Auch wenn der Körper ruht, ist das Gehirn hochaktiv.
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Neurowissenschaft Wie das Gehirn Erinnerungen im Schlaf festigt

Manch einer kennt es von sich selbst. Ein Nickerchen nach dem Lernen hilft, Neues besser zu behalten. Aber was passiert dabei eigentlich im Gehirn?

Wie viel Wissen das menschliche Gehirn speichern kann, ist schwer zu beziffern. Es ist eine ganze Menge. Aber trotzdem können wir uns nicht alles merken, was wir gern behalten würden. Wie wird Wissen in dem komplexen Netzwerk aus Nervenzellen gespeichert? Warum bleibt manches hängen und anderes nicht?

Diese Fragen treiben Prof. Dr. Nikolai Axmacher um. Mit seinem Team aus der Abteilung Neuropsychologie versucht er zu ergründen, was beim Speichern von neuen Informationen im Gehirn passiert. Sein Ansatz: Phänomene, die aus Tierstudien bekannt sind, untersucht er bei Menschen. Das bringt einige Herausforderungen mit sich.

Ereignisse im Schlaf reaktivieren

Aus Experimenten mit Mäusen und Ratten wissen Forscherinnen und Forscher, dass die Tiere neu gelernte Informationen im Schlaf reaktivieren. Lernt eine Ratte etwa einen neuen Weg, ist diese Information in einem ganz charakteristischen Muster von Nervenzellaktivität codiert.

Bestimmte Zellen im Rattengehirn sind während des Laufens aktiv und spiegeln die Position des Tieres in seiner Umgebung wider. Die gleichen Zellen feuern in der gleichen Reihenfolge erneut, wenn die Ratte schläft. So scheint das Gehirn die Route noch einmal nachzuvollziehen. Forscher gehen davon aus, dass diese Reaktivierung entscheidend ist, um Gedächtnisinhalte zu festigen.

Nervenzellen empfänglich machen

Aber noch ein zweiter Effekt scheint eine Rolle zu spielen: die Ripple-Oszillationen. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Art der Hirnaktivität: Ein Verbund von Nervenzellen sendet für einen kurzen Zeitraum Signale mit hoher Frequenz aus. Im EEG zeigen sie sich als charakteristische Wellenform.

Wissenschaftler vermuten, dass die Ripples die Nervenzellen auf die Reaktivierung von Informationen vorbereiten. Die Theorie: Nach einem Ripple-Ereignis ist eine Nervenzelle empfänglicher dafür, reaktivierte Informationen dauerhaft zu speichern.

Komplexe Daten wollen diskutiert werden: Nikolai Axmacher im Gespräch mit Hui Zhang
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Komplexe Daten wollen diskutiert werden: Nikolai Axmacher im Gespräch mit Postdoktorandin Hui Zhang

Nikolai Axmacher möchte wissen, ob es diese Effekte auch bei Menschen gibt. Die üblichen Messmethoden der kognitiven Neurowissenschaft reichen dafür allerdings nicht aus. Denn für das Langzeitgedächtnis ist eine Region tief im Inneren des Gehirns verantwortlich, der Hippocampus. Die relativ schwachen Ripple-Ereignisse sind aber mit einem EEG auf der Kopfhaut nicht zu detektieren.

Studie mit Epilepsie-Patienten

Die Lösung: Nikolai Axmacher testete Epilepsie-Patienten, die aus medizinischen Gründen Elektroden im Gehirn implantiert hatten. Mit diesen konnte er ein EEG im Inneren des Schädels aufzeichnen und so die Aktivität verschiedener Hirnareale direkt messen.

Den Ursprung von epileptischen Anfälle finden

Einige besonders schwere Epilepsien lassen sich nicht medikamentös behandeln. Bei fokalen Epilepsien, die ihren Ursprung in einem eng umgrenzten Hirnareal haben, kann es helfen, die Hirnregion zu entfernen, von der die Anfälle ausgehen. Um diesen Anfallsherd zu finden, implantieren Mediziner Elektroden im Gehirn. Sie zeichnen konstant die Hirnaktivität auf. Erleidet der Patient oder die Patientin einen Anfall, können die Ärzte so feststellen, von welchem Areal er ausgegangen ist. Anschließend – in der Regel nach etwa zwei Wochen – werden die Elektroden wieder entfernt.

