Bergbau Diagnose Staublunge
Eine Geschichte vom Aufflammen der ersten Arbeitsschutzbemühungen bis zum Streit um Versicherungsleistungen.
Im 20. Jahrhundert als Bergmann zu arbeiten galt als einer der härtesten und gefährlichsten Berufe überhaupt. Nur die Fittesten der Fitten kamen für die körperlich belastende Tätigkeit unter Tage infrage, und dafür geeignet zu sein, erfüllte die Bergleute mit Stolz. Ein Stolz, der verletzt wurde, weil viele der einst kräftigen Arbeiter durch Krankheit ans Bett gefesselt endeten und auf die Pflege von Familie und Freunden angewiesen waren. Steinstaublunge lautete die Diagnose.
„Welche Demütigung das für die Betroffenen mit sich brachte, ist kaum in den öffentlichen Diskurs hineingedrungen“, sagt Daniel Trabalski, Doktorand am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der RUB. Er arbeitet die Geschichte der Krankheit sowie des darum entstandenen Arbeitsschutzes und Versicherungswesens auf. „Über dieses Thema stolpert man nicht, wenn man an der Uni studiert“, erzählt er. Sein Nebenjob in der Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger brachte ihn zu seinem heutigen Promotionsvorhaben. „Dort lief ein Archivprojekt, für das ich viele alte Akten in die Hand bekommen habe“, berichtet Trabalski.
Ich möchte auch die Perspektive der Bergleute einbeziehen.
Daniel Trabalski
In den Dokumenten ging es um Versicherungsleistungen für Patienten mit Silikose, wie die Staublunge auch genannt wird. Heute forscht der Historiker zur Regulierung der Silikose-Folgen in dem Projekt „Partizipative Risikopolitik?“, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert und das am Deutschen Bergbaumuseum angesiedelt ist. „Mir geht es nicht nur darum, eine Versicherungs- oder Technikgeschichte zu rekonstruieren“, erklärt Trabalski, „ich möchte auch die Perspektive der Bergleute einbeziehen.“
Kein Arbeitsschutz während der Weltkriege
Während der Kriegswirtschaft war der Bergbau auf eine möglichst hohe Produktion ausgelegt, und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er stark mechanisiert, unter anderem durch die Erfindung des Pressluftbohrers. „Das hat die Arbeit unter Tage sehr verändert“, erzählt Daniel Trabalski. „Durch den Einsatz schwerer Maschinen entstand mehr Staub.“ Dass das ein Gesundheitsrisiko ist, diskutierte man bereits in den 1920er-Jahren.
Trotzdem war die Silikose noch nicht Bestandteil der ersten Berufskrankheitenverordnung, die 1925 in Deutschland eingeführt wurde. Man hatte zwar erkannt, dass es nicht ausreichte, Unfälle zu versichern, sondern dass viele Leute auch chronisch an den Folgen ihres Berufes erkrankten. Aber die Silikose tauchte erst vier Jahre später in der zweiten Berufskrankheitenverordnung auf, und nur das schwerste von drei Stadien der Krankheit war abgedeckt. Betroffene erhielten nur dann Versicherungsleistungen, wenn auf dem Röntgenbild eindeutig eine Silikose erkennbar war und klinisch festgestellt wurde, dass der Patient seinen Beruf nur noch eingeschränkt ausüben konnte. „Es reichte nicht, wenn ein Bergmann mit Atemproblemen zum Arzt kam“, sagt Trabalski.
Wettbewerb ohne Sieger
1929, also im gleichen Jahr, in dem die Staublunge als Berufskrankheit anerkannt wurde, schrieb die Unfallversicherung der Bergleute einen Wettbewerb aus. Sie suchte Ideen für eine effektive Staubbekämpfung unter Tage. „Es gab allerdings keine Gewinner“, erzählt Trabalski. „Nichts konnte die Jury überzeugen, und so wurde das Thema auf die lange Bank geschoben.“
Zwar gab es erste Forschungseinrichtungen, die sich mit der Silikose befassten. Doch sie waren klein und hatten für viele zwar bekannte Probleme noch keine Patentlösung parat. Betriebliche Maßnahmen konzentrierten sich daher zunächst auf das individuelle Verhalten der Bergleute, denen empfohlen wurde, Atemmasken zu tragen. „Aber die Technik konnte mit den extremen Arbeitsbedingungen unter Tage nicht Schritt halten. Die Masken waren nicht dicht, sie erschwerten das Atmen und störten bei der Arbeit“, beschreibt der Doktorand.
Die jungen Bemühungen des Arbeitsschutzes in Bergwerken wurden jäh zurückgeworfen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Die Kohle wurde gebraucht, um Stahl und Treibstoff zu produzieren, alles war auf eine möglichst hohe Produktion ausgelegt. Folglich stiegen die Unfallzahlen, und auch die Zahl der Silikose-Betroffenen schnellte in die Höhe.
