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Asbest ist unvergänglich
Asbestfasern sind in der menschlichen Lunge über fast 40 Jahre in derselben Menge nachweisbar. Das hat die Auswertung eines weltweit einzigartigen Datensatzes des Deutschen Mesotheliomregisters am Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) gezeigt. Der Datensatz enthält Messergebnisse der Asbestkonzentration in der Lunge ein und derselben Menschen, die im Abstand von 4 bis 21 Jahren gewonnen wurden. Das Forscherteam um Inke Feder und Prof. Dr. Andrea Tannapfel hat die Ergebnisse der Studie gemeinsam mit Kollegen vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung im European Respiratory Journal veröffentlicht.
Ergebnisse aus 30-jähriger Forschungsarbeit
Asbest, ein in natürlichem Gestein vorkommendes faseriges Mineral, wird in der Industrie wegen seiner Biobeständigkeit hoch geschätzt. Daher sein Name vom altgriechischen Wort „Asbestos“, das für „unvergänglich“ steht. Die über 30 Jahre durchgeführten Lungenstaubanalysen und nun erstmals im Längsschnitt ausgewerteten Daten bestätigen diese Biobeständigkeit auch für die menschliche Lunge. Die Forscher schlossen zwölf Fälle in ihre Untersuchung ein.
„Das Besondere an unserem Datensatz ist, dass viele Jahre nach dem Ende des Asbestkontaktes bei ein und demselben Menschen mit einer asbestbedingten Lungenerkrankung im Abstand von 4 bis 21 Jahren mehrfach die Asbestkonzentration im Lungengewebe bestimmt wurde“, erklärt Inke Feder. „Die Asbestkonzentration in der Lunge blieb über diesen langen Zeitraum von fast 40 Jahren stabil und somit nachweisbar.“ Dieses Ergebnis gilt sowohl für den als gesundheitsgefährlicher geltenden Blauasbest als auch für den Weißasbest. Für letzteren – der in der Industrie am meisten verwendet wurde – war in der Fachwelt bislang umstritten, ob die Fasern in der Lunge überdauern oder nicht.
Asbest in der Lunge
Während in die Lunge eingedrungene Fremdpartikel normalerweise durch Flimmerhärchen abgefangen, zurück in die Atemwege transportiert und ausgehustet werden, können feine Fasern wie Asbest bis tief in die Lungenbläschen vordringen. Als Reaktion der Lunge können sich geflechtartig-netzähnliche diffuse Vernarbungen mit den darin eingelagerten Stäuben bilden, die sogenannte Asbestose. Da die Asbestfaser so biobeständig ist, können die Fresszellen des Immunsystems sie nicht abbauen. Diese Fresszellen sterben ab und bilden die typischen Asbestkörper. Dabei werden Inhaltsstoffe frei, die eine chronische Entzündung verursachen, woraus Krebs entstehen kann. Zudem reichern sich in dieser Hüllstruktur Elemente an, die ebenfalls für die krebserzeugende Wirkung der Asbestkörper verantwortlich sein können.
Ein typischer asbestbedingter Tumor ist das Mesotheliom, das unter anderem das Rippenfell betrifft. Aber auch Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs und Eierstockkrebs können durch Asbest verursacht sein. Deswegen darf Asbest seit 1993 in Deutschland und seit 2005 in der Europäischen Union nicht mehr verwendet werden.
Erkrankung bis zu 60 Jahre nach Asbestkontakt
Die Zeit zwischen dem ersten Asbestkontakt und dem Ausbruch einer asbestbedingten Erkrankung kann 10 bis 60 Jahre betragen. „Das heißt, eine asbestinduzierte Erkrankung kann noch ausbrechen, obwohl der letzte Asbestkontakt schon sehr lange zurückliegt“, verdeutlicht Andrea Tannapfel, Direktorin der RUB-Pathologie. Da sich die Behandlungsmöglichkeiten stark unterscheiden, ist es wesentlich, asbestbedingte Erkrankungen von anderen zu trennen. Eine nicht durch Asbest verursachte Lungenfibrose zum Beispiel ist mit Medikamenten behandelbar, die für Asbestosen nicht zugelassen sind, da bisher keine Wirksamkeit gezeigt werden konnte.
