Sportwissenschaft Dem Stress auf der Arbeit entkommen

Stress auf der Arbeit löst bei vielen Menschen Verspannungen und Rückenschmerzen aus. Um dem entgegenzuwirken, ist es entscheidend, nach Feierabend den Kopf frei zu kriegen und sich zu erholen.

Der Arbeitsplatz ist ergonomisch eingerichtet und trotzdem schmerzt der Rücken. Oft liegt der Grund für solche Verspannungen im Kopf. Der Job ist stressig, das Abschalten nach Feierabend fällt schwer, man schläft schlecht und empfindet die Arbeit am folgenden Tag als noch anstrengender – ein Teufelskreis.

Unter Stress wächst der Schmerz

„Unter Stress nehmen wir Schmerzen stärker wahr und die Wirbelsäule wird bei körperlichen Belastungen mehr beansprucht, weil unsere Bewegungsmuster nicht so sind, wie sie sein sollten“, weiß Tobias Mierswa vom Lehr- und Forschungsbereich Sportpsychologie. Hohe psychologische Arbeitsbelastungen und der damit verbundene Stress erhöhen das Risiko für Rückenschmerzen deutlich. Den Bochumer Sportpsychologen interessiert, welchen Einfluss die Erholung in der Freizeit auf das Zusammenspiel von Stress und Rückenschmerzen hat.

Jetzt ist Feierabend, ich vergesse erst einmal alles.

„Manche Leute gehen von der Arbeit nach Hause und haben dort zusätzlichen Stress, weil sie familiäre oder Freizeitverpflichtungen haben“, sagt Mierswa. „Andere legen sich eine halbe Stunde auf die Couch oder treiben etwas Sport und sagen ‚Jetzt ist Feierabend, ich vergesse erst einmal alles‘.“ Welche Rolle das Abschalten nach der Arbeit spielt, hat der Bochumer Wissenschaftler mittels einer Onlinebefragung untersucht.

Stressfaktoren und Ressourcen auf der Arbeit

Knapp 900 Verwaltungsangestellte an 13 Hochschulen in NRW nahmen an der Studie teil. Sie füllten dreimal, jeweils im Abstand von drei Monaten, das gleiche Fragebogenpaket aus. Dieses erfasste zum einen Stressfaktoren auf der Arbeit wie hohe qualitative Anforderungen oder Zeitdruck, zum anderen die Arbeitsressourcen, etwa ob ein Arbeitnehmer soziale Unterstützung im Job erfährt.

Weitere Fragen zielten darauf ab herauszufinden, wie gut die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Feierabend abschalten können. Darüber hinaus machten sie Angaben zu Muskel-Skelett-Erkrankungen.

Für die Datenauswertung rechnete Tobias Mierswa umfangreiche statistische Modelle.
© RUB, Nelle

Die statistische Analyse über das halbe Jahr hinweg zeigte, dass Leute mit hohen Arbeitsressourcen – etwa viel sozialer Unterstützung – ein halb so hohes Risiko für Schmerzen im unteren Rückenbereich haben wie Personen mit weniger Ressourcen. Dabei profitieren Menschen, die gut abschalten können, mehr von den Arbeitsressourcen als Leute, die den Job auch nach Feierabend nicht aus dem Kopf bekommen.

Ähnlich sah es bei den Stressfaktoren aus. Wer gut abschalten kann, entwickelt auch bei steigendem Arbeitsstress kein höheres Risiko, Rückenschmerzen zu bekommen. Bleibt man aber auch nach Feierabend mit dem Kopf bei der Arbeit, sind Rückenschmerzen unter Stress wesentlich wahrscheinlicher.

Abschalten kann man lernen.


Tobias Mierswa

Doch was tun, wenn die Arbeit rund um die Uhr die Gedanken beherrscht? „Abschalten kann man lernen“, sagt Tobias Mierswa. Es gibt Entspannungstechniken, zum Beispiel Atemübungen, die darauf abzielen, den Kopf frei zu machen. Ebenfalls wichtig sei es, das Arbeitshandy auszuschalten und abends nicht noch in die E-Mails zu schauen. „Die ständige Erreichbarkeit ist ein großes Problem und für das Abschalten völlig kontraproduktiv“, so der Bochumer Sportpsychologe. „Die Leute müssen sich damit auseinandersetzen, was sie für sich selbst tun, wenn sie zu Hause sind.“ Habe ich eine Viertelstunde, um „runterzukommen“? Oder hetze ich von der Arbeit direkt zum nächsten Termin?

