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Wie unsere Gedanken unsere Wahrnehmung beeinflussen
Ausgangspunkt für die Untersuchungen war eine Frage von Prof. Dr. Albert Newen. Der Philosoph und Leiter des „Center for Mind and Cognition“ an der RUB wollte wissen, ob alle Menschen, soweit sie funktionierende Sinne und ein gesundes Hirn haben, stets dasselbe wahrnehmen. Schaut man beispielsweise auf ein geschlossenes Laptop, so ist klar, dass sich das Wahrnehmungsurteil abhängig vom Wissen des Betrachters verändern kann: Während der eine es als graue Alubox beschreibt, erkennt der andere darin ein Laptop. Aber dennoch scheint es so, dass wir alle dasselbe sehen. Ob das wirklich so ist oder ob der Wahrnehmungseindruck sogar vom Hintergrundwissen verändert werden kann, soll von einem interdisziplinären Team bestehend aus Philosophen, Medizinern, Biologen, Neurowissenschaftlern sowie einem Hypnotiseur geklärt werden.
- Forschergruppe „Neuronale Plastizität“, Neurologische Universitäts- und Poliklinik, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum
- Arbeitsgruppe am Lehrstuhl Philosophie des Geistes, Institut für Philosophie II, Ruhr-Universität Bochum
- Forschungsabteilung für soziale Neuropsychiatrie und evolutionäre Medizin, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
- Neural Plasticity Lab, Institut für Neuroinformatik, Ruhr-Universität Bochum
Zunächst standen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor dem Problem, wie sie die Wahrnehmung eines Menschen überhaupt verändern können. „Das stärkste Mittel, das wir kennen, um jemandem etwas zu suggerieren, ist die Hypnose“, erzählt Dr. Melanie Lenz, die maßgeblich an der Durchführung der Tests beteiligt war. Die Biologin arbeitet seit vielen Jahren unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Tegenthoff in der Forschungsgruppe Neuronale Plastizität am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil. Besonders mit dem Tastsinn beschäftigt sich die Gruppe intensiv.
Es lag daher nahe, das Tasten zum Gegenstand der Untersuchungen zu machen. „Wir haben ein Testdesign entwickelt, bei dem es erstens darum ging, herauszufinden, ob wir durch Hypnose die Genauigkeit der Tastwahrnehmung verändern können, und bei dem wir des Weiteren geschaut haben, was währenddessen im Gehirn passiert“, erklärt Lenz’ Kollege Marius Markmann, der als Doktorand ebenfalls an der Studie beteiligt ist.
Nicht jeder Mensch lässt sich gleich gut hypnotisieren
Zunächst mussten 25 Probanden gefunden werden, die sich gut hypnotisieren lassen. Generell kann zwar jeder Mensch den Zustand der Trance erreichen, doch es gibt solche, bei denen es besser funktioniert, und solche, die sich schwerer damit tun. Für die Hypnose selbst engagierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen echten Profi: Andreas Ahnfeldt, der unter seinem Künstlernamen Aaron in Hypnoseshows auftritt, parallel aber auch therapeutisch arbeitet und zum Beispiel Angstpatienten beim Zahnarzt zur Seite steht. Auch das wissenschaftliche Umfeld ist ihm nicht fremd, er hat bereits zwei Studien mit Albert Newen und Prof. Dr. Martin Brüne vom LWL-Klinikum für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin in Bochum durchgeführt.
In ersten Hypnosesitzungen, die der Auswahl dienten, ließ Ahnfeldt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem imaginäre Musikinstrumente spielen. Nachdem die Frauen und Männer identifiziert waren, die sich besonders gut auf die Hypnose einließen, konnten in einer weiteren Sitzung die eigentlichen Tests beginnen. Dazu bekamen die Probanden eine mit Elektroden versehene Kappe auf den Kopf, mit deren Hilfe die Forscherinnen und Forscher die Hirnaktivität während der Versuche messen konnten. Die Tests bestanden aus mehreren Teilen.
Wie viele Metallstifte fühlen die Probanden?
