Hirnforschung Wie die Erwartungshaltung das Lernen beeinflusst
Bochumer Forscherinnen und Forscher identifizierten zwei Hirnregionen, die besonders wichtig für Entscheidungsprozesse beim Lernen sind.
Während des Lernens ist das Gehirn eine Vorhersagemaschine, die unablässig Theorien über unsere Umgebung aufstellt und genau registriert, ob eine Annahme zutrifft oder nicht. Ein Team aus der Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum hat gezeigt, dass sich die Erwartungshaltung während dieser Vorhersagen auf die Aktivität verschiedener Hirnnetzwerke auswirkt. Dr. Bin Wang, Dr. Lara Schlaffke und Privatdozent Dr. Burkhard Pleger von der Neurologischen Klinik des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil berichten über die Ergebnisse in zwei Artikeln, die im März und April 2020 in den Zeitschriften Cerebral Cortex und Journal of Neuroscience erschienen sind.
Die Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler identifizierten zwei Schlüsselregionen im Gehirn: Der Thalamus nimmt während der Entscheidungsfindung eine zentrale Rolle ein. Der insuläre Kortex ist hingegen besonders aktiv, wenn klar ist, ob die richtige oder falsche Entscheidung getroffen wurde. „Die Erwartungshaltung während des Lernens reguliert daraufhin spezifische Verknüpfungen im Hirn und damit die Vorhersage für lernrelevante Sinneswahrnehmungen“, sagt Burkhard Pleger.
Auf den Entscheidungsprozess konzentrieren
Für die Untersuchung nutzte das Team eine Lernaufgabe, die sich auf den Entscheidungsprozess während der Wahrnehmung von Hautberührungen im Gehirn fokussiert. „Es ist so, als wenn man ein Computer-Strategiespiel mittels eines game pads erlernt, welches auf bestimmte Reize ein sensorisches Feedback an die Finger gibt“, vergleicht Pleger. „Es geht darum, dass ein bestimmter Berührungsreiz zum Erfolg führt und dieser von Stimulation zu Stimulation erlernt werden muss.“
28 Teilnehmer bekamen in jedem Versuchsdurchgang entweder Berührungsreiz A oder B am Zeigefinger präsentiert. Per Tastendruck mussten sie dann vorhersagen, ob der nachfolgende Berührungsreiz der gleiche sein würde oder nicht. Dabei wechselte ständig die Wahrscheinlichkeit für A und B, was der Teilnehmer von Vorhersage zu Vorhersage erlernen musste.
Strategieanalyse
Während des Tests wurde die Gehirnaktivität der Teilnehmer mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) untersucht. Die Forscherinnen und Forscher hatten dabei ein besonderes Interesse an den Versuchsdurchgängen, in denen die Teilnehmer ihre Entscheidungsstrategie änderten. Dabei stellten sie die Frage, inwieweit die dabei veränderte Erwartungshaltung die Hirnaktivität beeinflusste.
Dabei fielen den Forschern zwei Hirnregionen auf: der Thalamus und der insuläre Kortex. Der Thalamus verarbeitet Informationen, die aus den Sinnesorganen oder anderen Hirnarealen kommen, und leitet sie gefiltert ans Großhirn weiter. Er wird auch als Tor zum Bewusstsein bezeichnet.
Neue Rolle für den Thalamus
Mittels fMRT-Aufnahmen konnten die Forscher zeigen, dass unterschiedliche Hirnverbindungen zwischen dem präfrontalen Kortex und dem Thalamus für das Beibehalten einer Lernstrategie oder den Strategiewechsel zuständig waren. Je höher dabei die Erwartungshaltung vor der Entscheidung war, desto eher wurde die Strategie beibehalten und desto geringer war die Stärke dieser Verbindungen. Bei einer geringen Erwartungshaltung kam es zum Strategiewechsel, und die Regionen schienen deutlich stärker miteinander zu interagieren. „Das Gehirn scheint vor allem dann besonders aktiv zu sein, wenn eine Lernstrategie gewechselt werden muss, während es deutlich weniger Energie bedarf, eine Strategie beizubehalten“, folgert Pleger.
„Bislang wurde der Thalamus eher als Weiche angesehen“, ergänzt der Neurowissenschaftler. „Unsere Ergebnisse unterstreichen seine Rolle bei höheren kognitiven Funktionen, die der Entscheidungsfindung während des Lernens dienen. Der Thalamus ist also nicht nur ein Tor zum sensorischen Bewusstsein, sondern vielmehr scheint er dieses mit kognitiven Prozessen, die zum Beispiel der Entscheidungsfindung dienen, zu verknüpfen.“
Sensorische Wahrnehmung beeinflussen
Der insuläre Kortex hingegen ist beteiligt an der Wahrnehmung, der motorischen Kontrolle, dem Selbstbewusstsein, kognitiven Funktionen und zwischenmenschlichen Erfahrungen. Er war besonders aktiv, wenn ein Proband seine Entscheidung bereits getroffen hatte und dann erfuhr, ob er richtig oder falsch lag. „Unterschiedliche Netzwerke, die im insulären Kortex verankert sind, werden durch die Erwartungshaltung reguliert und scheinen damit einen direkten Einfluss auf die zukünftige sensorische Wahrnehmung zu haben“, so Pleger.