Freizeitstress: Wer nach Feierabend weiter von Termin zu Termin hetzt, tut sich keinen Gefallen.
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Oft erlegen wir uns selbst Verpflichtungen auf, die uns auch in der Freizeit unter Druck setzen. Hobbys wie Sport oder ein Treffen mit Freunden sollen eigentlich erholsam sein. Wenn wir sie aber als Zwang wahrnehmen, können sie den Stress erhöhen. Es gilt also, die richtige Balance zu finden. Wie es Menschen gelingt, mit Stress umzugehen und Rückenschmerzen zu lindern, erforscht Tobias Mierswa mit seinen Kooperationspartnern im Rahmen des Projekts „Ranrücken“, das das Bundesinstitut für Sportwissenschaft fördert. Die Idee: ein Erholungstagebuch.

Im Tagebuch das Richtige fokussieren

Es gibt bereits Stresstagebücher, in die Rückenschmerzpatienten schreiben, was sie wie stark stresst. „Dadurch fixieren sich die Leute aber auf das Falsche“, gibt Tobias Mierswa zu bedenken. Schließlich sollen die Patienten nicht die ganze Zeit über Stress nachdenken, sondern lieber darüber, wie sie sich erholen können.

Das „Ranrücken“-Team hat das Prinzip deshalb umgedreht. In ihr Tagebuch schreiben die Patienten, welche Erholungsaktivitäten sie unternommen haben und wie erholsam diese waren – eine Tasse Kaffee trinken, mit einer Freundin telefonieren, spazieren gehen, fernsehen oder Sport machen. Was erholsam ist, ist für jeden Menschen unterschiedlich und hängt zudem von seinem aktuellen Zustand ab.

Was erholsam ist, ist für jeden Menschen unterschiedlich.
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„Die Rückmeldungen der Teilnehmer waren sehr positiv“, berichtet Mierswa. Vor allem Leute mit Rückenschmerzen rutschen oft in eine passive Rolle und machen nichts mehr – ein Zustand, den das Tagebuch ihnen vor Augen führt. Oder aber sie ignorieren den Schmerz und üben trotz der Beschwerden ihre Alltagsaktivitäten ganz normal aus.

Wer akut an Rückenschmerzen leidet, muss ein gesundes Maß an Bewegung und Ruhe finden. Nur auf der Couch zu liegen oder weiter allen Verpflichtungen nachzugehen, ohne sich Ruhe zu gönnen, lindert die Beschwerden nicht. Selbst Patienten, die das Erholungstagebuch zu Beginn nicht sinnvoll fanden, änderten im Verlauf der Studie ihre Meinung. „Sie haben zum Beispiel gemerkt, dass sie sich am Tag gerade einmal zehn Minuten Zeit für sich nehmen“, erzählt Mierswa. „Und das reicht nicht.“

Zwei- bis fünfminütige Behandlungsbausteine

Das „Ranrücken“-Team entwickelte zwei- bis fünfminütige Behandlungsbausteine, die eine Physiotherapie ergänzen könnten, zum Beispiel kurze Atemübungen. Bisherige Interventionsstudien testeten wesentlich zeitintensivere Programme, die sich aber im eng getakteten Behandlungsalltag gar nicht unterbringen lassen.

„Unsere Bausteine kann man einstreuen, wenn ein Patient sie braucht“, erklärt Tobias Mierswa. Ist jemand gut erholt, reicht die normale Physiotherapie. Klagt der Patient akut über Stress oder die starke Belastung durch den Rückenschmerz, kann man ihn das Erholungstagebuch bearbeiten lassen.

Die Rückmeldungen von Patienten und Physiotherapeuten zu den Therapiebausteinen waren prinzipiell positiv. Allerdings lassen sich auch diese kurzen Einheiten bislang nur schwer in den Behandlungsalltag integrieren; denn in der Regel hat ein Physiotherapeut gerade einmal 20 Minuten pro Patient.

Sich bewusst erholen

Tobias Mierswa rät den Arbeitnehmern, die Stressbewältigung selbst in die Hand zu nehmen: „Oft lässt sich Stress auf der Arbeit nicht vermeiden, dazu müsste man das ganze System, die komplette Arbeitsstruktur ändern“, sagt er. „Das funktioniert natürlich nicht. Ich will den Arbeitgeber nicht aus der Pflicht nehmen. Aber jeder Arbeitnehmer sollte sich bewusst machen, was er selbst zu Hause tun kann, um sich zu erholen.“

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Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 3. November 2014 in Rubin 2/2014 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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