Astrophysik Heiße Spur im ewigen Eis
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitätsallianz Ruhr sind führend an wegweisenden Beobachtungen von Neutrino-Quellen beteiligt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen am Südpol mit Detektoren, die kilometertief im Eis versenkt sind, nach Neutrinos aus dem Kosmos. Durch die Beobachtung dieser sehr durchdringenden Elementarteilchen erhoffen sie sich neue Erkenntnisse über das Universum. 2013 gelang mit Ice Cube, dem weltweit leistungsfähigsten Detektor für hochenergetische Neutrinos, ein erster Durchbruch: Die Forscherinnen und Forscher konnten einen Fluss von Neutrinos außerhalb des Sonnensystems nachweisen.
Die Quellen der Neutrinos waren aber zunächst noch unbekannt. Das könnte sich nun ändern. Forscherinnen und Forscher der Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) haben gemeinsam mit den anderen Ice-Cube-Partnern spektakuläre Beobachtungen gemacht, die dabei helfen könnten, die Neutrino-Quellen eindeutig zu identifizieren. Insbesondere trugen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Dortmund, der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen zur aufwendigen Analyse und Interpretation der Daten aus dem ewigen Eis sowie zu Simulationsrechnungen bei. Die zugehörigen Fachartikel erscheinen am 13. Juli 2018 im renommierten Wissenschaftsmagazin Science.
Verräterische Lichtspur
Bei ihren seltenen Wechselwirkungen erzeugen die energiereichen Neutrinos aus dem Kosmos manchmal geladene Teilchen, die dann wiederum eine verräterische Lichtspur im Eis hinterlassen. Detektieren die Sensoren von Ice Cube eine solche Spur, kann die Herkunftsrichtung des Neutrinos ermittelt werden. Genau das geschah am 22. September 2017. Ice Cube registrierte das Ereignis 170922A, und sehr schnell wurden weltweit verschiedene Teleskope auf die Spur des Neutrinos gesetzt.
Zur Erforschung solcher energetischer Prozesse im Universum haben sich Forscherinnen und Forscher der UA Ruhr zum „Ruhr Astroparticle Plasma Physics Center“ (Rapp-Center) zusammengeschlossen. „Die sogenannte Multi-Messenger-Astronomie, also die umfassende Beobachtung in verschiedenen Wellenlängenbereichen und mit allen zur Verfügung stehenden Informationsträgern, ist mittlerweile zu einer sehr wichtigen Erkenntnisquelle geworden und eine große Stärke der Arbeitsgruppen im Rapp-Center“, erklärt Prof. Dr. Julia Tjus von der Ruhr-Universität Bochum, eine der Autorinnen der nun vorgestellten Studien.
Aktiver Galaxienkern als Quelle
Tatsächlich stellte sich schnell heraus, dass die Anstrengungen der Astrophysikerinnen und -physiker von Erfolg gekrönt sein könnten: An der Himmelsposition, aus der das Neutrino erfasst wurde, entdeckten die Forscherteams eine Quelle von Gammastrahlung: den aktiven Galaxienkern TXS 0506+056. Hierbei handelt es sich um die Umgebung eines massereichen Schwarzen Lochs. Dieses Objekt war bereits aus vorherigen Beobachtungen bekannt. Da es aber eine relativ große Zahl von bekannten Gammastrahlen-Quellen am Himmel gibt, mussten die Forscherinnen und Forscher herausfinden, ob TXS 0506+056 die energiereiche Neutrino-Quelle sein konnte.
„An diesem Punkt kommen unsere ‚Magic‘-Teleskope auf La Palma ins Spiel, die wir genau wie den Ice-Cube-Detektor seit mehreren Jahren in einer internationalen Kollaboration betreiben. An der Verbundforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, sind mehrere universitäre Partner führend beteiligt“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Rhode von der TU Dortmund. Diese Teleskope ermöglichen Beobachtungen von kosmischen Gammastrahlen-Quellen bei großen Energien.