Daten von 13 Patientinnen und Patienten brachte der Forscher von seiner vorherigen Arbeitsstätte, dem Universitätsklinikum Bonn, an die RUB mit. Mit diesem Datensatz führte Axmachers Team schon mehrere Analysen durch und entwickelte im Lauf der Zeit immer ausgefeiltere Methoden, die schließlich eine kombinierte Suche nach Ripples und Reaktivierung erlaubten.

Der Versuchsablauf sah wie folgt aus: Die Teilnehmer sahen zunächst 80 Bilder von Landschaften mit Häusern oder ohne Häuser. Sie mussten angeben, ob auf dem jeweiligen Bild ein Haus war oder nicht. Derweil zeichneten die Forscher ein EEG auf. Anschließend schliefen die Patienten für eine Stunde; währenddessen nahmen die Forscher erneut ein EEG auf.

Gedächtnistest nach dem Schlaf

Nach dem Schlaf sahen die Patienten 80 weitere Bilder von Landschaften und mussten erneut angeben, ob diese Häuser enthielten. Dann kam der finale Test: Nun zeigten die Wissenschaftler die 80 Bilder aus dem ersten Durchgang, die 80 Bilder aus dem zweiten Durchgang sowie 80 neue Bilder. Aufgabe der Probanden war es zu sagen, welche der Bilder sie bereits gesehen hatten. Auch dabei zeichneten die Forscher ein EEG auf.

Hui Zhang wertete die EEG-Daten aus.
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Mit ihrer Analyse wollten Nikolai Axmacher und seine Postdoktorandin Hui Zhang anschließend herausfinden, ob es im Schlaf zur Reaktivierung kommt. Dafür verglichen sie zunächst nur die Hirnaktivität während des ersten Bilderdurchgangs mit der Aktivität aus der Schlafphase. Das EEG aus dem zweiten Bilderdurchgang diente als Baseline.

Erzeugt das Gehirn während der Ruhephase die gleichen Aktivierungsmuster, die zuvor beim Betrachten der Bilder aufgetreten waren? Ließen sich also die Ergebnisse aus tierexperimentellen Studien auf den Menschen übertragen?

Beim Mensch wie bei der Ratte

Die vorläufigen Ergebnisse legen nahe: ja. Tatsächlich traten im Schlaf die gleichen Aktivierungsmuster wieder zutage wie bei der Präsentation der Landschaftsbilder. Als Nächstes suchten Zhang und Axmacher nach Ripples, und auch dabei wurden sie fündig.

Die EEG-Daten enthielten kurze hochfrequente Oszillationen, wie sie bei Tieren beschrieben worden waren. Es galt nun noch, die Frage zu beantworten, ob die Ripples einen Einfluss auf die Reaktivierung und die Gedächtnisleistung hatten.

Verstärkte Hirnaktivität

Das Team analysierte, wie stark die Reaktivierung nach einem Ripple ausfiel, und wie stark, wenn zuvor kein Ripple aufgetreten war. Das Resultat passte erneut zu den Befunden aus den Tierstudien. Nach einem Ripple trat eine stärkere Reaktivierung auf als in einem Vergleichszeitraum vor einem Ripple.

„Einzelne Reize, also in unserem Fall Landschaftsbilder, werden im Schlaf reaktiviert, und die Ripples scheinen diese Reaktivierung zu verstärken“, erklärt Nikolai Axmacher. Diesen Verstärkungsmechanismus fanden die Forscher aber nur bei der Reaktivierung solcher Bilder, die beim finalen Test auch erinnert wurden.

Wir haben es offenbar mit einem Mechanismus für das Lernen im Schlaf zu tun.


Nikolai Axmacher

In anderen Worten: „Wenn ein Ripple die Reaktivierung verstärkt, wird das Bild später erinnert“, so Axmacher. „Wir haben es hier also offenbar mit einem Mechanismus für das Lernen im Schlaf zu tun.“ Auf diese Art und Weise, so vermutet der Wissenschaftler, könnten auch komplexere Gedächtnisinhalte im Gehirn gefestigt werden.

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Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 2. November 2016 in Rubin 2/2016 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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