Serie Mit Wissenschaft durchs Jahr
Rechts- und Linkshänder – eine Geschichte voller Missverständnisse?
© RUB, Nelle

13. August Linkshändertag

Schreiben, Nägel einschlagen, Dosen öffnen: machen manche Leute alles mit Links. Aber ansonsten ticken sie doch genau wie Rechtshänder, oder? Nicht ganz, sagt Prof. Dr. Onur Güntürkün.

Ungefähr zwölf Prozent der Menschen in Deutschland sind Linkshänder, und diese Anzahl ist seit Ende der 1950er-Jahre weitestgehend konstant. Um 1900 gab es nur drei Prozent Linkshänder, weil der Gebrauch der linken Hand als unschicklich galt und Kinder auf Rechts umerzogen wurden.

Diese Ablehnung der Linkshändigkeit war weltweit die Norm und hat sich tief in Sprachen, Kulturen und Religionen eingegraben. Die Schriften aller drei monotheistischer Religionen betonen, dass Rechts von den Herrschern die wichtigsten Gäste gesetzt wurden. Links wurden die weniger wichtigen oder gar negativ bewerteten Personen platziert.

Positive und negative Assoziationen

Die Worte „Rechts“ und „Links“ sind im Deutschen mit Begriffen wie „Gerechtigkeit“, „rechtzeitig“ bzw. „linkisch“ sowie „der hat zwei linke Hände“ assoziiert. Diese und viele ähnliche Beispiele zeigen, dass Linkshändigkeit im Deutschen mit negativen, Rechtshändigkeit dagegen mit positiven Merkmalen assoziiert war. Dies ist nicht nur im Deutschen so, sondern gilt für die meisten Sprachen und Kulturen. Überall auf der Welt waren Linkshänder mit negativen Vorurteilen konfrontiert.

Doch sind Linkshänder nicht einfach genauso wie Rechtshänder, nur dass sie mit der linken Hand schreiben? Nun, so einfach ist das nicht.

Extreme Linkshänder sind selten

Zuerst einmal nutzen wir unsere Hand nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Bälle Werfen, Nägel Einschlagen, Dosen Öffnen und so weiter. Man sollte also Händigkeit umfassender messen.

Wenn man das macht, stellt man fest, dass fast die Hälfte der Menschen absolut alles immer am liebsten mit der rechten Hand macht. Die verbliebene Hälfte ist weniger stark festgelegt. Extreme Linkshänder (also Menschen, die alles am liebsten immer mit Links machen) sind sehr selten. Das heißt: Unter den zwölf Prozent offiziellen Linkshändern befinden sich viele Menschen, die zwar am liebsten mit der linken Hand schreiben, aber mit Rechts Bälle werfen, Streichhölzer anzünden.

Umerzogen rechtshändig

Wenn man Menschen untersucht, die auf Rechtshändigkeit umerzogen wurden, sieht man, dass sich bei ihnen nur die Schreibhand geändert hat. Diese scheinbaren Rechtshänder nutzen beim Tennisspielen immer noch die linke Hand oder zeichnen mit Links. Als Folge müssen sich motorische Kontrollzentren des Gehirns sowohl in der linken als auch in der rechten Hirnhälfte etablieren. Wahrscheinlich ist die Notwendigkeit für interhemisphärische Kommunikation bei umerzogenen Rechtshändern größer als bei anderen Menschen.

Zweifellos ist die Umerziehung auf eine rechte Schreibhand vollständig unsinnig. Ob diese Umerziehung größere negative Folgen nach sich zieht, ist aber nicht ganz klar. Aus Sicht des Gehirns führt eine erzwungene Rechtshändigkeit wahrscheinlich zu einer plastischen Veränderung in der motorischen Kontrolle, die keine massiven Nachteile mit sich bringt. Schwerer könnten die psychologischen Probleme sein, wenn Kinder sich als Problemfall erleben und jahrelang unter Zwang eine ungeliebte Übung durchführen.

Die Jagd auf die Gene ist eröffnet

Wodurch entsteht Linkshändigkeit? Nach einer klassischen Theorie entstand im Verlaufe der Evolution des Menschen ein Gen, welches sowohl Händigkeit als auch die linkshemisphärische Sprachkontrolle induzierte. Ein solches Gen konnte allerdings nie gefunden werden. Stattdessen wird nach neueren Erkenntnissen Händigkeit von einer Vielzahl unterschiedlicher Gene reguliert. Die Jagd auf diese Gene ist im Moment eröffnet und wir werden wahrscheinlich bald einige Dutzend Gene kennen, die kleine Bausteine des Gesamtphänomens kontrollieren.

Aber auch Umweltfaktoren wie Erziehung und Modelle spielen eine Rolle. Selbst die Präferenz von Neugeborenen und Kleinkindern, ihren Kopf am liebsten nach rechts zu drehen, scheint das Auftreten von Rechtshändigkeit zu verstärken.

Linkshänder sind oft mathematisch begabt

Statistisch gesehen unterscheiden sich Linkshänder von Rechtshändern aber nicht nur in ihrem Handgebrauch sondern auch in einigen weiteren unerwarteten Faktoren. Unter Menschen mit mathematischen und räumlich-visuellen Begabungen befinden sich häufiger Linkshänder. Deshalb sind viele berühmte Mathematiker, Architekten und Künstler Linkshänder.

Aber auch unter Autisten und Menschen mit geistigen Behinderungen kommt Linkshändigkeit häufiger vor, ohne dass klar ist, wie es zu diesen Assoziationen kommt.

Wie die Papageien

Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen mit einer präferierten Hand. Schimpansen und andere Primaten zeigen ein ähnliches Muster, wenn auch deutlich schwächer ausgeprägt. Die Bevorzugung einer Hand, Pfote, Flosse oder Kralle ist im Tierreich weit verbreitet, aber nicht immer überwiegt die Bevorzugung der rechten Seite. Selbst der Oktopus mit seinen acht Armen mag am liebsten einen seiner vorderen Arme, wobei einige Individuen die linken und andere die rechten Vorderarme präferieren.

In der Stärke der Präferenz für eine Hand sind wir Menschen den Papageien am ähnlichsten. Die meisten Papageienarten machen zu 90 Prozent alles mit einem Fuß – allerdings dem linken.

Unveröffentlicht

Von

Onur Güntürkün

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