Auch eine Lungentransplantation bei fortgeschrittener Fibrose kommt für Asbestose-Patienten in der Regel eher nicht in Betracht. „Im Röntgenbild sind nicht asbestbedingte Lungenfibrosen von einer Asbestose kaum zu unterscheiden“, erklärt Prof. Dr. Rolf Merget, Arbeitsmediziner am IPA. „Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass Asbestfasern im Lungengewebe nach so langer Zeit noch nachweisbar sind.“
Nicht zuletzt ist die Frage der Nachweisbarkeit von Asbestfasern in der Lunge entscheidend dafür, wie man das Risiko durch Asbest am Arbeitsplatz bewertet. Daraus folgt die Entscheidung, ob eine Lungenerkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden kann, sodass die Betroffenen Anspruch auf eine Entschädigung haben.
Inke Feder, Iris Tischoff, Anja Theile, Inge Schmitz, Rolf Merget, Andrea Tannapfel: The asbestos fibre burden in human lungs – new insights into the chrysotile debate, in: European Respiratory Journal, 2017, DOI: 10.1183/13993003.02534-2016
Prof. Dr. Andrea Tannapfel
Institut für Pathologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 302 4800
E-Mail: andrea.tannapfel@rub.de
Inke Feder
Deutsches Mesotheliomregister
Institut für Pathologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 302 4978
E-Mail: inke.feder@rub.de
Das Deutsche Mesotheliomregister am Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum beschäftigt sich mit beruflich verursachten Lungenerkrankungen, im Besonderen Erkrankungen durch Asbest. Es bietet wissenschaftliche Unterstützung bei der Klärung schadstoffassoziierter Erkrankungen der Lunge, des Lungen-, Rippen- und Bauchfells aus pathologisch-anatomischer Sicht. Im Mittelpunkt des Registers als Referenzzentrum stehen die Untersuchungen von Gewebeproben. Zum analytischen Kompetenzspektrum des Deutschen Mesotheliomregisters gehören die Durchführung von quantitativen und qualitativen Lungenstaubanalysen zur Beurteilung der pulmonalen Belastung durch zum Beispiel Asbest, Chrom, Nickel, Talkum, Silizium, Hartmetalle. Ein Schwerpunkt im Bereich der Forschung ist die Charakterisierung bösartiger Tumoren unter Verwendung histochemischer, immunhistochemischer, elektronenmikroskopischer und molekularpathologischer Methoden. Das Ziel des Registers ist die Erfassung aller Mesotheliomerkrankungen in Deutschland.
Das IPA – Institut für Prävention und Arbeitsmedizin ist eine Einrichtung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) mit dem Auftrag für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu forschen. Komplexe arbeitsmedizinische Fragestellungen werden in einem interdisziplinären Gesamtkonzept von fünf Kompetenzzentren bearbeitet: Medizin, Toxikologie, Allergologie/Immunologie, Molekulare Medizin, Epidemiologie. Kernaufgaben sind Forschung, Lehre und Weiterbildung sowie Beratung und Gremienarbeit. Die Expertise des IPA fließt in unterschiedliche Bereiche ein: So berät das Institut die DGUV und ihre Mitglieder – also die Berufsgenossenschaften und die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand – in arbeitsmedizinischen Fragen. Als vollwertiges Institut der Ruhr-Universität Bochum ist das IPA außerdem verantwortlich für Lehre und Forschung im Fach Arbeitsmedizin. Betreiber des IPA sind die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und die Bergbau-Berufsgenossenschaft.
31. Juli 2017
11.34 Uhr