Erfolgreiche Lehre Statistik und gute Laune – eine unmögliche Kombination?
Nein, lautet die klare Antwort von Katja Serova. Sie und ihr Team arbeiten daran, das Statistikmodul für Erziehungswissenschaftler zu verbessern – mit Leidenschaft und mit Erfolg.
Viele Studierende in den Geisteswissenschaften sind nicht gerade Fans von Statistik. Das spiegelt sich oft in den Klausurergebnissen wider. Dr. Katja Serova, Oberstudienrätin am Institut für Erziehungswissenschaft, wollte das nicht einfach hinnehmen. Seit Jahren optimiert sie mit ihrem Team die Statistiklehre.
Frau Serova, Sie und Ihr Team haben es sich zur Mission gemacht, die Statistiklehre für Erziehungswissenschaftler zu verbessern. Was ist Ihre Motivation?
Es gibt eine sehr verbreitete Meinung, dass bei bestimmten Kursen – und Statistik gehört dazu – hohe Durchfallquoten unvermeidlich sind. Aber wenn ich einen Stapel Klausuren korrigiere, und 40 Prozent sind durchgefallen, dann ist das frustrierend – sowohl für die Studierenden als auch für mich als Dozentin.
Hinzu kommt, dass es eine Katastrophe für die Seminarplanung ist. Denn die 40 Prozent, die durchgefallen sind, kommen wieder. Das bedeutet zusätzliche Seminargruppen nur wegen der hohen Durchfallquote. Außerdem tragen häufige Misserfolgserlebnisse nicht unbedingt zu besserer Stimmung im Kurs bei. Also haben wir versucht, etwas anders zu machen.
Und das mit Erfolg.
Wir haben das Lehrkonzept überdenken müssen. Zum Glück bin ich mit kreativen und tatkräftigen Kolleginnen und Kollegen bei den Erziehungswissenschaftlern gesegnet, die dieses arbeitsreiche Vorhaben mitgetragen haben. Jetzt bestehen mehr Studierende die Abschlussklausur, die Durchschnittsnoten sind besser, und weniger Leute brechen das Modul ab – und das, ohne dass wir die Standards gesenkt haben. Wir haben das inhaltliche Programm sogar erweitern können. Allerdings geht es uns nicht nur darum, Fachwissen zu vermitteln.
Worum denn noch?
Wir wollen, dass sich die Einstellung der Studierenden zu statistischen Methoden ändert. Viele bringen von der Schule die Überzeugung mit, dass sie eh keine Mathe können. Dagegen müssen wir ankämpfen. Natürlich können wir nicht in 15 Wochen die Persönlichkeiten grundlegend verändern. Aber wir können den Studierenden die Tür zur Statistik öffnen, sodass sie keine Angst haben und denken: Vielleicht ist das doch ganz interessant.
Ich möchte, dass die Studierenden meinen Kurs mit guter Laune verlassen.
Unser Ziel ist, dass sich auch diejenigen, die am Ende möglicherweise nicht die beste Note bekommen, durchkämpfen und auf ihre Leistung stolz sind. Ich möchte also nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch dass die Studierenden meinen Kurs mit guter Laune verlassen.
Das klingt nach einem ehrgeizigen Unterfangen. Wie sind Sie es angegangen?
Anfangs haben wir einfach Sachen ausprobiert. Man muss sich das wie eine riesige Maschine vorstellen, in der man mal hier, mal da schraubt. Vor zwei Jahren haben wir eine konzeptionelle Lösung entwickelt, die unsere Bemühungen theoretisch rahmt. Wir berufen uns auf das Verständnis der Qualität als Transformationsprozess, gerade weil es für Bildungsprozesse als besonders geeignet gilt. Darauf basierend haben wir ein Forschungsprojekt aufgebaut und systematisch untersucht, welche Effekte unsere Veränderungen in der Statistiklehre haben.
Welche Maßnahmen haben Sie konkret ergriffen?
Wir teilen die Studierenden zu Beginn der Lehrveranstaltung in Gruppen von drei bis vier Personen ein. Die Gruppen sind so zusammengesetzt, dass sie einen Mindeststandard erreichen im Hinblick auf Wissen, Motivation und die Ansicht, dass Statistik etwas bringt. Die notwendigen Daten dafür erfassen wir bei einem Test vorab. Aus Erfahrung wissen wir, dass durch die Gruppenbindung die Abbrecherquote sinkt und Selbstverantwortung gefördert wird.
