Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist ein interessanter Aspekt bei der Forschung der Geografen. © Damian Gorczany

Geografie Welche Verantwortung Unternehmen für ihre Region übernehmen

Die Entwicklung von Städten und Regionen liegt nicht nur in öffentlichen Händen. Auch Unternehmen und andere Akteure tragen entscheidend bei.

Durch die Industrialisierung wurde das Ruhrgebiet zum größten Ballungsraum Europas. Aber die Zeit, in der die Region von der Kohleförderung leben konnte, ist lang vorbei. Als die Nachfrage in den 1950er-Jahren sank, setzten langsame Veränderungen ein: weg von der Montanindustrie, hin zu einem Standort für Hochtechnologie, Logistik, Bildung, Wissenschaft und Kultur. Auch heute noch steckt das Ruhrgebiet mittendrin im Strukturwandel.

„Ein weltweit beachtetes Beispiel für die Transformation einer stigmatisierten urban-industriellen Landschaft ist die Emscherregion“, sagt Prof. Dr. Harald Zepp, Leiter des Bochumer Lehrstuhls für Angewandte Physische Geographie. Er koordiniert zusammen mit Prof. Dr. Susanne Frank von der Technischen Universität Dortmund und Prof. Dr. Susanne Moebus von der Universität Duisburg-Essen ein neues standortübergreifendes Forschungsprojekt, das die Veränderungen in den Quartieren entlang der Emscher wissenschaftlich begleiten wird.

Die Idee für das Projekt gründet auf einer Absichtserklärung für die Zusammenarbeit der Emschergenossenschaft mit dem Team des Kompetenzfeldes Metropolenforschung in der Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr). Darin haben die Partner vereinbart, fünf Quartiere zwischen Dortmund und Oberhausen als Reallabore im Rahmen des Emscher-Umbaus zu untersuchen – und zwar im Sinne einer transformativen Forschung, die die Umbauprozesse mitgestaltet. Einige Analysen sollen zurück bis in die vorindustrielle Zeit reichen, während andere die Entwicklung der Quartiere in verschiedenen Stadien des naturnahen Umbaus der Emscher und ihrer Nebenläufe begleiten werden.

Viele Perspektiven

Dazu werden Wissenschaftler aller Disziplinen im Kompetenzfeld Metropolenforschung beitragen. In den Quartieren wollen sie etwa Landschaftsfunktionen, Haushalts- und Sozialstrukturen oder den Immobilienmarkt untersuchen. Auch Vergleichsstudien zwischen den Standorten sind geplant. An allen drei Universitäten der UA Ruhr gibt es bereits Vorarbeiten zu dem Projekt „Emscherquartiere in Transformation“.

In Bochum zum Beispiel haben Dr. Svenja Grzesiok und Dr. Meike Schiek während ihrer Promotionen untersucht, welche Verantwortung Unternehmen für ihr Quartier oder für ihre Region übernehmen. „In der Regel fangen Unternehmen an, sich zu engagieren, wenn es konkrete Probleme gibt, also wenn sie mit irgendwelchen Standortfaktoren unzufrieden sind“, sagt Prof. Dr. Matthias Kiese, Leiter der Arbeitsgruppe Stadt- und Regionalökonomie, in der Meike Schiek ihre Promotion absolvierte.

In ihrer Promotion am Lehrstuhl für Stadt- und Regionalökonomie, den Matthias Kiese (rechts) leitet, hat Meike Schiek (links) sich mit der Corporate Regional Responsibilty auseinandergesetzt. © RUB, Kramer

Sie untersuchte, auf welche Weise sich Unternehmen für ihre Region stark machen, was ihre Motive dabei sind und welche Hemmnisse es gibt. „Bislang gibt es im Bereich der Geografie so gut wie keine Forschung dazu“, erklärt Schiek, „obwohl es nachweislich eine räumliche Dimension der gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme von Unternehmen gibt.“

Eigennutz und Gemeinwohl

Viele Studien haben sich schon mit der sogenannten Corporate Social Responsibility beschäftigt, also mit der Verantwortung, die Unternehmen freiwillig für die Gesellschaft übernehmen. Aber ob es dabei bestimmte regionale Bezüge gibt und warum, wurde außen vor gelassen. Meike Schiek konzentrierte sich genau auf diesen Aspekt, die Corporate Regional Responsibility. Exemplarisch analysierte sie das unternehmerische Engagement in zwei Metropolregionen: im Ruhrgebiet und in Frankfurt/Rhein-Main. In beiden Regionen haben sich Unternehmen zu Netzwerken zusammengeschlossen – zum Initiativkreis Ruhr und zur Wirtschaftsinitiative Frankfurt-Rhein-Main –, die sich über ihre reguläre Geschäftstätigkeit hinaus für ihre Regionen engagieren. Aber warum tun sie das?