„Als das nach dem Zweiten Weltkrieg auffiel, begann eine starke Wissensproduktion“, erzählt Daniel Trabalski. Die Institute für Silikoseforschung expandierten und erhielten verschiedene Abteilungen mit Medizinern und Ingenieuren. „Trotzdem wusste man in der Frühphase erschreckend wenig über die Krankheitsmechanismen“, erzählt der Bochumer Wissenschaftler. Die Experten verfolgten zunächst die Theorie, dass die Betroffenen eine besondere Anlage hätten, eine Silikose zu entwickeln.
Technische Maßnahmen gegen die Staubentwicklung
Als man jedoch nach 1945 wieder regelmäßige medizinische Untersuchungen für Bergleute einführte, fiel auf, dass die Betroffenenzahlen wesentlich höher waren als ursprünglich angenommen. Also versuchten die Betriebe, die Bergbau-Berufsgenossenschaft und die staatlichen Bergämter – eine Art Gewerbeaufsicht –, technisch gegenzusteuern. Es wurden zum Beispiel Bohrhämmer eingeführt, die nur funktionierten, wenn man einen Wasserschlauch anschloss. Auch die Kohle musste befeuchtet werden, um den Staubgrad zu verringern. Die Maßnahmen griffen; die Zahl der Neuerkrankten ging Ende der 1950er-Jahre zurück.
Eine neue Berufskrankheitenverordnung aus dem Jahr 1952 sorgte außerdem dafür, dass Betroffene nicht nur im schwersten Krankheitsstadium Leistungen in Anspruch nehmen konnten, sondern bereits ab einem Invaliditätsgrad von 20 Prozent. Von den 1950er-Jahren bis in die 1970er-Jahre gab es konstant rund 50.000 Menschen mit anerkannter Silikose, die eine Rente bezogen.
Statistische Methoden ermöglichen neue Erkenntnisse
Immer noch verfolgte man die Idee, dass bestimmte Menschen schneller an einer Staublunge erkrankten als andere. Anfang der 1950er-Jahre führte das Oberbergamt eine Kartei ein, in der systematisch für jeden Bergmann erfasst war, an welchen Betriebspunkten er arbeitete und wie hoch dort die Staubbelastung war. Leute mit einem höheren Silikoserisiko wurden an Betriebspunkte mit geringerer Belastung versetzt.
Der Diskurs, welche Menschen anfällig für die Krankheit sind und welche nicht, verschwand in den 60er-Jahren komplett.
Daniel Trabalski
In den 1960er-Jahren wurden diese Daten statistisch ausgewertet. Dabei fiel auf, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Zeit gab, die ein Bergmann unter starker Staubbelastung gearbeitet hatte, und seinem Gesundheitszustand. Nun wandelte sich der Blick; man schaute nicht mehr auf den individuellen Bergmann und seine vermeintliche Neigung, eine Silikose zu entwickeln. Stattdessen berechnete man die Wahrscheinlichkeit für eine Silikoseerkrankung basierend auf der Staubmenge, der ein Bergmann im Lauf seiner Arbeitszeit ausgesetzt gewesen war. Folglich diskutierten die Fachleute an den Forschungsinstituten auch Grenzwerte für die Staubexposition, die die Bergämter schließlich in Form sogenannter Staubbelastungsstufen festlegten. „Der Diskurs, welche Menschen anfällig für die Krankheit sind und welche nicht, verschwand in den 60er-Jahren komplett“, erzählt Daniel Trabalski. „Nur: Die Betroffenen waren immer noch Individuen.“
Tiefe Einblicke in das häusliche Elend
An diesem Punkt setzt seine aktuelle Forschungstätigkeit an. Ihn interessiert, was die Silikose und der Umgang der Versicherungen damit für die Betroffenen bedeutete. In den Akten aus der Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger sucht er darauf nach Hinweisen. Häufig geht es dabei um Forderungen nach Pflegegeld oder einer höheren Rente. „Manchmal schrieben sogar die Frauen der Bergleute an die Versicherung, weil der Mann siech im Bett lag und es selbst nicht mehr konnte“, schildert Trabalski. „Bislang konnte ich nur wenige Äußerungen aus den Akten sammeln, aber sie geben teils tiefe Einblicke in das häusliche Elend, das sich abspielte. Die Einträge spiegeln eine große Frustration wider.“ Frust darüber, dass man Jahre lang unter Tage geschuftet hatte, an den Folgen schwer erkrankt war und nun um Versicherungsleistungen ringen musste.
Für die Betroffenen scheint das eine sehr große Demütigung gewesen zu sein.
Daniel Trabalski
Der Bochumer Historiker zieht ein Zwischenfazit: „Es klafft eine Lücke zwischen dem Selbstbild der Bergleute als hart arbeitende, kernige Typen und dem Zustand des siechen Todgeweihten, in dem sie sich Jahrzehnte später wiederfanden. Für die Betroffenen scheint das eine sehr große Demütigung gewesen zu sein.“