
Chemie Klassische enzymatische Theorie erweitert
Warum man die Rolle von Wasser bei enzymatischen Reaktionen nicht ignorieren kann
Enzyme führen als Biokatalysatoren die meisten chemischen Reaktionen in lebenden Organismen aus. Das Hauptaugenmerk der klassischen Enzymologie liegt auf den Enzymen selbst. Die Rolle des Wassers bei biologischen Reaktionen wurde bisher aufgrund seines komplexen molekularen Verhaltens oft außer Acht gelassen.
Die Arbeitsgruppen um Martina Havenith (Exzellenzcluster Resolv: Ruhr Explores Solvation) und Irit Sagi (Weizmann Institute of Science Israel) haben nun gezeigt, dass auch langlebige, konzertierte Bewegungen von Wassermolekülen und Proteinen in der klassischen enzymatischen Theorie der funktionalen Katalyse eine Rolle spielen können.
Ihre Studie umfasst Ergebnisse, die mit verschiedenen Spektroskopietechniken wie Röntgen- und Terahertz-Spektroskopie erzielt wurden und die durch computergestützte Moleküldynamik-Simulationen ergänzt wurden. Die Forscher berichten in den Proceedings of the National Academy of Science (PNAS).
Gekoppelte Bewegungen von Wassermolekülen und Proteinen
Dass Wasser eine wichtige Rolle in komplexen biologischen Prozessen spielt, ist ein heute allgemein anerkanntes Konzept. Die genauen zugrundeliegenden Funktionsmechanismen jedoch sind noch nicht vollständig verstanden – zu groß waren die technischen Herausforderungen bei der Messung der extrem kurzlebigen Interaktionen der einzelnen Wassermoleküle untereinander und mit den biologischen Makromolekülen während der Reaktion.
Auf der Suche nach einem möglichst vollständigen Szenario der biophysikalischen Vorgänge führten die Forschergruppen komplementäre Messungen mittels Terahertz-Spektroskopie und Röntgenabsorption durch. Es gelang ihnen, die gemessenen Änderungen in den gekoppelten Protein-Wasser-Bewegungen während der enzymatischen Reaktion zu analysieren und mit den Strukturänderungen in Zusammenhang zu setzen. Durch begleitende molekulardynamische Simulationen konnten sie zusätzlich die atomistischen Details des zugrunde liegenden Mechanismus erklären.
Neues biologisches Phänomen
Ihre Untersuchungen führten die Forscher an einem Enzym aus der Familie der Metalloproteinasen durch, die am Abbau von extrazellulärer Matrix beteiligt sind und somit wichtige Funktionen zum Beispiel bei der Wundheilung ausüben können.
Der umfassenden Ansatz der Forscher offenbarte ein bisher unbekanntes Phänomen: Die korrelierten Protein-Wasser Bewegungen folgen nicht der klassischen enzymatischen Theorie. Stattdessen beobachteten sie langlebige Protein-Wasser-Bewegungen. Die Simulationen zeigen eine systematische Verlangsamung der Wasserbewegung in Richtung der molekularen Erkennungsstelle des Enzyms (Hydration Funnel = Hydratationstrichter).
„Die Bewegungen des Wassers passen sich also den Bewegungen des Substrates an“, verdeutlicht Prof. Dr. Martina Havenith-Newen. Dieses erstmals beobachtete Phänomen ist abhängig vom Bindungspartner: Im Falle einer optimierten molekularen Architektur fand man eine besonders starke Ausprägung. „Zusammengefasst erweitern unsere Beobachtungen die klassische Theorie der enzymatischen Katalyse um die Einbeziehung langlebiger Protein-Wasser-gekoppelter Bewegungen im Modell der funktionalen Katalyse“, erklärt die Chemikerin.
Exzellenzcluster Resolv
Das Projekt ist Teil des Exzellenzclusters Resolv (EXC 1069), der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.