Recht Von der Couch aus klagen
Die Digitalisierung krempelt viele Arbeitsbereiche um. Auch klassische Anwaltskanzleien verspüren Druck von einer zuvor nicht da gewesenen Konkurrenz.
Seit 2015 boomen digitale Dienstleister, die den Gang zum Anwalt überflüssig machen. Sie treiben Entschädigungen für ausgefallene Flüge ein, fechten Kündigungen an oder legen Widerspruch gegen Hartz-IV-Bescheide ein. Was diese sogenannten Legal-Tech-Angebote für etablierte Akteurinnen und Akteure im Rechtssystem bedeuten, erforschen die Teams von Prof. Dr. Britta Rehder und Prof. Dr. Birgit Apitzsch von der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Sie analysieren auch, für welche Zielgruppen Legal-Tech-Angebote interessant sind, wer die Anbieter eigentlich sind und welche Geschäftsmodelle sie haben. Dabei legten sie einen Schwerpunkt auf das Arbeits- und Sozialrecht. Über ihre Arbeiten berichten die Forscherinnen in Rubin, dem Wissenschaftsmagazin der RUB.
Das Ende der Anwaltschaft?
„Wenn man sich Publikationen von Rechtsanwälten zu dem Thema anschaut, ist die Stimmung alarmistisch: Dann ist vom Ende der Anwaltschaft die Rede“, sagt Birgit Apitzsch, Inhaberin des Lehrstuhls Soziologie/Arbeit, Wirtschaft und Wohlfahrt an der RUB. Gemeinsam mit Britta Rehder, Leiterin des RUB-Lehrstuhls Politikwissenschaft/Politisches System Deutschlands, verschaffte sie sich zunächst einen Überblick über das Legal-Tech-Angebot in Deutschland.
Bei einer Google-Recherche stießen die Forscherinnen auf rund 50 Onlinedienste im Bereich des Sozialrechts und etwa 90 im Bereich des Arbeitsrechts. Allerdings – und das war die erste Erkenntnis des Projekts – sind die Anbieter selten auf nur einen Rechtsbereich spezialisiert. „Sie picken sich die Rosinen aus verschiedenen Rechtsgebieten heraus“, veranschaulicht Rehder. Also alles, was sich standardisiert und automatisiert bearbeiten lässt.
Digitale Konkurrenz macht Etablierten Druck
Die digitale Konkurrenz schöpft vor allem die einfach zu handhabenden lukrativen Fälle ab. Im Fall von Widersprüchen gegen Hartz-IV-Bescheide bemessen sich die Kosten nach der Gebührenordnung für Anwälte. In Arbeitsrechtsfällen, in denen es beispielsweise um eine Abfindung geht, sichern sich Legal-Tech-Anbieter eine prozentuale Beteiligung an der erstrittenen Summe. „In der Regel stecken keine Fachanwälte hinter den Angeboten, sondern eher wenig spezialisierte Anwälte mit Unternehmergeist“, sagt Britta Rehder.
Das Bochumer Forschungsteam führte und führt derzeit Interviews mit unterschiedlichen Stakeholdern, etwa Anwältinnen, Richtern, Gewerkschaften oder Legal-Tech-Firmen. Insgesamt zeichnen die Forscherinnen bislang ein ambivalentes Bild. „Die Digitalisierung ist auf jeden Fall ein Thema für Anwaltskanzleien, aber der Umgang damit ist sehr unterschiedlich“, schildert Birgit Apitzsch. Natürlich werde Legal Tech als Konkurrenz angesehen. Nicht nur von Anwaltskanzleien, sondern beispielsweise auch von Gewerkschaften, für die die Rechtsberatung ein wichtiger Service zur Mitgliedergewinnung ist. „Allerdings bietet Legal Tech auch einen niedrigschwelligen Zugang für Leute, die sonst vielleicht nie vor Gericht gezogen wären“, so Apitzsch. Gewerkschaften oder Verbände könnten solche Tools also auch nutzen, um Leute zu mobilisieren und Bewegung in bestimmte Themen zu bringen.