
Auszeichnung Was Atome zusammendrängt
Łukasz Walewski hat etwas berechnet, was man nicht beobachten kann. Preiswürdig findet das das Team der Zeitschrift Molecular Physics.
Die Bewegung von Atomkernen in Molekülen lässt sich kaum beobachten – aber berechnen. Dr. Łukasz Walewski ist es im Exzellenzcluster Resolv (Ruhr Explores Solvation) an der Ruhr-Universität gelungen, einen Einblick in das Verhalten von Wasserstoffkernen bei sehr niedrigen Temperaturen zu gewinnen.
Diese Wasserstoffkerne sorgen über sogenannte Wasserstoffbrücken zum Beispiel dafür, dass Wasser bei Raumtemperatur flüssig (und nicht fest oder gasförmig) ist. Für seine Arbeit wurde er mit dem Longuet-Higgins Young Author’s Prize der internationalen Fachzeitschrift „Molecular Physics“ ausgezeichnet.
Warum Quantenteilchen unscharf sind
Bei den untersuchten extrem niedrigen Temperaturen, charakteristisch für supraflüssiges Helium, treten Quanteneffekte der Kerne zu Tage, die weit jenseits unserer täglichen Wahrnehmung liegen: So sorgt etwa die in der Quantenphysik bekannte Heisenbergsche Unschärferelation dafür, dass der tatsächliche physikalische Ort von Quantenteilchen nicht exakt bestimmt ist. Er ist unscharf, Wissenschaftler nennen das delokalisiert.
Dieser Effekt kann mit einer effektiven Größe des Kerns beschrieben werden und ist umso stärker je niedriger die Temperatur und leichter der Kern. Auf der anderen Seite wirken interatomare Wechselwirkungen, die Moleküle zusammenhalten, dieser Delokalisierung entgegen.
„Sie quetschen sozusagen die Kerne wieder zusammen und vermindern die Unschärfe“, verdeutlicht Łukasz Walewski. Die zwei konkurrierenden Tendenzen bewirken ein völlig unerwartetes Verhalten von Wasserstoffkernen bei ultratiefen Temperaturen, wenn diese Wasserstoffkerne in Wasserstoffbrücken gebunden sind.
Computer-Simulationen mit überraschendem Ergebnis
Łukasz Walewski hat nun in Computer-Simulationen herausgefunden, dass diese Wasserstoffkerne bei supraflüssigen Helium-Temperaturen (circa ein Kelvin, also minus 272 Grad Celsius) durch die Wechselwirkungen mit den benachbarten Heliumatomen extrem stark lokalisiert werden.
Die effektive Größe des Wasserstoff-Kerns wird dabei so stark verkleinert, dass sie sogar kleiner ist, als die effektive Größe viel schwererer Atomkerne. Diese sollten nach oberflächlicher Betrachtung stärker lokalisiert sein als Wasserstoffkerne, wie es bei wesentlich höheren Temperaturen bekannt ist.
Dieser Mechanismus könnte Konsequenzen haben: „Wie man sich leicht vorstellen kann, spielt die effektive Größe von Atomen und Atomkernen beim Aufbau molekularer Bindungen eine wesentliche Rolle“, erläutert Łukasz Walewski. „Insbesondere beim Aufbau von Wasserstoffbrücken ist sie bedeutend, da sie nicht nur Wasser flüssig machen, sondern etwa die DNA zusammenhalten oder für die Faltung von Proteinen wichtig sind.“
Beobachtungen aus Experimenten besser verstehen
Der beschriebene Effekt könnte bedeutsam sein für das Verständnis von Ergebnissen aus Experimenten: Mit „Helium Nanodroplet Isolation Spectroscopy“-Experimenten messen die Forscher hochpräzise die Schwingungsspektren von in Wassertropfen eingeschlossenen Molekülen in suprafluidem Helium. Hierbei stellt sich die Frage, welche Rolle die Wechselwirkung der Wasserstoffbrücken mit dem umgebenden Helium spielt und wie die Suprafluidität der Heliumumgebung davon beeinflusst wird.
Exzellenzcluster Resolv
Die Einflüsse der Mikrosolvatation auf kleine Moleküle in der Gasphase und in Heliumtröpfchen erforschen Wissenschaftler an der RUB im Exzellenzcluster „Ruhr Explores Solvation“ Resolv (EXC 1069), das die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Juni 2012 genehmigte.