Sprachforscher Steffen Hessler promoviert im Tandem mit einem Spezialisten für neuronale Netze.
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Forensische Linguistik Was die Sprache über Täter verrät

E-Mails, SMS, Briefe und Tweets verraten Experten viel über ihre Autoren. Das hilft zum Beispiel, Kriminalfälle zu lösen.

Stammt die SMS wirklich vom Mordopfer und lebte es noch, als sie versandt wurde? Oder hat sie der Täter verschickt, nachdem er das Opfer schon umgebracht hatte? Was wie aus einem Spielfilm klingt, beschäftigt in Wirklichkeit Sprachwissenschaftler. In der forensischen Linguistik geht es darum, die Autorschaft von Schreiben zu ermitteln oder immerhin einzugrenzen.

Stilmerkmale und charakteristische Fehler

„Wir können verschiedenste Merkmale geschriebener Texte vergleichen, zum Beispiel die Wortwahl, die Komplexität des Satzbaus und Besonderheiten der Zeichensetzung. Sehr aufschlussreich sind auch charakteristische Fehler, die jemand macht“, erklärt Steffen Hessler, Doktorand im Fortschrittskolleg Sec-Human.

Im Tandem mit Benedikt Bönninghoff arbeitet er an seiner Dissertation zur forensischen Linguistik am Lehrstuhl von Prof. Dr. Karin Pittner und hat kürzlich ein Praktikum beim Bundeskriminalamt (BKA) gemacht. Dort bekam er echte Schreiben von Kriminellen und die entsprechenden Gutachten von Experten zu sehen. „Auch wenn die Fälle schon in der Vergangenheit liegen, nimmt einen die Lektüre manchmal sehr mit“, sagt er.

Die häufigsten Schreiben, mit denen das BKA zu tun hat, sind Erpresserschreiben.


Steffen Hessler

Die sprachlichen Merkmale, die die Experten des BKA heranziehen, um ein Gutachten zu erstellen, hat Steffen Hessler in seinem Praktikum herausgearbeitet. Benedikt Bönninghoff baut sie in ein neuronales Netz ein, das sie dann automatisch in Texten erkennen können soll.

„Die häufigsten Schreiben, mit denen das BKA zu tun hat, sind Erpresserschreiben, die heute oft per E-Mail kommen“, erzählt Hessler. Will man sie einem Autor zuschreiben, braucht man natürlich ein Vergleichsdokument, das sicher von ihm stammt. „In einem Fall ist es so gelungen, eine 20 Jahre alte Bombendrohung, die noch auf Papier stand, demselben Autor zuzuordnen, der eine aktuelle Bombendrohung per Mail geschickt hatte.“

Sich zu verstellen, geht meistens schief

Der Versuch, sich beim Schreiben eines Erpresserbriefs zu verstellen, geht übrigens meistens schief. Gewollt geschraubtes höheres Deutsch oder die nachgemachte Sprache eines Ausländers fallen Experten sofort auf. „Da schreiben die Leute dann so, wie sie mit Ausländern reden würden, mit allen Verben im Infinitiv, machen aber viel kompliziertere Dinge richtig“, beschreibt Karin Pittner.

Gut zu tun haben die Experten auch mit dem Darknet, in dem Urheber von Webseiten nicht per IP-Adresse verfolgbar sind. Gegenstand linguistischer Analysen können hier zum Beispiel Plattformen für Drogen- und Menschenhandel sein – an Textmasse mangelt es da nicht.

Ein sprachlicher Fingerabdruck?

Ist über den Autor eines Dokuments überhaupt nichts bekannt, können Linguisten anhand der von ihm genutzten Sprache zum Beispiel seine Herkunft und seinen Bildungsgrad erkennen, unter Umständen auch, welche seine Muttersprache ist und ob es ein Mann oder eine Frau ist. Also ein sprachlicher Fingerabdruck? „Ob es das gibt, ist sehr umstritten“, sagt Karin Pittner. „Es ist wohl eher ein Fingerzeig“, meint Steffen Hessler.

Die forensische Linguistik jedenfalls erlebt einen Aufschwung, denn sie ist nicht nur nützlich, um Verbrecher zu entlarven. Auch wenn es darum geht, Fake News, Hate Speech oder fingierte Bewertungen in Online-Portalen automatisiert zu erkennen, hilft die Analyse der Sprache.

Noch ist der menschliche Blick unverzichtbar

„Oft kann man schon von einem bestimmten Stil darauf schließen, ob zum Beispiel radikale linke oder rechte Gruppen Autor eines Posts sind“, so Karin Pittner. Der menschliche Blick ist trotzdem unverzichtbar. Dafür steht die Technik noch zu sehr am Anfang.

Das Fortschrittskolleg Sec-Human

Seit Juli 2016 fördert das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung das NRW-Fortschrittskollegs Sec-Human an der Ruhr-Universität in Kooperation mit der Technischen Universität Dortmund und der Fachhochschule Dortmund. Ziel ist der Brückenschlag zwischen theoretischer IT-Sicherheit und ihrer praktischen Anwendung im täglichen Leben.

13 Doktorandinnen und Doktoranden bearbeiten interdisziplinäre Fragen rund um das Leitthema „Sicherheit für Menschen im Cyberspace“. Hochschullehrerinnen und -lehrer aus den Bereichen Elektrotechnik, Mathematik, Medienwissenschaft, Germanistik, Anthropologie, Jura, Sozialwissenschaft und Pädagogische Psychologie sowie eine Gruppe von Praxispartnern unterstützten sie dabei.

Veröffentlicht

Montag
05. März 2018
11:10 Uhr

Von

Meike Drießen

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