Bei Menschen mit progredienter Multipler Sklerose nehmen die Behinderungen im Lauf des Lebens schleichend zu. © Roberto Schirdewahn

Medizin Wie Multiple Sklerose besser therapiert werden könnte

Neue Medikamente haben bei der schleichend verlaufenden Form der Krankheit bislang keinen durchschlagenden Therapieerfolg erzielt. Die Gründe sind vielfältig.

Bislang existierende Medikamente gegen Multiple Sklerose (MS) können hauptsächlich die anfänglich schubweise verlaufende Erkrankung lindern. Bei vielen Patienten geht die Erkrankung jedoch später in eine progrediente MS über, bei der die Behinderungen der Betroffenen schleichend zunehmen. Diese Form lässt sich derzeit nicht ausreichend behandeln. Mögliche Gründe für das Ausbleiben einer effektiven Therapie gegen progrediente MS hat ein internationales Forscherteam in einem Übersichtsartikel in der Zeitschrift „Nature Reviews Drug Discovery“ vom 9. August 2019 zusammengetragen.

Die Bochumer Mediziner Prof. Dr. Simon Faissner und Prof. Dr. Ralf Gold von der Klinik für Neurologie am St. Josef-Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, kooperierten für die Arbeit mit Prof. Dr. V. Wee Yong von der University of Calgary sowie Prof. Dr. Jason Plemel von der University of Alberta in Edmonton. Sie diskutieren in dem Artikel die Mechanismen, die der progredienten MS zugrunde liegen, und erörtern laborexperimentelle sowie klinische Daten zu potenziellen Therapieansätzen. Die Autoren verbinden dabei die Diskussion von Therapiezielen mit Ergebnissen pharmakologischer Studien aus Zellkultur- und Tiermodellen sowie laufenden klinischen Studien.

Eine Krankheit, viele Mechanismen

„Eine Quintessenz unserer Analyse ist, dass es so schwer ist, die progrediente MS zu behandeln, weil das Fortschreiten der Krankheit durch verschiedene Mechanismen vorangetrieben wird“, sagt Simon Faissner. „Um die Behandlung effizienter zu machen, werden wir zukünftig vermutlich präzise Therapieansätze benötigen, die auf mehrere Krankheitsmechanismen gleichzeitig abzielen.“ Ein weiteres Problem ist laut Meinung der Autoren, dass es bislang kein hinreichend gutes Tiermodell gibt, das die Fülle an zugrunde liegenden Mechanismen abbildet. „Daher ist es herausfordernd, Wirkstoffkandidaten für eine klinische Studie zu identifizieren“, so Faissner.

Hinzu kommt, dass bisherige klinische Studien häufig unterschiedliche Endpunkte verfolgt haben, ein Therapieerfolg war also von Studie zu Studie unterschiedlich definiert. Einheitliche Kriterien, so die Autoren, wären wünschenswert, um Arbeiten vergleichbar zu machen und verlässliche Behandlungseffekte nachzuweisen.

Finanzielle Hindernisse

Es gibt aber auch finanzielle Aspekte, die ein Hemmnis für die Weiterentwicklung von Medikamenten darstellen. Zwar existieren Hinweise, dass Medikamente, die für eine andere Indikation zugelassen sind, auch gegen Multiple Sklerose wirken könnten. „Da der Patentschutz für diese Mittel aber bereits erloschen ist, können Pharmaunternehmen diese nicht weiterentwickeln“, erklärt Simon Faissner. „Die Durchführung von Studien zur Wirksamkeit dieser Mittel bei MS scheitert daher häufig, weil es keine Finanzierung dafür gibt.“

Bessere Therapie möglich

Nichtsdestotrotz schließen die Autoren, dass die progrediente MS künftig besser therapiert werden könnte, weil Forscherinnen und Forscher die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen immer detaillierter verstehen. „Mit diesen Erkenntnissen wird eine gezieltere Therapie möglich sein, die verhindert, dass Betroffene im Lauf der Erkrankung immer stärkeren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind“, prognostiziert Faissner.

Über die Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die sich bei etwa 85 Prozent der Patientinnen und Patienten als schubförmig-wiederkehrende Erkrankung verfestigt. In der westlichen Welt ist sie die Hauptursache für neurologische Behinderung bei jungen Menschen. Die frühe Erkrankungsphase ist gekennzeichnet durch Schubaktivität mit neurologischen Ausfällen wie Sehnervenentzündungen, motorischen Ausfällen oder Störungen der Sensibilität; sie kann mittlerweile gut mit mehr als zwölf zugelassenen Medikamenten behandelt werden.

Ein Großteil der Patientinnen und Patienten entwickelt jedoch nach etwa 15 bis 20 Jahren trotz effektiver Therapie eine sogenannte sekundär-chronisch progrediente MS, bei der Schübe in den Hintergrund treten und Behinderungen schleichend zunehmen. 10 bis 15 Prozent der Betroffenen weisen schon bei der Erstdiagnose eine schleichende Behinderung auf. Mittlerweile gibt es neue Medikamente für progrediente Verlaufsformen der MS, etwa die Wirkstoffe Ocrelizumab oder Siponimod. Die Therapieeffekte sind jedoch bislang begrenzt.

Originalveröffentlichung

Simon Faissner, Jason R. Plemel, Ralf Gold R, V. Wee Yong: Progressive multiple sclerosis: from pathophysiology to therapeutic strategies, in: Nature Reviews Drug Discovery, 2019, DOI: 10.1038/s41573-019-0035-2

Pressekontakt

Prof. Dr. Simon Faissner
Klinik für Neurologie
St. Josef-Hospital
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 509 2420
E-Mail: simon.faissner@rub.de

Veröffentlicht

Dienstag
20. August 2019
08:47 Uhr

Von

Julia Weiler

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