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Wie Nierenmärkte Menschen unter Druck setzen könnten
Dass in vielen Ländern wesentlich weniger Organe zur Transplantation zur Verfügung stehen, als eigentlich gebraucht werden, ist bekannt. Um das zumindest für gewisse Organe zu ändern, schlagen einige Forschende vor, einen staatlich regulierten Markt zu etablieren, auf dem Menschen freiwillig ihre Niere verkaufen können. Inwiefern der Verkauf einer Niere für in Armut lebende Menschen wirklich freiwillig wäre, hat Christin Hempeler von der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Die Medizinethikern erhielt für ihre Arbeit den Nachwuchspreis der Akademie für Ethik in der Medizin. Hempeler nahm die mit 2.500 Euro dotierte Auszeichnung am 26. September 2024 in Tübingen entgegen.
Argumente für und gegen Nierenmärkte
Die Einführung von Nierenmärkten wird kontrovers diskutiert. „Kritiker*innen eines solchen Marktes wenden unter anderem ein, dass das Angebot, für den Verkauf einer Niere eine große Summe Geld zu erhalten, für in Armut lebende Menschen so unwiderstehlich wäre, dass sie praktisch keine andere Wahl hätten, als es anzunehmen. Somit wäre die Freiwilligkeit ihrer Einwilligung eingeschränkt“, sagt Christin Hempeler. „Befürworter*innen führen hingegen an, dass durch Angebote kein Zwang ausgeübt werden kann, auch wenn sie das Ziel haben, Personen zu einer bestimmten Handlungsweise zu motivieren.“ Diese Sichtweise korrespondiert mit einer Standardtheorie von Zwang in der Medizinethik, der sogenannten Baseline-Theorie von Zwang. Sie besagt, dass Angebote keinen Zwang ausüben können, weil sie lediglich eine neue Handlungsoption eröffnen, ohne vorherige Handlungsoptionen einzuschränken.
Angebote können Zwang ausüben
Christin Hempeler widerspricht dieser Sichtweise. In ihrer Arbeit zeigt sie, dass die Argumentation der Baseline-Theorie im Fall von Nierenmärkten nicht stichhaltig ist. „Es wird nicht berücksichtigt, dass die Einführung des Angebots, eine Niere im Rahmen eines Marktes für viel Geld zu verkaufen, strukturelle gesellschaftliche Veränderungen verursachen würde“, erklärt die Forscherin und führt aus: „Menschen, die in Armut leben, könnten sozialem Druck ausgesetzt sein, ihre Niere zu verkaufen. Oder es könnten staatliche Bemühungen reduziert werden, Armut zu bekämpfen, weil erwartet wird, dass Menschen zunächst ihre Niere verkaufen.“ Daher würden Nierenmärkte nicht nur eine Handlungsoption für in Armut lebende Menschen hinzufügen, ohne vorherige Handlungsoptionen einzuschränken. „Sie würden den gesamten Kontext verändern, in dem Menschen leben und handeln“, folgert die Medizinethikerin.
Standardtheorie von Zwang in bestimmten Kontexten nicht geeignet
Christin Hempeler zeigt in ihrer Arbeit, dass die Baseline-Theorie als Standardtheorie von Zwang nicht geeignet ist, um zu beurteilen, ob das Angebot, eine Niere zu verkaufen, Zwang auf Menschen ausüben würde. Damit zeigt die Wissenschaftlerin eine grundsätzliche Limitation der Theorie auf: nämlich, dass sie potenzielle strukturelle Veränderungen durch Angebote nicht berücksichtigt und damit in manchen Kontexten nicht geeignet ist, um die Freiwilligkeit einer informierten Einwilligung zu beurteilen.
Christin Hempeler
Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin
Ruhr Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 28582
E-Mail: christin.hempeler@ruhr-uni-bochum.de
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1. Oktober 2024
08.40 Uhr