Gefahr in Tunneln
Mit Spritzbeton gegen Terroranschläge

Großbrände und Terroranschläge stellen eine Gefahr für Tunnel und Brücken dar. Ein neuer Spritzbeton aus der RUB könnte die Bauwerke robuster machen. Ihn herzustellen galt als unmöglich.

Ein zwei mal ein Meter großer Betonquader ruht unter freiem Himmel. „Achtung! Drei, zwei, eins“, zählt eine Stimme. Dann gibt es einen lauten Knall, Staub wirbelt durch die Luft. In herkömmlichem Beton hätte die Explosion einen Krater hinterlassen. Bei diesem Versuch sind nur ein paar Kratzer entstanden. Denn der Steinklotz ist mit einem Spritzbeton überzogen, den RUB-Ingenieure entwickelt haben, um Bauwerke besser vor Großbränden und Terroranschlägen zu schützen.

Seit siebeneinhalb Jahren beschäftigt sich das Team um Dr. Götz Vollmann vom Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb mit Fragen rund um die Sicherheit von Tunneln, unter anderem in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten.

„Als man die Tunnel von heute gebaut hat, hat niemand daran gedacht, dass eines Tages möglicherweise ein Wahnsinniger mit einer Bombe hineinlaufen könnte“, sagt Götz Vollmann. „Skurrilerweise ist es in Europa sogar so, dass man in den 1950er- und 60er-Jahren, rückblickend auf den Zweiten Weltkrieg, Brücken zum Teil mit sogenannten Sprengkammern versehen hat. Es gibt also Sollbruchstellen in der Konstruktion, die es ermöglichen, die Brücke einfach zu sprengen, um dem Feind die Versorgungslinien abzuschneiden.“ Kontraproduktiv, wenn man Schutz vor Terroranschlägen gewährleisten möchte.

Götz Vollmann
© Damian Gorczany

Heute fragen sich die Ingenieurinnen und Ingenieure, wie sie Tunnel und Brücken möglichst robust machen können. Es gibt bereits Baumaterialien, etwa spezielle Arten von Hochleistungsbeton, welche die Wucht von Explosionen zum Teil aufnehmen können. Diese lassen sich aufgrund ihres Herstellungsprinzips allerdings fast ausschließlich in Form von Platten fertigen, die sich nicht dazu eignen, gekrümmte Flächen zu verkleiden. „Das ist seit Jahren ein Problem“, erklärt Vollmann. Ein Problem, für das ihm eine Lösung vorschwebte: Spritzbeton. Denn dieser lässt sich auf Flächen mit beliebiger Form aufbringen.

Eigentlich hieß es immer, bei rund 70 Kilogramm Stahlfasern pro Kubikmeter Beton ist das Ende der Fahnenstange erreicht.


Götz Vollmann

Ein Beton, der sehr fest sein soll, muss möglichst viele Stahlfasern enthalten. Die machen ihn aber steif und verhindern, dass er sich für den Spritzvorgang durch einen Schlauch pumpen lässt. „Eigentlich hieß es immer, bei rund 70 Kilogramm Stahlfasern pro Kubikmeter Beton ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Das ist die Grenze dessen, was noch verarbeitet werden kann“, erklärt Götz Vollmann.

Sein Team hat nun zusammen mit externen Partnern einen Spritzbeton mit 140 Kilogramm Stahlfasern pro Kubikmeter realisiert, und noch drei Kilogramm Kunststofffasern hinzugefügt. „Alle, die sich im Vorfeld mit uns darüber unterhalten haben, haben gesagt: Das kriegt ihr nie im Leben hin. Und tatsächlich wollten wir auch schon die Flinte ins Korn werfen“, erzählt der Ingenieur.

Luftbläschen waren die Lösung

Eine letzte Idee hatte die Gruppe aber noch, bevor sie aufgeben wollte: Luft. Die Forscherinnen und Forscher schäumten den Beton auf, bis das Gemisch etwa 20 Prozent Luftbläschen enthielt. „Wir gehen davon aus, dass dieses Vorgehen eine Art Kugellagereffekt erzeugt“, sagt Vollmann. „Die Fasern rollen vermutlich auf den Luftbläschen ab, dadurch wird das Ganze geschmeidiger.“ So lässt sich der Beton selbst mit hohem Stahlfaseranteil noch durch einen Schlauch leiten und über eine Spritzdüse verteilen. Allerdings darf die Luft nicht im Gemisch bleiben, weil sie die Festigkeit des Betons herabsetzen würde. Daher baute das RUB-Team einen Entschäumungsmechanismus ein.