Es geht nicht nur um das Unternehmensimage.


Meike Schiek

„Es ist eine Mischung aus Eigennutz und gemeinwohlorientierter Verantwortung“, fasst Schiek zusammen, nachdem sie strukturierte Interviews mit 42 Entscheidungsträgern der Unternehmen ausgewertet hat. Sie fand drei Kategorien von Motiven: regionsbezogene, unternehmensbezogene und personenbezogene Motive. Die beiden letzteren werden auch in der Corporate-Social-Responsibility-Forschung beschrieben. Aber: „Die wichtigste Erkenntnis war, dass es regionsbezogene Motive gibt“, erklärt Schiek. „Es geht nicht nur um Unternehmensimage, Mitarbeiterzufriedenheit und Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft. Es geht auch darum, den eigenen Standort wettbewerbsfähiger zu machen – wohlwissend, dass, wenn es dem Standort gut geht, auch die dort beheimateten Unternehmen davon profitieren.“

Gerade im Ruhrgebiet sind die regionsbezogenen Motive stark vom fortwährenden Strukturwandel geprägt. Die Studie ergab, dass die dort angesiedelten Unternehmen gezielt versuchen, die Menschen vor Ort zu fördern, vor allem die junge Generation.

Dem Fachkräftemangel entgegenwirken

„Das Ruhrgebiet hat ein Problem mit dem Bevölkerungsrückgang, hoch qualifizierte Arbeitskräfte wandern in andere Regionen ab“, erklärt Schiek. Die Investitionen der Firmen in den Standort sollen diesem Fachkräftemangel entgegenwirken, die Region attraktiver machen. „Diese Ressource, das unternehmerische Engagement, wird derzeit für die Regionalentwicklung noch gar nicht richtig genutzt“, meint Matthias Kiese. „Die öffentliche Hand müsste solche Initiativen stärker mobilisieren.“

Das Thema Wohnen ist wieder auf die politische Agenda gerückt.


Svenja Grzesiok

Auch Svenja Grzesiok hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Verantwortung Unternehmen übernehmen. Im Fall ihrer Promotion am Lehrstuhl für Internationale Stadt- und Metropolenentwicklung, geleitet von Prof. Dr. Uta Hohn, ging es um das Engagement von Wohnungsunternehmen im Quartier. Sie untersuchte sogenannte Bündnisse für Wohnen, die auf der Bundes- und Landesebene bereits viel thematisiert worden waren. „Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen und anhaltende Wanderungsbewegungen in die Städte ist das Thema Wohnen wieder auf die politische Agenda gerückt“, sagt sie. „Gerade in den Metropolregionen gibt es eine hohe Nachfrage nach Wohnungen.“

Akteure bündeln Kräfte

In einem Bündnis für Wohnen können ganz unterschiedliche Partner zusammenkommen: Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, öffentliche Verwaltungen, private Eigentümer, Mietervereine oder Quartiersarbeiter. Sie teilen ein gemeinsames Ziel, wollen zum Beispiel ihr Quartier aufwerten oder dessen Qualität langfristig stabilisieren. Ein Akteur allein kann oft nur wenig ausrichten. So kann ein Wohnungsunternehmen zwar schicke neue Unterkünfte bauen. Wenn das Umfeld nicht attraktiv ist, wird sich die Investition aber nicht lohnen, und die Leute bleiben trotzdem fern. Grzesiok wollte wissen, wie Bündnisse für Wohnen auf Quartiersebene funktionieren. Was sind Erfolgsfaktoren? Was Stolpersteine?

Svenja Grzesiok hat sich in ihrer Promotion an der RUB mit Bündnissen für Wohnen beschäftigt. © RUB, Marquard

Die Geografin analysierte drei Initiativen in Essen-Altendorf, Köln-Kalk und Dortmund-Westerfilde. Um herauszufinden, wie die Bündnisprozesse in diesen Quartieren funktionieren, führte sie 58 Interviews, zum Beispiel mit Entscheidungsträgern im Bereich der Wohnungswirtschaft, Leuten, die Quartiersarbeit machen, oder Vertretern von öffentlichen Verwaltungen. „Ich habe alle Interviews transkribiert, dabei sind 1.200 Seiten Text zusammengekommen“, erinnert sie sich. Aus dem umfangreichen Material kristallisierte sie mehrere Erfolgsfaktoren heraus.

