Das Bochumer Autorenteam: Johanna Woitzel, Moritz Ingendahl, Anna Schulte, Hans Alves (von links)

© RUB, Marquard

Psychologie

Das Dilemma der Minderheiten in Medienberichten

Ein kognitives Prinzip führt dazu, dass die Zugehörigkeit zu einer Minderheit in den Medien häufig erwähnt wird. Da Nachrichten meist negativ sind, verzerrt das den Blick auf die Menschen.

In Medienberichten wird häufig die Zugehörigkeit von Personen zu Minderheitengruppen, etwa bezüglich des Herkunftslandes, ausdrücklich erwähnt. Mehrheitszugehörigkeiten dagegen meist nicht. Kommen darin Vorurteile gegenüber Minderheiten zum Ausdruck? Eher nicht, belegt eine Studie mit über 900 Teilnehmenden. Verantwortlich ist ein grundlegendes kognitives Prinzip der Differenzierung: Menschen neigen dazu, seltene oder auffällige Merkmale eher zu bemerken und zu kommunizieren als häufige und redundante Merkmale. Künstliche Intelligenz übrigens auch – sogar noch stärker. Darüber berichtet ein Team aus der Sozialpsychologie der Ruhr-Universität Bochum um Dr. Anna Schulte in der Fachzeitschrift „Social Psychological and Personality Science“ vom 1. Dezember 2025.

Das Forschungsteam führte fünf Studien mit insgesamt über 900 Teilnehmenden sowie eine Analyse sechs großer Sprachmodelle wie ChatGPT durch. In einer der Studien erhielten die US-amerikanischen Teilnehmenden eine fiktive FBI-Pressemitteilung zu einem kriminellen Vorfall inklusive Täterbeschreibung (Alter, Geschlecht, Gewicht, Größe, Herkunftsland, Kleidung, weitere Merkmale). Die Zugehörigkeit des Täters zu einer gesellschaftlichen Mehrheit oder Minderheit wurde über das Herkunftsland systematisch variiert: Entweder stammte der Täter aus den USA (Mehrheit) oder aus einem der Länder mit den größten Einwanderungsgruppen in den USA (Mexiko, Indien, China, Philippinen, El Salvador, Vietnam, Kuba, Dominikanische Republik, Guatemala, Korea; zufällige Zuweisung).

Minderheitenzugehörigkeit wird auch in positivem Zusammenhang häufiger erwähnt

Die Teilnehmenden sollten die Informationen in einem kurzen Text für einen Nachrichtenartikel zusammenfassen. Die Forschenden werteten aus, ob die Herkunft des Täters erwähnt wurde oder nicht. „Die Ergebnisse zeigten, dass die Herkunft mehr als dreimal so häufig genannt wurde, wenn der Täter einer Minderheit angehörte – unabhängig davon, ob die Teilnehmenden selbst einer Minderheit angehörten“, berichtet Anna Schulte. 

Da dieser Befund auch durch motivationale Erklärungen wie Vorurteile erklärbar sein könnte, wurde die Studie mit positiven Ereignissen wiederholt. Diesmal ging es statt um kriminelle Vorfälle um Lottogewinne oder wissenschaftliche Durchbrüche. Hier zeigte sich der Effekt noch deutlicher: Die Herkunft der Hauptperson wurde fast viermal so häufig erwähnt, wenn die Person einer Minderheit angehörte. „Diese Studie ist besonders zentral, da sie zeigt, dass es primär um die kommunikative Hervorhebung distinkter Merkmale geht und nicht um eine spezifisch negative Darstellung von Minderheiten“, unterstreicht Anna Schulte. 

KI geben Tendenzen übergeneralisiert wieder

Das Forschungsteam ließ dieselbe Aufgabe außerdem von sechs verschiedenen KI-Sprachmodellen bearbeiten. Dazu wurden je 1.000 negative und positive Szenarien erstellt und den Modellen als Prompts vorgelegt, mit der Aufforderung, die Informationen für einen Nachrichtenartikel zusammenzufassen. Ergebnis: KI-Modelle erwähnen die Minderheitenzugehörigkeit noch häufiger als Menschen, sowohl in negativen als auch in positiven Kontexten. Warum sie diese Tendenz stärker zeigen, ist noch nicht eindeutig geklärt. „Die Befunde legen nahe, dass KI-Modelle statistische Muster aus ihren (von Menschen erzeugten) Trainingsdaten übernehmen und dabei bestehende Kommunikationstendenzen übergeneralisiert wiedergeben. Hier besteht jedoch noch weiterer Forschungsbedarf“, so Anna Schulte. 

Das Dilemma

„Die Ergebnisse sprechen dafür, dass keine bewusste Abwertung von Minderheitengruppen stattfindet“, folgert Schulte. Die Forschenden sehen eher ein grundlegendes kognitives Prinzip hinter der übermäßigen Betonung von Minderheitsmerkmalen. Dennoch führt diese Tendenz dazu, dass Minderheitengruppen in den (meist negativen) Medienkontexten überproportional sichtbar werden. „Ein Phänomen, das wir als ‚Minderheitendilemma‘ bezeichnen“, erklärt die Forscherin. 

Was Medienschaffende tun können

Medienschaffende, die sich des Effekts bewusst sind, können ihn theoretisch abmildern, indem sie konsequent entweder immer oder nie die Herkunft erwähnen. Beide Ansätze sind jedoch problematisch: Da Menschen generell an distinkten Informationen interessiert sind, kann das Weglassen solcher Angaben das Vertrauen in eine Nachrichtenquelle mindern. Umgekehrt kann das durchgängige Nennen aller Merkmale von allen Tätern den Eindruck erzeugen, dass überflüssige und unwichtige Informationen vermittelt werden, was das Vertrauen in die Nachrichtenquelle ebenfalls schwächen kann. „Eine mögliche Intervention wäre, stattdessen andere distinkte Merkmale wie etwa die Geburtsstadt der betreffenden Person zu berichten. Diese könnte auch bei Mehrheitsangehörigen ausreichend unterscheidend und informativ wirken. Solche Maßnahmen wollen wir in einem Folgeprojekt systematisch untersuchen“, sagt Anna Schulte. Eine weitere wichtige Implikation betrifft den Einsatz von KI in der Nachrichtenerstellung: Da KI-Modelle bestehende Verzerrungen in den Trainingsdaten nicht nur reproduzieren, sondern teils sogar verstärken, sollten Redaktionen, die KI zur Textgenerierung nutzen, sich dieser Risiken bewusst sein.

Originalveröffentlichung

Anna Schulte, Moritz Ingendahl, Johanna Woitzel, Hans Alves: The Minority Dilemma in Communication – Why Minority Labels are Overrepresented in News Coverage, in: Social Psychological and Personality Science, 2025, DOI: 10.1177/1948550625139

Pressekontakt

Dr. Anna Schulte 
Soziale Kognition 
Fakultät Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: a.schulte@ruhr-uni-bochum.de

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Veröffentlicht

Dienstag
02. Dezember 2025
09:29 Uhr

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