Gründeridee „Die Fußballvereine müssen neue Wege gehen“
Zwei Doktoranden berechnen, wie wichtig Fußballspieler für ihre Mannschaft sind. Das Ergebnis hat sie überrascht. Und die Spieler auch.
Für ihre Promotion hantieren Michael Senske und Patrick Balzerowski mit großen Datenmengen. Als Biochemiker und Chemiker im Exzellenzcluster Resolv untersuchen sie, wie Lösungsmittel mit gelösten Molekülen wechselwirken. Privat interessiert sie aber eher die Chemie auf dem Fußballfeld. Methodisch ist es für die beiden dabei egal, ob es um ein bestimmtes Protein in einer lebenden Zelle geht oder einen Fußballspieler in seiner Mannschaft. So entwickeln sie einen Algorithmus, der berechnet, wie wertvoll ein einzelner Spieler für sein Team ist.
Fußball ist die verrauschteste Sportart, die es gibt.
Patrick Balzerowski
„Im Vergleich zu anderen Sportarten ist es beim Fußball besonders schwer, den Wert einzelner Spieler zu ermitteln“, sagt Balzerowski. In den Worten eines Naturwissenschaftlers erklärt er das so: „Fußball ist die verrauschteste Sportart, die es gibt.“ Es reiht sich nicht Standardsituation an Standardsituation, wie etwa beim American Football oder beim Baseball, wo der Spielablauf sehr strukturiert ist. Stattdessen ist das Spiel dynamisch und von vielen Zufallsereignissen geprägt.
Von der Komplexität wollten sich die leidenschaftlichen Fußballanhänger aber nicht abhalten lassen. So tüftelten VfL-Bochum-Fan Senske und Schalke-Fan Balzerowski in jeder freien Minute, die ihnen die Promotion ließ, an ihrem Algorithmus. „Während der letzten Transferperiode haben wir nach acht Stunden im Labor noch acht Stunden zuhause programmiert“, erinnern sie sich.
Im ersten Anlauf nutzten die beiden einfache Daten aus dem Internet: Aufstellung, Tore, Platzverweise und Auswechslungen sowie deren Zeitpunkte. Das reicht aus, um zu berechnen, welchen Einfluss ein Spieler auf die Saisonleistung der Mannschaft hat. „Wir schauen also, wie gut ein Team abschneidet, wenn Spieler XY auf dem Platz ist. Die Analyse spuckt am Ende eine einzige Zahl aus, einen Player Impact“, so Senske.
Beim VfL Bochum war dieser Wert zum Beispiel für Onur Bulut besonders hoch – ein Spieler, der in anderen Statistiken bislang nicht herausgestochen war. „Ich war selbst ein wenig überrascht von den Ergebnissen der Analyse, aber habe mich natürlich gefreut, dass ich bei der Datenauswertung so gut abgeschnitten habe“, sagt Bulut, der inzwischen zum SC Freiburg gewechselt ist.
In Kooperation mit dem VfL Bochum wollen Senske und Balzerowski in Zukunft eine noch ausgefeiltere Datenauswertung testen, in die umfangreiche Statistiken einfließen sollen, die der Verein zur Verfügung stellt. Aber selbst mit den einfachen Daten haben die Forscher schon interessante Ergebnisse erzielt. Ob Bundesliga oder Regionalliga: Spieler, die in der Analyse als wertvoll auffielen, wechselten nachher häufig zu einem besseren Verein. „Wir waren selbst überrascht von den Ergebnissen“, erzählt Balzerowski. „Aber scheinbar sehen wir in unserer Analyse auch das, was die Scouts sehen.“
Wir können eine unbekannte Liga in einer Stunde analysieren.
Michael Senske
Der Vorteil: Der Bochumer Algorithmus ist schnell. „Wir können eine unbekannte Liga in einer Stunde analysieren und identifizieren, wer die wertvollsten Spieler sind“, erklärt Senske. Das funktioniere natürlich nur für Personen, die auch eine gewisse Spielzeit, etwa 400 bis 500 Minuten pro Saison, absolvierten. Sonst sei die Datenlage zu dünn, um eine verlässliche Aussage zu treffen.
Mit Daten zum Erfolg
Umfangreiche Trackingdaten werden in Deutschland bislang nur in der ersten und zweiten Bundesliga aufgezeichnet. „Aber was macht ein Verein in der dritten Liga, der sich verbessern möchte?“, fragt Patrick Balzerowski. „Da hilft unsere Analyse: Mit einfachsten Spieldaten können wir Schlüsselspieler identifizieren.“ So kann ein Verein schnell erkennen, wer im Kader viel zum Mannschaftserfolg beiträgt und nicht verkauft werden sollte – und wer ein interessanter Zukauf von einem anderen Club sein könnte.
„NRW ist das wichtigste Fußballbundesland“, meinen die Wissenschaftler. Aber viele Vereine – Duisburg, Essen, Wattenscheid, um nur ein paar zu nennen – sind nicht mehr so erfolgreich wie früher. „Sie müssen vielleicht einfach einmal neue Wege gehen, um den Anschluss nach oben nicht zu verlieren. Im Ausland wird teilweise schon wesentlich mehr mit Daten gearbeitet als bei uns“, sagt Senske, der die Ruhrgebietsclubs nur zu gerne im Aufwind sehen würde. Vielleicht kann die Bochumer Idee eines Tages helfen.