Eva Günzel (links) und Yeliz Güler forschen zum NRWege-Programm.

© RUB, Marquard

NRWege Wie Studierende mit Fluchterfahrung den Weg durch das Studium meistern

Seit 2016 setzt sich Eva Günzel für geflüchtete Menschen ein – zunächst als ehrenamtliche Deutschlehrerin, später als studentische Mitarbeiterin im International Office. 

Seit 2023 koordiniert Eva Günzel die Studie „NRWege ins Studium.Ruhr“ an der Fakultät für Sozialwissenschaft und erforscht zusammen mit ihrer Kollegin Yeliz Güler die Unterstützung Studierender mit Fluchterfahrung an Hochschulen.

In ihrem Forschungsprojekt hat sie Teilnehmende sowie Projektkoordinatorinnen und Projektkoordinatoren von sieben Hochschulen im Ruhrgebiet interviewt und die Ergebnisse analysiert. Die Ergebnisse haben Günzel und Güler auf dem diesjährigen NRWege-Netzwerktreffen Ende Februar vorgestellt. 

Im Gespräch gibt Günzel Einblicke in die Entwicklung und Herausforderungen des Programms.

Frau Günzel, wie sind Sie dazu gekommen, sich für geflüchtete Studierende zu engagieren?
2016 habe ich angefangen, ehrenamtlich Deutschkurse zu geben. Dabei habe ich schnell enge und freundschaftliche Beziehungen zu den Teilnehmenden aufgebaut. Wir haben viel gesprochen, uns über Sorgen und Wünsche ausgetauscht, und ich habe einen tiefen Einblick in ihre Herausforderungen bekommen. In meinem Studium habe ich mich auf die Themen Flucht und Migration konzentriert und mich nach meinem Masterabschluss mit Migrantenorganisationen beschäftigt. 2023 bin ich wieder beim NRWege-Programm gelandet – diesmal mit einer wissenschaftlichen Perspektive.

Hat sich das NRWege-Programm über die Jahre hinweg verändert?
Ja, definitiv. Anfangs mussten die Mitarbeitenden der International Offices sehr spontan reagieren. Eine Kollegin berichtete, dass plötzlich Werbung im Radio für das Programm gemacht wurde und daraufhin viele Menschen vor der Tür standen. Mittlerweile sind die Strukturen professionalisiert und besser etabliert, nicht nur an unserer Uni, sondern auch an anderen beteiligten Hochschulen. Allerdings wird die gesellschaftliche und politische Lage restriktiver, was die Arbeit nicht einfacher macht. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und den geflüchteten Studierenden selbst essenziell.

Ohne das Stipendium hätten viele das Studium nicht geschafft. 

Welche Herausforderungen für die Studierenden wurden in Ihrer Studie besonders häufig genannt?
Die häufigste Herausforderung betrifft die Studienorganisation. Die vorbereitenden Kurse bieten eine klare Struktur, doch mit dem Wechsel an die Fakultäten fällt dieser Rahmen weg, was überfordern kann – besonders an großen Universitäten. Ein weiteres Problem ist die Fachsprache: Die Deutschkurse sind zwar sehr hochwertig, können aber nicht alle spezifischen Fachbegriffe abdecken. Zudem sprechen Professor*innen in den Vorlesungen oft schneller und komplexer als in den Sprachkursen.

Dazu kommt der soziale Aspekt: Viele geflüchtete Studierende empfinden es als schwierig, mit Kommiliton*innen ohne internationalen Hintergrund in Kontakt zu kommen. Darüber hinaus gibt es viele außeruniversitäre Belastungen wie psychische Herausforderungen durch Fluchterfahrungen, Sorgen um Familien in Krisengebieten oder finanzielle Engpässe durch fehlendes Bafög und prekäre Nebenjobs.

Gibt es konkrete Verbesserungsvorschläge für das Programm?
Ein zentraler Punkt ist der Ausbau der finanziellen Unterstützung durch Stipendien. Das entlastet die Studierenden enorm. Zudem wäre es hilfreich, vertiefende Einführungstutorien und Fachsprachkurse auszubauen. An kleinen Hochschulen gibt es bereits wöchentliche Online-Treffen, in denen Studierende Fragen stellen können. Solche Formate könnten auch an großen Universitäten verstärkt angeboten werden.

Außerdem könnte der soziale Austausch gezielter gefördert werden. In den Vorbereitungsphasen gibt es Sprachcafés, Exkursionen und gemeinsame Events – im regulären Studium nimmt das jedoch oft ab. Hier könnten Fachschaften eine aktivere Rolle spielen, indem sie internationale Studierende in ihre Veranstaltungen einbinden.

Engagieren

An der Uni gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich mit und für Internationale Studierende zu engagieren. Einen guten Überblick bietet die Seite Jobs, Praktika und Engagement im International Office.



Die Programmteilnehmenden entwickeln Strategien, um mit Herausforderungen umzugehen: Sie bilden Netzwerke, tauschen sich aus und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen an andere weiter. Viele engagieren sich nach erfolgreichem Abschluss selbst im Programm. Es ist wichtig, die Strategien und Perspektiven der Studierenden, Programmkoordinatorinnen und -Koordinatoren sowie den Mitarbeitenden der Fakultäten zusammenzudenken, um das Programm weiter nachhaltig zu gestalten.

Wie tauschen sich die Hochschulen untereinander aus?
Der Austausch funktioniert bereits gut, besonders im Ruhrgebiet gibt es enge Netzwerke. Informelle Treffen und der direkte Austausch per Telefon helfen, Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Zudem gibt es an unserer Uni ein schönes Best-Practice-Beispiel zur Teilhabe der Studierenden: Den Studienspur-Beirat. Hier werden jedes Semester Vertreter*innen der Programmteilnehmenden gewählt, die beraten, Feedback geben und die Anliegen der Studierenden an die Programmleitung weitertragen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Programms?
Vor allem, dass es langfristig gesichert bleibt und nicht durch Kürzungen gefährdet wird. Eine stabile Finanzierung wäre essenziell, damit nicht immer wieder neue Projektgelder beantragt werden müssen. Ich wünsche mir, dass die Studierenden weiterhin starke Netzwerke aufbauen können – sowohl mit ihren Kommiliton*innen als auch mit Hochschulmitarbeitenden und Lehrenden.

Darüber hinaus wären eine frühere Arbeitserlaubnis, eine vereinfachte Bafög-Beantragung und Sensibilisierungstrainings für Lehrende hilfreich. Viele Studierende berichten von Diskriminierungserfahrungen. Sie wollen sich wehren und ausdrücken können, was zeigt, wie wichtig Sprachkurse nicht nur für das Studium, sondern auch für die gesellschaftliche Teilhabe sind. Ich hoffe, dass diese Punkte in Zukunft mehr Beachtung finden.

Über NRWege ins Studium

  • Das Programm wurde 2016 vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW ins Leben gerufen.
  • An der Ruhr-Universität werden aktuell 233 Studierende durch NRWege gefördert.

Veröffentlicht

Dienstag
04. März 2025
15:23 Uhr

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