Optogenetik Ein neues Werkzeug zur Untersuchung von Prozessen im Kleinhirn
Licht kann eine Signalkaskade im Kleinhirn in Gang setzen. Das erhellt auch Prozesse, die bei kleinhirnbedingten Krankheiten eine wichtige Rolle spielen.
An verschiedenen Erkrankungen, die das motorische Lernen betreffen, sind Prozesse im Kleinhirn beteiligt. Diese besser zu untersuchen, hilft ein neues Werkzeug, das eine Bochumer Arbeitsgruppe entwickelt hat: ein lichtaktivierbares Protein, das mit einem Teil eines erregenden Rezeptors gekoppelt ist. Durch Licht lässt sich dank dieses optogenetischen Werkzeugs ein Signalweg in den Nervenzellen des Kleinhirns aktivieren und seine Auswirkungen beobachten. So konnte die Gruppe um Dr. Ida Siveke aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stefan Herlitze an der Ruhr-Universität Bochum zeigen, dass der Signalweg am kleinhirngesteuerten motorischen Lernen beteiligt ist. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift iSience vom 16. Dezember 2022.
Das Gehirn passt sich an
Eine der faszinierendsten Eigenschaften des menschlichen Gehirns ist seine Fähigkeit zur Plastizität. Damit ist gemeint, dass das Gehirn seine Aktivität an externe und interne Gegebenheiten anpasst. Die Funktion von neuronalen Schaltkreisen sowie Verhalten, Gedanken oder Gefühle können sich dadurch verändern. Neuronale Plastizität kann zum Beispiel durch Entwicklungs- oder krankheitsbedingte Veränderungen des Hormonhaushaltes hervorgerufen werden, aber auch durch Medikamente oder genetische Veränderungen. Um den Einfluss einzelner Gruppen von Nervenzellen oder Rezeptoren darauf zu untersuchen, setzen Forschende optogenetische Methoden ein. Dabei werden lichtaktivierbare Proteine verwendet, um gezielt neuronale Signale zu visualisieren oder Zellfunktionen durch Licht zu steuern.
Für die neuronale Plastizität des Kleinhirns spielt der sogenannte metabotrope Glutamatrezeptor des Typ 1 – kurz mGluR1 – eine wichtige Rolle. Seine Aktivierung führt dazu, dass sich bestimmte Schnittstellen zwischen Nervenzellen, die sogenannten Synapsen, verändern.
Ein Werkzeug hilft ins Kleinhirn zu blicken
„Um die Plastizität im Kleinhirn zu untersuchen und zu modulieren, haben wir zusammen ein optogenetisches Werkzeug entwickelt, mit dem wir durch Licht die mGluR1-Signalkaskade ansteuern können“, berichten Ida Siveke und Tatjana Surdin. Dieses Werkzeug namens OPN4-mGluR1 besteht aus einem lichtempfindlichen Protein, dem Melanopsin oder auch OPN4, das mit einem Teil des mGluR1-Rezeptors gekoppelt ist und in verschiedene Zellen eingebracht und dort hergestellt werden kann. „Damit konnten wir den Signalweg genauso aktivieren, wie es auf natürliche Weise geschieht. Aber jetzt durch Licht“, erklärt Tatjana Surdin. Die Folgen der Aktivierung sind eine Erhöhung der Kalziumkonzentration in den Nervenzellen und eine Zunahme der Aktivität in bestimmten Zellen des Kleinhirns, den sogenannten Purkinjezellen. Durch die Aktivierung des Signalwegs wurde die Funktion einer spezifischen Synapse, der Parallelfaser-Purkinjezell-Synapse, für längere Zeit heruntergeregelt. Auch konnte durch Lichtaktivierung vom Kleinhirn gesteuertes motorisches Lernen verbessert werden. „Somit eröffnet unser Werkzeug OPN4-mGluR1 neue Möglichkeiten zur Untersuchung verschiedener Arten von Kleinhirn-assoziierten Krankheiten, wie spinozerebellären Ataxien, denen eine Dysfunktion der mGluR1-Signalübertragung und der neuronalen Plastizität zu Grunde liegen“, so Ida Siveke.