Für den Spritzvorgang tritt der Beton durch eine Düse aus. Dort wird ihm standardmäßig eine Substanz zugefügt, die ihn schneller erstarren lässt. „Beton wäre sonst viel zu flüssig und würde bei den benötigten Schichtdicken einfach wieder von der Wand rutschen“, weiß Vollmann. „Wir haben dem Erstarrungsbeschleuniger einfach einen Entschäumer beigemischt.“

Umprogrammierter Autoroboter sprüht Spritzbeton auf

Laborversuche im kleinen Maßstab hatten zuvor gezeigt, dass der Entschäumer schlagartig wirkt und dem Beton in Bruchteilen von Sekunden die Luft entzieht. Auch im großen Maßstab bestätigte sich der Effekt, wie Versuche mit einem Spritzbeton-Roboter zeigen. Die Lehrstühle für Tunnelbau und Baustofftechnik der Fakultät für Bauingenieurwesen betreiben einen Spritzbetonversuchsstand.

Das Herzstück ist ein umprogrammierter Roboter der Firma Kuka, der üblicherweise für das Zusammenschweißen von Autos verwendet wird. Auf dem RUB-Campus trägt der Roboter Spritzbeton auf – einige Zentimeter dick auf herkömmlichen Beton.

Spritzbeton-Roboter: Eigentlich ist dieser Roboter der Firma „Kuka“ dazu gedacht, Autos zusammenzuschweißen.
© Damian Gorczany

Einen Teil der so hergestellten Platten transportierten die Ingenieure nach Leipzig, für Brandversuche in der dortigen Materialprüfanstalt. Weitere Platten testeten die Projektpartner vom Ernst-Mach-Institut der Fraunhofer-Gesellschaft in Freiburg in kontrollierten Sprengversuchen, um herauszubekommen, was der Spritzbeton so aushält. Tatsächlich gelang es mit dem Schutzbeton, bis zu 60 Prozent an Resttragfähigkeit der zu schützenden Konstruktion sicherzustellen. Zum Vergleich: Die Resttragfähigkeit von ungeschütztem Beton beträgt bei gleichem Versuchsaufbau nur noch bis zu 20 Prozent.

Kontrollierte Sprengversuche: Der neue Spritzbeton (rechts) erwies sich als wesentlich robuster als normaler Beton (links).
© Fraunhofer, Ernst-Mach-Institut

Natürlich ist es aber nicht möglich, sämtliche Bauwerke mit dem neuen Spritzbeton zu versehen oder auf andere Weise sicherer zu machen. Die Kosten wären viel zu hoch. Vielmehr ist es nötig herauszufinden, welche deutschen Tunnel und Brücken besonders gefährdet sind.

Unsere Bauwerke sind auf jeden Fall robuster, als wir zuerst angenommen haben.


Götz Vollmann

In einem Projekt unter Leitung der Bundesanstalt für Straßenwesen erforschte Götz Vollmanns Team gemeinsam mit weiteren Partnern auch diese Frage. Die Gruppe analysierte, welche Bauwerke für eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur besonders bedeutend sind und welche Konstruktionen besonders anfällig für Brand- oder Explosionsschäden sind. Sie entwickelten ein Verfahren, mit dem ein solches Ranking der kritischsten Bauwerke erstellt werden kann, dessen Ergebnisse aus Sicherheitsgründen aber nicht veröffentlicht werden dürfen.

„Unsere Bauwerke sind auf jeden Fall robuster, als wir zuerst angenommen haben“, sagt Vollmann. „Aber natürlich könnte man mit genügend Sprengstoff theoretisch jedes Bauwerk zum Einsturz bringen.“ Das Ranking wird nun helfen zu entscheiden, bei welchen Bauwerken man mit Maßnahmen beginnen sollte, um zusätzliche Sicherheit zu schaffen.

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Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 4. Mai 2015 in Rubin 1/2015 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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