Außerdem war es ein Problem, dass es für die Studierenden keine Auswahl an Lernmöglichkeiten gab, nur Vorlesungen und Übungen. Das ist ja so, als würden wir ihnen zwei Lehrbücher anbieten, ein kleines blaues und ein großes rotes – das ist doch keine Auswahl. Jetzt gibt es zusätzlich Tutorien, Sprechstunden mit den Tutoren, betreute Lerngruppen, Beispiel-Klausuraufgaben mit und ohne Lösungen und zwei Arten von Online-Tests zum aktuellen Stoff, die man allein am Rechner machen kann und zu denen man sofort Feedback bekommt.
Uns ist dabei sehr wichtig, dass sich die Studierenden einerseits ihren eigenen Mix aus den Lernmethoden zusammenstellen können, und andererseits, dass sie von uns Feedback zu ihrem Lernfortschritt bekommen – kontinuierlich, schnell und gnadenlos.
Das passiert in den Sprechstunden und durch die Online-Tests?
Nicht nur. Wir schreiben in der Vorlesung mehrmals unangekündigte Tests, die in der Regel innerhalb von einem Tag korrigiert werden. Am Anfang macht das viele der Studierenden nervös. Ich sage dann: Wenn Sie wollen, können Sie mich dafür hassen. Solange wir diese Tests haben, hassen Sie mich aber nur ein Semester lang – dann werden Sie die Klausur bestehen. Übrigens, in den Evaluationen am Ende des Semesters werden die Tests stets als sehr lernförderlich eingeschätzt.
Für viele ist es eine völlig neue Erfahrung, einmal mehr in Statistik zu wissen als andere.
Sie sagten, Sie möchten nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch die persönliche Einstellung der Studierenden verändern. Gibt es auch dafür konkrete Maßnahmen?
In der Übung machen wir die Gruppen zum Beispiel für unterschiedliche Themen zu Expertenteams. Das Team muss eine Aufgabe lösen und den anderen die Lösung mit einem spielerischen Einstieg demonstrieren. Zuerst kriegen die Leute meistens eine Krise. Aber die Tutoren und wir Dozenten unterstützen sie dabei. Letztendlich ist es für viele eine völlig neue Erfahrung, einmal mehr in Statistik zu wissen als andere.
Sie und Ihr Team führen nicht nur Maßnahmen durch, sie entwickeln und analysieren diese auch in der Begleitforschung. Gibt es schon empirische Ergebnisse?
Ja, aus dem Wintersemester 2015/16. Wir sehen, dass die Studierenden ihr Fachwissen erweitert und vertieft haben. Aber der Aufwand hat sich aus noch mehr Gründen gelohnt: Die Studierenden erleben nun ihre eigene Kompetenz in Bezug auf Statistik anders. Auch ihr Empfinden von Druck und Anspannung im Statistikunterricht hat sich positiv entwickelt.
Außerdem haben wir untersucht, wie Studierende Erfolg und Misserfolg im Statistikunterricht attribuieren, also welche Ursachen sie dem zuschreiben. Es ist ein Unterschied, ob ich sage: Ich war schlecht, weil ich sowieso zu blöd für Statistik bin. Oder: Ich war schlecht, weil ich nicht genug gelernt habe. Aus der Begleitforschung wissen wir, dass sich die Studierenden am Ende des Kurses ihrer eigenen Begabung sicherer sind. Sie machen auch die Schwierigkeit des Statistikkurses weniger für ihre Ergebnisse verantwortlich.
Auch wenn wir leider nicht verhindern können, dass einige bei der Klausur untergehen, tun wir alles dafür, dass sie mit guter Laune untergehen und denken: Okay, das ist machbar, aber ich muss nächstes Mal mehr lernen.
Ist es auch ein Problem, dass viele nicht einsehen, warum sie überhaupt Statistik lernen sollen?
Einige denken sicher: Was habe ich falsch gemacht, dass ich Statistik lernen muss? Wir wollen, dass sie sich trotzdem auf das Seminar einlassen. Wir erwarten nicht, dass sie zu Beginn verstehen, wofür sie es brauchen. Ich sage den Studierenden, dass sie Vertrauen haben müssen, dass sie es am Ende verstehen werden.
Wir wollen nicht, dass die Studierenden Brechreiz bekommen, wenn sie einen Mittelwert sehen.
Egal ob unsere Studierenden später Lehrer werden oder den Master of Arts machen, wir wollen, dass sie immer wieder wissenschaftliche Artikel lesen und verstehen, was darin steht. Und nicht, dass sie Brechreiz bekommen, wenn sie einen Mittelwert sehen.
Könnten Ihre Maßnahmen auch ein Modell für andere Fachbereiche sein?
Ja. Allerdings geht es nicht ohne finanzielle Mittel. Unser Institut unterstützt uns sehr bei unseren Maßnahmen. Sie kosten natürlich Geld. Man muss bereit sein zu investieren, sonst geht es nicht.