Zunächst fanden die Messungen der Gehirnaktivität im wachen Zustand statt, dann in Hypnose, aber ohne irgendeine Suggestion, anschließend in Hypnose mit der Suggestion, dass der Zeigefinger fünfmal größer sei als sonst, und zuletzt in Hypnose mit der Suggestion, dass der Zeigefinger fünfmal kleiner sei als sonst. Anschließend wurden ebendiese vier Bedingungen wiederholt, diesmal allerdings in Kombination mit der Messung des Tastsinns. Dazu nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Apparatur, auf der dünne Metallstifte in unterschiedlichen Abständen angebracht sind. Der größte Abstand zwischen zwei Erhebungen beträgt dabei 2,5 Millimeter, der kleinste 0 Millimeter, was bedeutet, dass es an dieser Stelle nur einen Pin gibt. Die Probanden mussten mit ihrem Zeigefinger tasten und angeben, ob sie eine oder zwei Erhebungen fühlen.
In einem dritten Versuchsblock wurden ebenfalls die vier Bedingungen vom Anfang wiederholt, diesmal jedoch nicht kombiniert mit einer Tastaufgabe, sondern den Probanden wurde ein kleiner elektrischer und damit auch sensorischer Reiz am Medianus-Nerv am Handgelenk verabreicht. Mit den Tests aus dem dritten Block wollen die Forscherinnen und Forscher herausfinden, wie sich die Erregbarkeit auf einen sensorischen Reiz hin verändert, wenn man in Hypnose ist. Dafür betrachten sie besonders die Hirnareale, die die somatosensorischen Eingänge verarbeiten, die also für den Tastsinn zuständig sind.
„Wenn wir alle Daten ausgewertet haben, was bisher leider noch nicht der Fall ist“, so Lenz, „wird es sehr spannend sein zu sehen, ob die Suggestion der schrumpfenden und wachsenden Zeigefinger einen Effekt auf die Tastwahrnehmung hat und welche Veränderungen währenddessen im Vergleich zum Ruhe-EEG im Hirn vonstattengehen.“ Sollten die Ableitungen zeigen, dass es unter den unterschiedlichen Testbedingungen zu Veränderungen in den für das Tasten wichtigen Hirnarealen gekommen ist, so wäre das ein Hinweis darauf, dass sich bei den Probanden nicht nur das Urteil über die Wahrnehmung, sondern die tatsächliche Wahrnehmung selbst verändert hat.
Auswertung der Daten läuft
„Was wir zum jetzigen Stand der Dinge schon sagen können“, so Melanie Lenz, „ist, dass sich die Hirnwellen im Ruhezustand von denen in Hypnose unterscheiden. Allerdings können wir über die verschiedenen Probanden hinweg dabei kein einheitliches Muster erkennen.“ Vielmehr seien die Unterschiede sehr individuell, was eine Hypothese von Andreas Ahnfeldt untermauert, der sich sicher ist, dass sich Hypnose bei jedem Menschen anders anfühlt. „Wie genau, das lässt sich leider schwer in Worte fassen. Vielleicht lässt es sich am ehesten mit einem Tagtraum vergleichen“, sagt er. Unangenehm war das Erlebnis für die Probanden jedenfalls nicht. Zusammen mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern warten sie nun gespannt auf die Auswertung der Daten.
Bei der Hypnose kommt es laut Andreas Ahnfeldt vor allem auf den sogenannten Rapport an. Dabei baut der Hypnotiseur innerhalb kurzer Zeit eine vertrauensvolle und empathische Verbindung zu seinem Gegenüber auf und überzeugt es davon, dass es sich voll und ganz auf ihn verlassen und ihm folgen kann. Auf diese Weise bekommt der Hypnotiseur Zugang zum Unterbewusstsein des anderen und kann ihn dazu bringen, zu entspannen und seine ganze Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten. Während der Trance ist der oder die Hypnotisierte entgegen landläufigen Meinungen keineswegs willenlos. Vielmehr kann er oder sie die Sitzung jederzeit unterbrechen. Dies tun auch viele Hypnotisierte, wenn Handlungen von ihnen verlangt werden, die sie auch im wachen Zustand strikt ablehnen würden.
31. März 2020
11.31 Uhr