„Es klingt banal, aber ein entscheidender Faktor für ein funktionierendes Bündnis ist Zeit“, resümiert Svenja Grzesiok. Zeit, um sich mit den Partnern zu treffen, Zeit, um Fördermittel zu beantragen, Zeit, um Pläne umzusetzen. Die Geografin gibt ein Beispiel: „Ein Wohnungsunternehmen mit viel Geld wird kein Problem haben, im Quartier einen neuen Spielplatz zu bauen, und erwartet eventuell von anderen Akteuren, dass sie schnell mitziehen. Die haben aber vielleicht nicht die Ressourcen für eine schnelle Umsetzung.“ Hinzu kommt, dass die Wirkungen von Maßnahmen oft erst zeitlich verzögert spürbar sind. „Kinder- und Jugendarbeit etwa zahlt sich erst auf lange Sicht aus – da braucht man bei der Quartiersarbeit einen langen Atem“, sagt Grzesiok.

Uta Hohn leitet den Bochumer Lehrstuhl für Internationale Stadt- und Metropolenentwicklung. © Damian Gorczany
Uta Hohn leitet den Lehrstuhl für Internationale Stadt- und Metropolenentwicklung, an dem Svenja Grzesiok ihre Promotion abschloss.

Eine ebenso wichtige Rolle wie die Zeit spielen natürlich auch die Ressourcen. Ohne Geld geht nichts. Aber auch nicht ohne einen Organisator. Es muss sich jemand finden, der das Bündnis koordiniert, die Termine für die Treffen arrangiert und einen geeigneten Raum dafür findet. Das kann die öffentliche Hand machen, ein beauftragtes Quartiersmanagement oder auch eine Stiftung, die sich für die Belange der Quartiersbewohner einsetzt. Die einfachen Dinge sind manchmal die größten Hürden.

Um den Prozess erfolgreich zu gestalten, müssen sich die Bündnispartner zunächst auf gemeinsame Ziele verständigen. „Die Potenziale eines Quartiers zu erkennen kann eine Herausforderung sein“, weiß Grzesiok. Die Akteure müssen eine Vision für das Viertel entwickeln; gleichzeitig dürfen sie ihre Ziele nicht zu hoch stecken, weil diese realisierbar bleiben müssen – sonst entstehen bei den Bewohnern Hoffnungen, die enttäuscht werden.

Ein Beispiel für gelungene Stadtentwicklung, das Svenja Grzesiok analysiert hat: der Niederfeldsee in Essen-Altendorf © Damian Gorczany

Erfolgversprechend ist es, wenn ein Bündnis für Wohnen nicht isoliert arbeitet, sondern in die Quartiersstrukturen eingebettet ist. Ein integriertes Konzept, das auch Verkehrsanbindung, Bildung oder Einkaufsmöglichkeiten mitdenkt, ist für eine erfolgreiche Stadtentwicklung entscheidend. „Solche Schnittstellen zu finden und die Akteure zusammenzubringen ist wichtig“, meint Svenja Grzesiok.

Kein Patentrezept für erfolgreiche Quartiersentwicklung

Ein Beispiel für ein gelungenes Bündnis für Wohnen sieht die Geografin am Niederfeldsee in Essen-Altendorf. Alte Wohnungsbestände aus den 1950er-Jahren, die nicht mehr nachgefragt waren, wurden abgerissen und neue Häuser gebaut. Sogar ein See wurde angelegt. Das sogenannte Uferquartier zieht inzwischen auch wieder Leute von außerhalb an.

Klar ist laut Svenja Grzesiok, dass jedes Viertel seine eigene Erfolgsgeschichte schreiben muss. Was in einem Quartier funktioniert, muss nicht unbedingt in einem anderen klappen. Was der beste Plan ist, hängt immer von den Ausgangsbedingungen und den Akteurskonstellationen ab. In ihrer Doktorarbeit hat sie eine Art Baukasten erarbeitet, der Faktoren für gelungene Wohnbündnisse enthält. Vielleicht kann dieser in Zukunft auch entlang der Emscher beim Bilden neuer erfolgreicher Partnerschaften helfen.

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Veröffentlicht

Montag
18. September 2017
15:39 Uhr

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 2. November 2017 in Rubin 2/2017 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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