Sprachwissenschaft Wie wir Emojis verstehen
Wenn in einem Satz ein Wort durch ein Bildchen ersetzt wird, verstehen wir seine Bedeutung trotzdem. Der Umweg über das Bild kann aber Zeit kosten.
Emojis als Wortersatz hindern uns nicht daran, einen Satz zu verstehen. Aber wie funktioniert das? Interpretieren wir das Emoji als Bild oder als Wort? Um das herauszufinden, hat ein Forschungsteam aus Bochum, Potsdam und Berlin Testpersonen Texte mit Emojis lesen lassen und die Lesedauer genau gemessen. So kam heraus, dass das Verstehen mit Emojis im Satz ein wenig länger dauert als ohne. Wenn das Bildchen nicht exakt für das gemeinte Wort steht, sondern für ein anderes mit derselben Aussprache, brauchen wir noch ein wenig mehr Zeit. Daraus schließt das Team, das das Verständnis über Umwege läuft: Zuerst wird das Bild interpretiert, dann auf das Wort zurückgeschlossen. Die Studie ist in Computers in Human Behavior vom 25. Oktober 2021 veröffentlicht.
Für die Arbeit kooperierte Prof. Dr. Tatjana Scheffler, Juniorprofessorin für Digitale Forensische Linguistik am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum (RUB), mit einem Team der Universität Potsdam und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Tür-Schloss oder Prinzessinnen-Schloss?
Emojis sind kleine Bildzeichen, die aus Japan stammen: Japanisch 'e' bedeutet Bild, 'moji' heißt Wort. „Wir wollten untersuchen, inwiefern solche Emojis eher wie Wörter oder wie Bilder interpretiert werden“, erklärt Tatjana Scheffler. Dazu ließen die Forschenden in einer Online-Studie Testpersonen Sätze lesen, in denen Wörter durch Emojis ersetzt wurden, und haben dabei die Lesezeit für jedes Wort gemessen. Zusätzlich wurden im Anschluss Verständnisfragen gestellt.
„Wie wir vermutet hatten und wie es auch andere Studien nahelegen, wurden Emojis anstelle von Substantiven gut verstanden“, berichtet die Wissenschaftlerin. Die Verständnisfragen wurden nach den Sätzen mit Emojis mindestens gleich häufig korrekt beantwortet wie nach denselben Sätzen ohne Emojis.
Normale Wörter führen aber bei der Verarbeitung nicht direkt zur Bedeutung; sie haben auch andere Eigenschaften, zum Beispiel ihre Aussprache, die beim Lesen aktiviert werden. So gibt es Phänomene wie die Homophonie: Zwei Wörter besitzen die gleiche Aussprache, haben aber unterschiedliche Bedeutungen. Ein Beispiel dafür ist das Prinzessinnen-Schloss und das Tür-Schloss. „Wir haben daher auch Sätze lesen lassen, in denen das Emoji nicht das gemeinte Objekt, sondern sein Homonym abbildet“, so Tatjana Scheffler.
„Wir konnten zeigen, dass auch in diesen Beispielen die Sätze fast immer richtig verstanden wurden“, so Ivan Nenchev, Koautor der Studie. „Das zeigt, dass das Emoji tatsächlich zu einem kompletten ‚Lexikon-Eintrag‘ aufgelöst werden kann, der auch die Aussprache-Information enthält. Von dieser kommen die Probandinnen und Probanden dann auf die andere, homophone Bedeutung.“
Allerdings konnte das Team auch zeigen, dass die Lesezeiten sich stark unterscheiden. Die durchschnittliche Lesezeit für ein ausgeschriebenes Wort in der Position ist etwa 450 Millisekunden , für ein passendes Emoji rund 800 Millisekunden und für ein Emoji, welches ein homophones Wort zeigt, über 900 Millisekunden.
Der Umweg über das Bild dauert
Daraus schließen die Forscherinnen und Forscher, dass beim Lesen von Emojis zunächst das Bild interpretiert werden muss. Emojis sind generell weniger bekannt und ungewöhnlicher und daher weniger schnell lesbar als geschriebene Wörter. „Das wird auch dadurch belegt, dass die Proband*innen, die nach ihrer Selbsteinschätzung Emojis häufiger verwenden, die inhaltlich passenden Emojis auch durchschnittlich schneller lesen“, erklärt Tatjana Scheffler. Weil die Emojis aber ebenfalls wie die Wörter zu einer bestimmten Aussprache aufgelöst werden, werden auch die homophonen Emojis gut verstanden. Das dauert aber wiederum länger, weil die visuelle Information unterdrückt werden und die Bedeutung des homophonen Wortes aufgerufen werden muss. „Dabei ist dann auch die Gewöhnung an Emojis nicht mehr behilflich. Die Testpersonen, die Emojis häufiger benutzen, sind bei den homophonen Emojis genau so langsam wie die anderen“, fasst Tatjana Scheffler zusammen.
Gemeinsam mit dem Team der Charité plant sie eine ähnliche Studie mit Personen durchzuführen, die mit Schizophrenie leben. Da einige von ihnen Schwierigkeiten beim Auffinden von nicht-wörtlichen Bedeutungen haben, soll ein Vergleich mit einer Kontrollgruppe zusätzlichen Aufschluss über die Sprachverarbeitung, die linguistische Struktur nicht-wörtlicher Bedeutung und die sprachlichen Auswirkungen von Schizophrenie geben.