Hans Alves, André Vaz und Moritz Ingendahl (von links) haben sieben aufeinander aufbauende Online-Studien durchgeführt. 

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Psychologie

Warum wir dem Vorwurf des Wahlbetrugs aufsitzen

Liegt ein Kandidat einmal in Führung, kann unser Gehirn diesen Eindruck nicht mehr loslassen. Das beeinflusst unsere Einschätzung von Wahlergebnissen.

Wer einmal bei einer Wahl in Führung liegt, den sieht das Publikum schon als Gewinner. Verliert er dann doch, liegt der Vorwurf des Betrugs nahe, und sogar die Anhänger des Gewinners sind geneigt, sich dem anzuschließen. Grund dafür ist der sogenannte Cumulative Redundancy Bias, kurz CRB. Dieser kognitive Effekt führt dazu, dass wir Schwierigkeiten haben, einmal verarbeitete Informationen zu ignorieren. „Vor allem bei der Kommunikation von Wahlergebnissen in den USA spielt dieser Effekt eine nicht zu unterschätzende Rolle“, sagt Dr. Moritz Ingendahl vom Lehrstuhl Soziale Kognition der Ruhr-Universität Bochum mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2020. Die Forscher berichten in der Zeitschrift Psychological Science vom 24. Juli 2025.

Effekt spielte Trump in die Hände

„Stop the count“ forderte Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2020 in den USA, als er in den Auszählungen zu Beginn in einigen Staaten deutlich vor seinem Konkurrenten Joe Biden lag. Er präsentierte sich schon als Gewinner – obwohl die Auszählungen noch gar nicht abgeschlossen waren und er die entsprechenden Staaten schließlich doch noch verlor. Seinem Vorwurf, es sei bei den Wahlen betrogen worden, folgten viele seiner Anhänger, was im Sturm auf das Capitol im Januar 2021 gipfelte. Einige Jahre später sind immer noch über ein Drittel aller Amerikaner davon überzeugt, bei der Wahl sei betrogen worden. 

Dabei spielte Trump der Cumulative Redundancy Bias in die Hände, wie das Bochumer Team um Dr. André Vaz, Dr. Moritz Ingendahl und Prof. Dr. Hans Alves in sieben teils aufeinander aufbauenden Studien belegen konnte. Die Forscher führten im Sommer 2024 Online-Studien mit je rund 200 Personen aus Großbritannien und den USA durch, für die sie teils erfundene, teils echte Zwischen- und Endergebnisse von Stimmauszählungen verwendeten. 

Zwischenergebnisse in umgekehrter Reihenfolge

Sie zeigten den Teilnehmenden jeweils Zwischenergebnisse und das Endergebnis einer Stimmauszählung, bei denen ein Kandidat früh deutlich vor dem anderen lag, später jedoch überholt wurde und die Wahl verlor. „Die Versuchspersonen schätzten daraufhin den frühen Favoriten als besser ein, auch wenn er die Wahl schließlich verlor“, berichtet Moritz Ingendahl. „Der Wahlgewinner wurde als schlechter eingeschätzt, wenn er erst spät die Führung übernahm.“ Präsentierten die Forschenden den Teilnehmenden die Auszählungsergebnisse in zeitlich umgekehrter Reihenfolge, kehrten sich die Einschätzungen um. 

In einer Folgestudie gingen die Forschenden ebenso vor, ließen die Teilnehmenden aber zusätzlich nach dem Ende der Auszählung wissen, dass es Gerüchte um möglichen Wahlbetrug gäbe. „Wie vermutet, fanden es die Teilnehmenden wahrscheinlicher, dass bei der Wahl betrogen worden war, wenn der Gewinner erst spät die Führung übernommen hatte“, so Moritz Ingendahl. 

Konfrontierten die Forschenden die Versuchspersonen noch während der laufenden Auszählung mit dem Gerücht des Wahlbetrugs, so fanden sie es wahrscheinlich, dass der Betrug zulasten des aktuell führenden Kandidaten stattgefunden hatte. „Diese Einschätzung ist unabhängig davon, welchem Kandidaten jemand anhängt“, unterstreicht Moritz Ingendahl. In einer der Studien präsentierten sie US-Amerikanischen Teilnehmenden die echten Auszählungsergebnisse des Bundesstaats Georgia in zeitlich korrekter und umgekehrter Reihenfolge. Joe Biden ging hier sehr spät in Führung und gewann die Wahl schließlich, nachdem Donald Trump lange führend gewesen war. „Demokraten und Republikaner waren gleichermaßen geneigt anzunehmen, dass bei der Wahl betrogen worden war, wenn sie die echte zeitliche Reihenfolge der Zwischenergebnisse sahen“, so Ingendahl. 

Das Vertrauen verbessern

Die Berichterstattung über Wahlergebnisse hat somit nachweislich Einfluss auf das Vertrauen in die Wahl. „Falsche Überzeugungen in Bezug auf illegitime Wahlen könnten abgeschwächt werden, wenn die Ergebnisse erst nach Auszählung aller Stimmen bekannt gegeben würden“, fassen die Forscher zusammen. Sie schlagen außerdem eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit über die Faktoren vor, die zu bestimmten Verläufen bei der Stimmenauszählung führen. Bessere Prognosealgorithmen könnten die Kommunikation von Teilergebnissen, die nicht mit dem Endergebnis übereinstimmen, ebenfalls verhindern. 

Förderung

Die Arbeiten wurden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Förderkennzeichen 538466518).

Originalveröffentlichung

André Vaz*, Moritz Ingendahl*, André Mata, Hans Alves: “Stop the Count!” – How Reporting Partial Election Results Fuels Beliefs in Election Fraud, in: Psychological Science, 2025, DOI: 10.1177/09567976251355594
*geteilte Erstautorenschaft

Pressekontakt

Dr. Moritz Ingendahl
Soziale Kognition
Fakultät für Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 19545
E-Mail: moritz.ingendahl@ruhr-uni-bochum.de 

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Veröffentlicht

Freitag
25. Juli 2025
09:26 Uhr

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