
Arne Ludwig an der Molekularstrahlepitaxie-Anlage der Ruhr-Universität Bochum, mit der er das Elektronengas für die Studie erzeugte
Quantenphysik
Ein Teilchenbeschleuniger im Miniaturformat
Teilchenbeschleuniger erstrecken sich normalerweise über viele Kilometer. Ein Physik-Team hat nun ähnliche Effekte wie im Beschleuniger auf einem winzigen Chip erzeugt.
Ein internationales Forschungsteam aus der Physik hat neue Erkenntnisse gewonnen, wie sich Elektronen kollektiv in winzigen Quantenbauteilen verhalten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum, des Institut polytechnique (INP) de Grenoble und der Universität Lettland erzeugten Elektronen-Tröpfchen auf einem Chip, die wie ein Nano-Teilchenbeschleuniger wirkten. Damit zeigte die Gruppe, dass Elektronen eine Art Coulomb-Flüssigkeit bilden, also einen stark korrelierten Zustand, in dem sie kollektiv agieren. Die Erkenntnisse bereiten den Weg zu neuen Entdeckungen im Bereich der Quantenmaterialien und der Simulation exotischer Materiezustände. Die Forschenden berichten über ihre Versuche in der Zeitschrift Nature, online veröffentlicht am 25. Juni 2025.
Elektronen sausen an der Weggabelung gemeinsam weiter
Herzstück des Experiments war ein zweidimensionales Elektronengas, das das Team um Dr. Arne Ludwig am Lehrstuhl von Prof. Dr. Andreas Wieck von der Ruhr-Universität Bochum mit Molekularstrahlepitaxie züchtete. Diese ultrasaubere Plattform ermöglichte es den Forschenden des INP Grenoble, Bauteile mit rekordverdächtig geringem Rauschen herzustellen. In diesen konnten sie Elektronen eingrenzen und mit akustischen Oberflächenwellen manipulieren. Die entstehenden Tröpfchen enthalten jeweils nur eine Handvoll Elektronen. Mit Methoden aus der Hochenergiephysik beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sich die Elektronen-Tröpfchen an einer Y-förmigen Verzweigung auf dem Chip aufteilten.
Das Ergebnis: Bereits bei drei bis fünf Elektronen zeigten sich deutliche Anzeichen für kollektives Verhalten. Es entstand ein stark korrelierter Zustand, in dem sich die Elektronen gemeinsam bewegen und der an die kollektiven Phasen in viel größeren Systemen erinnert. Das Studienteam sieht darin eine Analogie zu dem Verhalten der Quark-Gluon-Materie, die in den größten Teilchenbeschleunigern der Welt erzeugt wird.
„Wir sehen einzigartige Anzeichen, dass kollektives Verhalten – das normalerweise bei Tausenden oder Millionen von Teilchen beobachtet wird – auch mit wenigen Elektronen auftritt“, erklärt das Team. „Das spiegelt die nicht komprimierbare flüssige Phase von Hadronen wider, die durch Kernkräfte gebunden sind – aber jetzt auf einem Chip und bei ultra-niedrigen Energien.“
Kollektives Verhalten in kleinen Systemen untersuchen
Theoretische Arbeiten der Universität Lettland halfen dabei, die Daten zu interpretieren. Sie zeigten, dass die beobachtete Elektronen-Antibündelung als eine Form der antiferromagnetischen Ordnung verstanden werden kann.
Die Forschung bringt nicht nur das Verständnis stark korrelierter Elektronensysteme und der Quantenelektronenoptik voran, sondern eröffnet auch neue Wege zur Simulation der Physik der Quark-Gluon-Materie und anderer exotischer Zustände mithilfe von chipbasierten Bauteilen. Die Fähigkeit, kollektives Verhalten in solch kleinen Systemen zu entwickeln und zu untersuchen, könnte weitreichende Auswirkungen auf die Quantentechnologie haben.
Künftig möchte das Team seine Methode weiter optimieren, um noch exotischere korrelierte Zustände zu erforschen und zu zeigen, wie Fortschritte in der Materialentwicklung, der Gerätetechnik und der Theorie zusammenkommen können, um einige der faszinierendsten Fragen der modernen Physik zu beantworten.