Serie Grenzgänger
Manchmal sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr um die Ecke denken, meint Prof. Dr. Tong Li.
© Damian Gorczany

Materialwissenschaft Mehr Mut zu Kreativität

Die Errungenschaften im Bereich der künstlichen Intelligenz stimmen Ingenieurin Tong Li nachdenklich im Hinblick auf die menschlichen Denkgewohnheiten.

2017 haben Forscher eine künstliche Intelligenz erschaffen, die ohne menschliche Anleitung und ohne Vorwissen selbstständig das chinesische Brettspiel „Go“ erlernt hat. In nur 40 Tagen wurde der Computer der beste Go-Spieler der Welt – eine unglaubliche Leistung. Überraschenderweise nutzte die künstliche Intelligenz Spielzüge, die Menschen zuvor nie eingesetzt hatten. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich habe mich gefragt, ob unser Vorwissen manchmal unsere Kreativität begrenzt – und so auch ein Hindernis auf dem Weg zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen sein kann.

Keine Theorie lieferte eine Erklärung

Hier ist ein Beispiel aus meiner eigenen Forschung, in der ich die Struktur und die chemischen Eigenschaften von Hochleistungsmaterialien charakterisiere: Ein Ziel der Materialwissenschaft ist, neue Werkstoffe mit speziellen Eigenschaften maßzuschneidern. Manchmal ist es allerdings schwer zu verstehen, warum ein Werkstoff sich so verhält, wie er es tut. Wir haben versucht, das Verhalten von komplexen Materialsystemen mit bereits existierenden und weitläufig akzeptierten Theorien zu erklären. Aber keine lieferte eine Antwort.

Mitunter lenkt uns unser Vorwissen in eine komplett falsche Richtung. Dabei geben uns die technischen Entwicklungen eigentlich die Chance, Theorien zu verifizieren oder zu modifizieren. Wir müssen bloß mehr um die Ecke denken und mutiger sein, um unsere Kreativität entfalten zu können.

Veröffentlicht

Donnerstag
26. April 2018
10:41 Uhr

Von

Tong Li

Dieser Artikel ist am 27. April 2018 in Rubin 1/2018 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

Teilen