Der Tastsinn kann sich durch ein entsprechendes Stimulationstraining verbessern – hier zum Beispiel, indem man danach eng beeinanderstehende Nadelspitzen noch unterscheiden kann.
© RUB, Nelle

Neurowissenschaft Forscher beobachten Lernprozesse im Gehirn

Verabreicht man über lange Zeit einen Tastreiz immer wieder, verändert sich die Aktivität der für die Verarbeitung zuständigen Nervenzellen.

Reizt man über längere Zeit die Fingerspitze mit einem wiederholten Tastimpuls, verbessert sich der Tastsinn nachweislich. Was dabei im Gehirn passiert, hat ein Forschungsteam um Privatdozent Dr. Hubert Dinse an der RUB untersucht. Die Forscher registrierten mit Hilfe eines Enzephalogramms (EEG) die Aktivität von Nervenzellen der für die Verarbeitung zuständigen Hirnbereiche. Dabei konnten sie beobachten, dass sich die Aktivität der dortigen Nervenzellen verändert – möglicherweise ein Abbild eines Lernprozesses. Das Team berichtet in der Zeitschrift Frontiers in Human Neuroscience vom 30. Juni 2020.

Lernen durch Wiederholung

Normalerweise lernen Menschen durch Übung und Wiederholung, wodurch im Gehirn ein Prozess angeregt wird, der sich neuronale Plastizität nennt. Eine zelluläre Basis für solche Plastizitätsprozesse besteht in der Langzeitpotenzierung, einer Fähigkeit von Gehirnzellen, die Kommunikationsstärke zwischen einzelnen Nervenzellen zu verbessern.

An diese Langzeitpotenzierung angelehnt hat das Forschungsteam stimulationsbasierte Lernmethoden entwickelt. Dabei werden Sinne, beispielweise der Seh- oder Tastsinn, rhythmisch stimuliert. Ein gut untersuchtes Beispiel dafür ist die elektrische Stimulation der Fingerspitzen, die – wenn sie mit der richtigen Frequenz angewandt wird – die Tastfähigkeit der Finger nachweislich erhöhen kann. Studien zeigen, dass diese Stimulation der Fingerspitzen zu bedeutenden Plastizitätsprozessen im somatosensorischen Cortex führt. Ob dabei allerdings auch tatsächlich Langzeitpotenzierung stattfindet, ist noch nicht bewiesen.

Experiment mit Luftkissen

Die Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der RUB haben daher stimulationsbasiertes Lernen bei Freiwilligen mittels Elektroenzephalografie untersucht. Dabei wollten sie die Aktivität der Nervenzellen während eines Lernprozesses sichtbar machen. Freiwillige erhielten 40 Minuten lang eine schmerzfreie Stimulation des Fingers mit Luftkissen. Gleichzeitig wurde durch das EEG die Aktivität im somatosensorischen Cortex der Probanden gemessen. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Bereich dieses Hirnareals, in dem die Signale aus der rechten Hand verarbeitet werden.

Nervenzellen passen ihre Aktivität an

„Durch die elektrophysiologischen Messungen der Gehirnaktivität konnten wir zeigen, dass zu aktiven Stimulationsphasen große Zellensembles ihre Aktivität an die Frequenz der Stimulation anpassen. Diese Reaktion bleibt über 20 Minuten hinweg konstant, ohne Zeichen von Gewöhnung, ganz ähnlich wie bei zellulärer Langzeitpotenzierung“, erklärt Dr. Marion Brickwedde, Erstautorin der Studie.

Weiterhin konnten die Forscherinnen und Forscher aber auch beobachten, wie sich die neuronale Reaktion auf die Stimulation über die Zeit hinweg veränderte. „Diese Prozesse stellen möglicherweise Veränderungen in der Verarbeitungsbereitschaft taktiler Gehirnareale dar, also einen direkt beobachtbaren Lernprozess. Ob die hier eingesetzte Fingerstimulation tatsächlich Langzeitpotenzierung im menschlichen sensomotorischen Cortex auslöst, lässt sich noch nicht endgültig klären. Berücksichtigt man aber frühere Forschungsergebnisse, die beispielsweise die Abhängigkeit beider Prozesse vom gleichen neuronalen Rezeptortyp zeigen, spricht viel dafür“, erklärt Marion Brickwedde.

Veröffentlicht

Dienstag
21. Juli 2020
08:40 Uhr

Von

Meike Drießen (md)
Judith Merkelt-Jedamzik

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