Biologie Warum sich ein altes Botanik-Buch als echter Schatz erwies
Die Suche nach einem 188 Jahre alten Buch führte einen RUB-Botaniker bis Sankt Petersburg. Erfolg hatte er dort nicht. Dafür half der Zufall einige Jahre später.
Vorsichtig holt Annika Fink das Buch aus dem Regal in der Fachbibliothek der Biologie. So unscheinbar es auch mit seinem schlichten braunen Einband aussieht, ist es für Botanikerinnen und Botaniker und Bibliothekare ein echter Schatz, denn es ist eine seltene und kostbare Erstausgabe aus dem Jahr 1831.
Keine Seite darf knicken, das Papier nicht reißen. Fingerspitzengefühl ist gefragt. „Öffentlich zugänglich ist das Buch daher nicht“, erklärt Fink. Stattdessen bewahrt die Bibliothekarin es im geschlossenen Magazin auf, zu dem allein Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek Zugang haben und das Buch nur auf Anforderung zum Lesen herausgeben.
Das Buch, das Innen wie Außen sichtbare Zeichen der Zeit trägt, hat den Titel „Essai monographique sur les espèces d’Eriocaulon du Brésil“ und enthält neben schriftlichen Erstbeschreibungen sehr detaillierte Stahlstiche einer Pflanzenfamilie, die sich Wollstängelgewächse – auf Latein: Eriocaulaceae – nennt.
Die Suche begann 2008
Dass es nun in der Fakultätsbibliothek steht, ist keine Selbstverständlichkeit. Eine lange Geschichte, die bis nach Russland führt, geht dem voraus. „2008 suchte mein damaliger Post-Doktorand Marcello Trovo dringend dieses Buch für seine Forschung“, erzählt Botanikprofessor Dr. Thomas Stützel.
Zwar gab es in Deutschland eine Handvoll Exemplare des Werkes, doch die waren nicht vollständig, und außerdem jüngere Nachdrucke. „Für uns Wissenschaftler ist es aber wichtig, dass wir, wenn wir in unseren Arbeiten andere Forscher zitieren, deren Originalausgaben vor uns haben. Man kann zwar auch mit späteren Zitaten arbeiten, aber die können Fehler enthalten und dann ist die Publikation im Sinne des internationalen Codes der Botanischen Nomenklatur ungültig“, so Stützel.
Die älteste Ausgabe, die Trovo durch seine Recherche fand, stand in einer Universitätsbibliothek in Sankt Petersburg, wo der deutsche Autor August Gustav Heinrich von Bongard bis zu seinem Tod 1839 gelebt und als Botaniker gearbeitet hatte. Weil er das Buch unbedingt sehen wollte, nahm Trovo die 2.200 Kilometer lange Anreise auf sich – und stand vor verschlossenen Türen. „Das war schon tragisch“, beschreibt Thomas Stützel die Enttäuschung. „Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt war die Bibliothek wegen Renovierung geschlossen.“
Eine glückliche Fügung
Trovo musste sich für seine Arbeit anders behelfen. Doch Jahre später, 2012, nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung: „Ein ehemaliger Mitarbeiter rief mich an. Er löste gerade die Bibliothek des Botanischen Vereins in Bonn auf. Und ausgerechnet das Buch von Bongard war unter den Werken, die verkauft werden sollten. Ich konnte es für einen symbolischen Preis haben“, freut sich Stützel noch jetzt, wenn er an sein großes Glück denkt.
Stützel überließ seinen Fund der Fakultätsbibliothek der Biologie, wo Annika Fink sich seiner annahm. Vor Kurzem konnte sie es von einer Spezialfirma aufarbeiten lassen. „Unser Budget hat zwar nur für eine professionelle Reinigung gereicht – eine komplette Restaurierung hätte 2.000 Euro gekostet – aber mit dem Ergebnis sind wir sehr zufrieden“, so die Bibliothekarin.
Durch das Einscannen gehen viele Informationen verloren.
Thomas Stützel
Obwohl Thomas Stützel das Buch inzwischen digitalisiert hat, hebt er hervor, wie wichtig es ist, Werke wie dieses in einer Präsenzbibliothek vorrätig zu haben. „Durch das Einscannen gehen viele Informationen wie Farbe und Details an den Zeichnungen verloren“, erklärt er. Und Annika Fink ergänzt: „Auch das Papier selbst und eventuell vorhandene handschriftliche Notizen von Vorbesitzern bieten Forscherinnen und Forschern verschiedener Fachrichtungen wertvolle Einblicke in die Entstehungsgeschichte solcher Bücher.“
Thomas Stützel und Annika Fink wollen jedenfalls ihr Bestes geben, damit das alte Schätzchen in ihrer Bibliothek noch lange erhalten bleibt und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Verfügung steht.