Andreas Pflitsch seilt sich in die Gletscherhöhle auf dem Mount Hood ab.
© Brent McGregor

Interview Unterwegs auf einem aktiven Vulkan

Fünf Tage auf dem Mount Hood sind ein normales Programm für Klimatologe Andreas Pflitsch. Seine Tour im Sommer 2016 bescherte ihm jedoch eines der beängstigendsten Erlebnisse seiner Forscherkarriere.

Nachdem er sich bereits 2015 auf die bis dahin anstrengendste Expedition seines Lebens begeben hatte, hat RUB-Forscher Prof. Dr. Andreas Pflitsch 2016 erneut zwei eisbedeckte Vulkane in den Vereinigten Staaten bestiegen. Im Sommer übernachtete er mehrmals auf dem Mount Hood und auf dem Mount Rainier im Pazifischen Nordwesten der USA.

Was er dort gemacht hat, warum es teilweise beängstigend war und weshalb er es garantiert wieder tun wird, erzählt der Wissenschaftler im Interview.

Herr Pflitsch, Sie waren schon 2015 auf dem Mount Hood in Oregon. Warum haben Sie diesem aktiven Vulkan einen zweiten Besuch abgestattet?
Auf unserer vorherigen Tour haben wir eine Reihe von Sensoren in den Gletscherhöhlen am Hang des Vulkans platziert – zum Beispiel, um Temperatur und Luftfeuchte aufzuzeichnen. Die Messdaten können wir nur auslesen, wenn wir vor Ort sind. Wir müssen die Sensoren zwar nicht jedes Mal ausgraben oder anfassen, aber ihre Radiosignale reichen nur fünf bis zehn Meter weit.

Viele Leute fragen mich, warum ich das mit meinen 58 Jahren noch mache.

Für Sie ist es selbstverständlich, persönlich auf solch eine Tour zu gehen.
Ja. Viele Leute fragen mich, warum ich das mit meinen 58 Jahren noch mache und ob ich keine Studierenden schicken könnte. Natürlich könnte ich das tun. Aber ich denke, dass man seine Daten nur vernünftig auswerten kann, wenn man sie mit der Umgebung in Zusammenhang bringt. Ich muss die Situation vor Ort sehen beziehungsweise erfahren und beurteilen.

Tatsächlich haben wir dieses Mal auf besonders beeindruckende Weise erlebt, wie dynamisch ein Gletscher ist.

Was ist passiert?
Als wir auf dem Mount Hood ankamen, war der untere Teil der Höhle, die wir beim vorherigen Besuch vermessen hatten, teilweise eingebrochen. Statt durch einen großen Eingang hineingehen zu können, mussten wir nun jeden Tag 200 Höhenmeter über das Gletschereis zurücklegen und uns durch eine Öffnung in den oberen Teil der Höhle abseilen.

Als wir dort unsere Arbeit gemacht haben, gab es plötzlich ein Rumpeln und Rauschen. Ein Schwall von Dreckwasser kam aus einer kleinen Öffnung  der Eiswand. Nach zehn Minuten wurde das Wasser klarer, und wir konnten uns durch die Öffnung hindurchzwängen, um nachzuschauen, was passiert war.

Es hatte sich ein ganz neues Höhlensystem aufgetan, das es bei unserem ersten Besuch im Vorjahr noch nicht gegeben hatte. Oder das noch verschlossen gewesen war. Da haben wir natürlich direkt neue Sensoren platziert.

War es nicht gefährlich, dort zu sein?
Am ersten Tag noch nicht. Am zweiten Tag haben wir uns wieder in die Höhle abgeseilt, sind ein paar Meter gegangen und plötzlich war der Hohlraum zu Ende. Dort, wo sich gestern ein neuer mannshoher Durchgang aufgetan hatte, war nun ein riesiger Steinwulst. Wir standen auf einem Schuttfächer, der bis zur Decke reichte. Es gab nur noch eine 30 bis 40 Zentimeter große Öffnung, durch die man hindurchkriechen konnte.

Haben Sie das gewagt?
Wir haben lange beratschlagt, ob wir es tun sollen. Die meisten meinten, dass es zu gefährlich sei. Aber die wissenschaftliche Neugier hat gesiegt. Zumal wir auch noch Messgeräte in dem Hohlraum hatten – eine einzigartige Chance, an Daten von so einem Ereignis zu kommen.

Ich hatte offengestanden ziemliche Angst.

Also bin ich gemeinsam mit einem amerikanischen Kollegen durch die drei Meter lange Engstelle gekrochen. Ich hatte offengestanden ziemliche Angst. Natürlich wusste ich, dass neue Wasser- und Schuttmassen abgehen könnten, dass der Eingang ganz verschüttet werden könnte.

In dem Hohlraum hatte sich alles verändert. Der Boden hatte sich stellenweise um ein bis zwei Meter bewegt. Wir haben ganz schnell gemacht, unsere Messgeräte eingesammelt, und waren nach 20 Minuten wieder draußen. Für mich eines der beängstigendsten Erlebnisse meiner Expeditionen.

Das klingt nach einem ziemlichen Risiko.
Es war ein Risiko, aber eines, das wir gut abgewägt hatten. Wir waren davon ausgegangen, dass sich die Lage in der Höhle bei Tag stabilisiert hatte. Manche Leute haben nachher gesagt: Wie konntest du das nur machen? Aber manchmal muss man im Leben Risiken eingehen. Feuerwehrleute und Polizisten tun das in ihren Berufen jeden Tag. Auch wenn man über eine Straße geht, ist das ein Risiko. Im Leben gibt es keine absolute Sicherheit.

