Chemie Lösungsprozess Schritt für Schritt verfolgt
Zahlreiche chemische und industrielle Prozesse finden in Lösung statt. Aber die genauen Wechselwirkungen zwischen Lösungsmittel und gelöstem Stoff sind bislang nicht verstanden.
Wie sich einzelne Wassermoleküle an ein organisches Molekül anlagern, haben Chemiker der Ruhr-Universität Bochum mit bislang nicht erreichter räumlicher Auflösung verfolgt. Sie nutzten ein Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskop, um die Vorgänge auf einer Größenskala von kleiner einem Nanometer sichtbar zu machen. So konnten sie auf der molekularen Ebene die Eigenschaften der Hydrophilie und Hydrophobie nachvollziehen, also dass bestimmte Substanzen oder Molekülgruppen wasserliebend oder wassermeidend sind.
„Die Ergebnisse sind ein weiteres Puzzlestück auf dem Weg zu einem Verständnis von Solvatationsprozessen, also wie sich Stoffe in Wasser lösen“, sagt Karsten Lucht vom Bochumer Lehrstuhl für Physikalische Chemie I. Er berichtet mit dem Team um Prof. Dr. Karina Morgenstern und Kollegen vom Lehrstuhl für Organische Chemie II in der Zeitschrift „Angewandte Chemie“. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kooperieren im Exzellenzcluster Ruhr Explores Solvation, kurz Resolv.
Ziel des Clusters ist es zu verstehen, wie Lösungsmittel die in Lösung ablaufenden Reaktionen beeinflussen, und die Lösungsmittel zur Reaktionssteuerung einzusetzen.
Anlagerung von Wasser schrittweise verfolgt
Als organisches Molekül nutzten die Forscher einen Azofarbstoff, der aus zwei Kohlenstoffringen und daran gebundenen funktionellen Gruppen besteht, die polar, also leicht positiv oder negativ geladen sind. Die Moleküle deponierten sie auf einem Gold-Einkristall und kühlten das System auf sechs Kelvin ab. Dann fügten sie Schritt für Schritt einzelne Wassermoleküle hinzu und beobachteten, wo an dem Farbstoff diese andockten.
Die ersten Wassermoleküle lagerten sich bevorzugt an den polaren funktionellen Gruppen an. Steigerten die Forscher den Wasseranteil, so lagerten sich die neu hinzukommenden Moleküle an den bereits gebundenen Wassermolekülen an. „Unsere Experimente zeigen also, dass sich Hydrophilie und Hydrophobie auf die molekulare Ebene zurückverfolgen lassen“, so Karina Morgenstern. Unpolare Bereiche des Moleküls mieden die Wassermoleküle, polare Bereich wurden bevorzugt aufgesucht.
Drei sich ergänzende Verfahren
Die hier mit der Rastertunnelmikroskopie verfolgten Prozesse werden üblicherweise spektroskopisch oder mit molekulardynamischen Simulationen untersucht. Erstere Methode liefert jedoch keine direkten Ortsinformationen, letztere beruht aufgrund der Größe des Systems auf Annahmen. „Jede Methode hat ihren Wert“, erklärt Karsten Lucht. „Die drei Verfahren ergänzen sich.“