Ursprung der kosmischen Strahlung
Bereits nach wenigen Tagen stand fest, dass die Gammastrahlenquelle TXS 0506+056 erstmals auch im Energiebereich der Magic-Teleskope detektiert werden konnte. „Der Nachweis einer in diesem Energiebereich vorher nicht beobachteten Gammastrahlen-Quelle in der Herkunftsrichtung des Neutrinos ist ein sehr wichtiger Befund. Das ist genau das erste konkrete Anzeichen der möglichen Entdeckung einer Neutrino-Quelle, das wir erwartet hatten“, ergänzt Prof. Wolfgang Rhode.
Möglicherweise ist den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Durchbruch in der Hochenergie-Astrophysik gelungen: „Die Identifikation eines aktiven Galaxienkerns als Neutrino-Quelle wäre nicht nur ein großer Schritt zum Verständnis der Prozesse in der unmittelbaren Umgebung massereicher Schwarzer Löcher, sondern auch eine heiße Spur zum Ursprung der geheimnisvollen hochenergetischen kosmischen Strahlung“, erklärt Julia Tjus.
Weitere Experimente zur Bestätigung geplant
Nun gilt es, den Verdacht über die Herkunft des Neutrinos aus einem aktiven Galaxienkern durch den Nachweis weiterer Ereignisse zu erhärten. Für diese Aufgaben sind die Gruppen des Rapp-Centers hervorragend aufgestellt: „Durch den stabilen Weiterbetrieb der Magic-Teleskope als Ergänzung zu Ice Cube und die Beteiligung am zukünftigen Gammastrahlen-Observatorium Cherenkov Telescope Array sowie der Ice-Cube-Erweiterung Gen-2 sind die Rapp-Gruppen in der Lage, weiterhin eine tragende Rolle zu spielen“, erklärt Dr. Dominik Elsässer von der TU Dortmund.
Sein Kollege Dr. Tim Ruhe ergänzt: „In der modernen Astro- und Teilchenphysik spielen intelligente Analyseverfahren und die Simulation der Detektoren auf Großrechneranlagen eine entscheidende Rolle. In diesem Bereich leisten wir sowohl für Ice Cube als auch für Magic führende Beiträge.“ Ein großer Teil der Arbeit an innovativen und intelligenten Analyseverfahren erfolgt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 876 „Verfügbarkeit von Information durch Analyse unter Ressourcenbeschränkung“ an der TU Dortmund.
Simulationen in Bochum
Ein weiteres Puzzlestück, das zur Identifikation von Neutrino-Quellen beiträgt, betrifft die Interpretation der Daten, die aus den unterschiedlichen Messungen entstehen. „Hierzu werden in Bochum numerische Modelle entwickelt, die die Physik der Neutrino-Quellen so genau wie möglich beschreiben. Mithilfe der Modelle können wir vorhersagen, wie die verschiedenen Wellenlängen und Teilchenarten in der Intensität und im zeitlichen Verlauf ankommen“, führt Dr. Björn Eichmann von der Ruhr-Universität Bochum aus. Diese genaue Modellierung ist eine Spezialität des Rapp-Centers, da die Expertise der lokal ansässigen Expertinnen und Experten für Astro-, Plasma- und Teilchenphysik genutzt werden kann – ein Standortvorteil, der in Deutschland einzigartig ist.
Ihre Stärken bringen die UA-Ruhr-Gruppen auch unmittelbar in die Beobachtungen ein: Die Dortmunder Doktorandin Alicia Fattorini ist in der Magic-Kollaboration Teil eines Teams, das schnelle Analysen von Neutrino-Nachbeobachtungen durchführt. Johannes Werthebach, ebenfalls Doktorand in Dortmund, hält sich zurzeit am Südpol auf und betreut die Ice-Cube-Detektoren.