch, gute Lehre anzubieten, sind Seiten der Wissenschaftsarbeit, die hohen Leistungsdruck erzeugen können. Wenn dazu noch weitere wie familiäre Verpflichtungen dazukommen, fehlt leider häufig Raum für Kreativität, den gute Wissenschaft einfach braucht.
Würden Sie sagen, dass es heute Wissenschaftlerinnen leichter haben im Vergleich zu Ihrem Weg?
Gerding: Ob es Wissenschaftlerinnen heutzutage einfacher haben, kann pauschal nicht beantwortet werden. Dies hängt nach wie vor unter anderem von der individuellen Lebenssituation ab. Meiner Meinung nach ist ein wesentlicher Hemmnis-Faktor für Frauen, dass in der „Rushhour“ des Lebens viele Dinge gleichzeitig passieren: Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Stellensituation verbunden mit der weiteren Karriereplanung und häufig die Anforderung einer beruflichen Mobilität treffen auf den Wunsch einer Familienplanung. Allem gerecht zu werden, ist ein Spagat, der eine große Herausforderung darstellt.
Gibt es noch andere Faktoren, die die wissenschaftliche Karriere erschweren können?
Gerding: Es gibt viele Faktoren, die dafür in den Blick genommen werden sollten. Frau zu sein und Kinder zu haben, sind nur zwei davon. Ethnische Herkunft, soziale Lage oder sexuelle Orientierung, aber auch Behinderung oder chronische Erkrankungen können besonders in Kombination weitere Diskriminierungen und Vorurteile hervorrufen und eine wissenschaftliche Karriere deutlich erschweren.
Oft wird in dem Zusammenhang mit Frauen in der Wissenschaft von der gläsernen Decke gesprochen. Warum gibt es die denn noch?
Gerding: Die gläserne Decke ist ein Bild, welches die Problematik von Frauen zeichnet, die in Führungspositionen aufsteigen möchten. Durch die gläserne Decke schauen sie nach oben in die Führungsetage und können diese zwar sehen, aber selbst nicht erreichen. Leider besteht die gläserne Decke nach wie vor.
Die Arbeitskultur von Organisationen ist häufig männerbündisch geprägt. Die soziale Ähnlichkeit spielt hier eine Rolle: Für Männer ist es häufig naheliegender, einen Mann zu fördern, da dieser ihnen selbst ähnlicher ist, als eine Frau. Für Frauen ist es daher schwierig, in etablierten Männernetzwerken einen Platz zu finden und durch die Unterrepräsentanz von Frauen ist es häufig nicht möglich, einen entsprechenden weiblichen Gegenpol zu schaffen. „Sisterhood“ zu leben, ist in einem solchen Umfeld, wenn überhaupt, nur schwer möglich.
Welche strukturellen Probleme stecken dahinter?
Gerding: Ein Problem ist die „leaky pipeline“, was so viel wie undichte Leitung bedeutet. Innerhalb der Laufbahn einer Wissenschaftskarriere verlassen Frauen am Übertritt zur nächsten Qualifikationsstufe das System. Viele qualifizierte Frauen scheiden aus dem Wissenschaftssystem aus; damit stehen von Karrierestufe zu Karrierestufe immer weniger Frauen dem Wissenschaftssystem zur Verfügung, wo sie doch so dringend gebraucht werden.
Was hat sich aus Ihrer Sicht bereits geändert?
Gerding: Im Vergleich finde ich besonders positiv, dass Förderung von Wissenschaftlerinnen in frühen Karrierephasen einen deutlich höheren Stellenwert bekommen und auch viel sichtbarer geworden ist, wie zum Beispiel auf Fachkonferenzen und durch Young Faculties.
Es ist sehr wichtig, junge Menschen in ihrer Leistungsfähigkeit zu bestärken und zu motivieren, ihre Leistungen anzuerkennen und bereits früh die Möglichkeit für den Aufbau eines guten Netzwerkes zu geben. Aber auch die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten außerhalb der Fachdisziplin, zum Beispiel durch Soft Skills, die auch innerhalb von Mentoringprogrammen erlernt werden können, sind sehr nützlich. Und natürlich auch die Mentor*innen selbst. Sie unterstützen und geben hilfreiche Ratschläge und Impulse für den beruflichen Werdegang. An der Ruhr-Universität werden von mehreren Fakultäten Mentoringprogramme, auch bereits für Studierende, angeboten.
Der Zuwachs von Frauen in Führungspositionen beträgt nur etwa 1 Prozent jährlich. Dies ist viel zu wenig.
Wanda Gerding
Was muss sich noch ändern?
Gerding: Die Bemühungen der Politik, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, schreiten leider nur langsam voran. Der Zuwachs von Frauen in Führungspositionen beträgt nur etwa 1 Prozent jährlich. Dies ist viel zu wenig und dieser Fortschritt passiert viel zu langsam. Daher sollte allen klar sein, dass Frauen deutlich schlechtere Karrierechancen haben als Männer. Wir büßen dadurch in der Wissenschaft nicht nur an Leistungsfähigkeit ein, sondern verlieren häufig auch eine weibliche Sicht der Dinge. Daher setze ich mich als Gleichstellungsbeauftragte und Wissenschaftlerin insbesondere für Frauen in der Wissenschaft ein, um ihre Rechte zu stärken und Karrierechancen zu verbessern.