Wir wussten, dass es gefährlich ist. Aber wenn ich mich in einer aktiven Gletscherhöhle befinde, ist das eh gefährlich.

Andreas Pflitsch versenkt Sensoren für die Messung der Wassertemperatur in einer Eishöhle auf dem Gipfel des Mount Rainier.
© Francois Xavier De Ruydts

<p>Andreas Pflitsch auf seiner 2015er-Expedition auf den Mount Rainier.</p>

Welche Forschungsfragen ziehen Sie denn immer wieder auf diese Berge?
Unsere Forschung steht gerade erst am Anfang. Mit unseren Messungen wollen wir das Klima der Gletscherhöhlen verstehen. Wir zeichnen die relative Luftfeuchte und die Temperatur auf und messen Luftströmungen. Solche Daten gibt es aus Gletscherhöhlen bislang nicht. Natürlich sind mal Leute mit einem Thermometer hineingelaufen, aber in der Literatur konnten wir keine Langzeitmessungen finden.

Viele Forscher beschäftigen sich ausschließlich mit dem Einfluss von Wasser auf Gletscherhöhlen. Uns interessiert die Luft. Man weiß, dass Gletscher einen Luftkörper im Inneren besitzen. Aber man weiß nicht, welchen Einfluss er auf das Eis hat.

Aus Vulkanen können heißes Wasser und Gase durch Öffnungen in die Höhle einströmen. Das erwärmt die Luft im Inneren erheblich und vergrößert die Öffnungen; mehr Luft kann eindringen – ein selbstverstärkender Effekt, der unserer Meinung nach entscheidend für die Dynamik dieser speziellen Gletscher ist.

Für solche Daten nehmen Sie auch mal ein paar ungemütliche Tage in Kauf.
Beim Mount Hood ist das okay, aber auf dem Gipfel des Mount Rainier ist es erheblich ungemütlicher. Die Expedition im August dorthin war schon ziemlich anstrengend, vor allem weil wir überhaupt nicht schlafen konnten. Abends waren wir zwar total fertig, aber trotzdem nicht müde; das macht die Höhe von 4.400 Metern. Hinzu kam, dass unser kleines Zelt nachts so laut im Sturm geflattert hat, dass ich den Lärm durch meine Ohrstöpsel gehört habe.

An einem solchen Ort arbeiten zu dürfen, den nur wenige Menschen jemals zu Gesicht bekommen, das macht den besonderen Reiz aus.

Trotzdem hat es sich gelohnt – für die spannenden Daten, aber auch, weil es einfach atemberaubend ist, bei schönem, wenn auch eisigem Wetter das fantastische Panorama zu genießen. An einem solchen Ort arbeiten zu dürfen, den nur wenige Menschen jemals zu Gesicht bekommen, das macht den besonderen Reiz aus.

Am Mount Hood hingegen haben wir eine richtige Hitzewelle erwischt. Tagsüber waren es bis zu 21 Grad Celsius auf dem Gipfel. Jeden Tag sind fünf bis zehn Zentimeter Eis geschmolzen – nur nicht unter unseren isolierenden Zelten. Die standen am Ende auf einem kleinen Eispodest.

An so einem Ort zu arbeiten ist sicher ein ziemlicher logistischer Aufwand?
Der Aufwand ist enorm. Alleine könnte ich das von Deutschland aus nicht bewerkstelligen. Zum Glück wurde ich eingeladen, mich einer Expeditionsgruppe um Eddy Cartaya anzuschließen. Er ist Polizist im US-amerikanischen Forest Service und unser Expeditionsleiter – ein wahres Energiebündel. Eddy bereitet immer alles großartig vor, sodass wir uns nur noch um unsere Forschung kümmern müssen.

Die Expedition auf den Mount Hood war nicht Ihre einzige Tour in diesem Jahr. Sie deuteten gerade eine andere Expedition an.
Ja. Ich war auch noch zwei Tage auf dem Mount Rainier in Washington. Da haben Auf- und Abstieg doppelt so lange gedauert wie unsere Zeit auf dem Gipfel. Aber wir mussten unsere Messgeräte kontrollieren und Daten auslesen.

2017 stehen die richtigen spannenden Expeditionen an.

2017 stehen dann die richtigen spannenden Expeditionen an: Mount St. Helens im Mai, Mount Hood im Juni und Mount Rainier im August. Mount St. Helens und Mount Rainier werden längere Touren. Hoffentlich können wir dann auch Equipment mit einem Helikopter transportieren.

In einem früheren Interview haben Sie gesagt, dass Sie es mit 60 etwas ruhiger angehen lassen möchten. Steht der Plan noch?
Wenn ich das erzähle, lachen die Leute meistens nur und sagen: Wer’s glaubt, wird selig.

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Pflitsch leitet die Arbeitsgruppe Höhlen- und U-Bahn-Klimatologie an der RUB. Für seine Forschung ist er auf der ganzen Welt unterwegs. Derzeit interessieren ihn vor allem Eis- und Lavahöhlen auf Hawaii und in Alaska sowie die Schellenberger Eishöhle in Berchtesgaden. Auch die Gletscher auf dem rund 4.400 Meter hohen Mount Rainier und dem etwa 3.400 Meter hohen Mount Hood sind in den Fokus seiner Forschung gerückt. 2017 erweitert er die Liste der aktiven Vulkane, die er bereits bestiegen hat, um den Mount St. Helens.

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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