Katalin Barkovits-Boeddinghaus ist Expertin für Massenspektrometrie. © Damian Gorczany

Proteinforschung Wo ein Protein, da ein Täter

Ob ein schleimiger Fleck an einem Tatort Nasenschleim oder Sperma ist, kann für Ermittlungen einen Unterschied machen. Nur ist es nicht leicht, Körperflüssigkeiten auseinanderzuhalten. Hier kommt die RUB ins Spiel.

Um ein Verbrechen aufzuklären, kann jede winzige Spur entscheidend sein: ein Haar, ein Fingerabdruck, ein paar Tropfen Körperflüssigkeit. Dazu müssen Ermittlerinnen und Ermittler identifizieren können, um welche Körperflüssigkeit es sich handelt. Sperma oder Vaginalsekret können etwa auf ein Sexualverbrechen hinweisen. „Wird eine schleimige Substanz im Bettlaken gefunden, könnte der Täter auch behaupten, es sei sein Nasenschleim, weil er Allergiker sei“, schildert Dr. Katalin Barkovits-Boeddinghaus ein mögliches Anwendungsbeispiel. Sie forscht am Medizinischen Proteom-Center der RUB. In Kooperation mit den Landeskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Bayern hat ihr Team ein neues Verfahren entwickelt, um verschiedene Körperflüssigkeiten auseinanderzuhalten.

Etablierte Verfahren haben Nachteile

Natürlich gibt es etablierte Methoden für die Identifikation von Körperflüssigkeiten. „Sie funktionieren ähnlich wie Corona-Schnelltests. Man gibt ein paar Tropfen der Probe in eine Testkassette“, erklärt Barkovits-Boeddinghaus. Blut, Speichel, Sperma und Urin lassen sich so nachweisen. Für das Vaginalsekret gibt es hingegen bislang kein gut funktionierendes Verfahren. Es lässt sich nur unter dem Mikroskop identifizieren, indem man nach bestimmten Zellen sucht. Diese gehen jedoch schnell kaputt, was den Nachweis erschwert.

Oft steht nur eine kleine Probenmenge zur Verfügung.


Katalin Barkovits-Boeddinghaus

Und die Verfahren haben einen weiteren Nachteil: „Für jede Körperflüssigkeit muss man einen eigenen Test machen“, sagt Katalin Barkovits-Boeddinghaus. „Oft steht aber nur eine kleine Probenmenge zur Verfügung. Dann müssen Ermittlerinnen und Ermittler entscheiden, ob sie zum Beispiel nach Speichel oder nach Sperma suchen wollen, weil die Probe vielleicht nicht für beide Tests reicht.“

Katalin Barkovits-Boeddinghaus forscht am Medizinischen Proteom-Center der RUB. Sie und ihr Team kooperieren mit den Landeskriminalämtern in NRW und Bayern. © Damian Gorczany

Gefördert vom Inneren Sicherheitsfonds der EU entwickelte das RUB-Team zusammen mit seinen Praxispartnern daher ein Verfahren, das eine winzige Probenmenge gleichzeitig auf das Vorhandensein von Blut, Speichel, Urin, Sperma und Vaginalsekret überprüfen kann. Es basiert auf der Massenspektrometrie, mit der man alle in einer Probe enthaltenen Proteine identifizieren kann.

Massenspektrometrie

Mit der Massenspektrometrie lassen sich nicht nur Proteine, sondern auch andere Moleküle oder Atome nachweisen. Größere Moleküle, etwa Proteine, werden dabei in Bruchstücke zerlegt und dann ionisiert, also in eine geladene Form überführt. Anschließend wird in dem Gerät das Masse-zu-Ladung-Verhältnis der Bruchstücke bestimmt. Dieses Verhältnis können die Forschenden mit Datenbanken abgleichen, um herauszufinden, um welches Molekül es sich handeln könnte.

In den Proben des Bochumer Teams befinden sich über 10.000 Peptide, die nicht alle auf einmal vermessen werden können. Daher sortieren die Forschenden die verschiedenen Peptide zunächst und analysieren sie dann häppchenweise. Sie nutzen die sogenannte Flüssigkeitschromatografie, um die Peptide nach verschiedenen Arten aufzutrennen – so als würde man eine gemischte Weingummitüte in rote Kirschen, grüne Frösche, Colaflaschen und so weiter sortieren.

Die sortierten Proben vermessen sie dann zweimal im Massenspektrometer. Im ersten Durchgang identifizieren die Forschenden das Masse-zu-Ladung-Verhältnis der in der Probe enthaltenen Peptide. Das reicht aber nicht, um die Peptide eindeutig zu identifizieren, da es mehrere Peptide mit dem gleichen Masse-zu-Ladung-Verhältnis gibt. Also wird jedes Peptid in einem zweiten Durchgang in mehrere Fragmente zerlegt, für die dann auch wieder die Masse-zu-Ladung-Verhältnisse bestimmt werden. Die Masse-zu-Ladung-Verhältnisse eines kompletten Peptids und seiner Bruchstücke werden dann mit Datenbanken abgeglichen. Jeder der Werte steuert ein Puzzlestück zur eindeutigen Identifikation des Peptids bei.

Sekrete unterscheiden sich in Proteinzusammensetzung

Da sich verschiedene Körperflüssigkeiten in ihren Zusammensetzungen unterscheiden, war die Hoffnung des RUB-Teams, Proteine finden zu können, die jeweils nur in einem der Sekrete auftreten. Das Vorhandensein von Protein 1 würde dann beweisen, dass es sich um Speichel handelt, während Protein 2 auf Vaginalsekret hindeutet und so weiter. Im ersten Schritt machten sich die Forschenden also auf die Suche nach charakteristischen Proteinen, genauer gesagt Peptiden. Denn für die Massenspektrometrie werden alle Proteine in kleinere Fragmente zerteilt, die Peptide. Um sogenannte Markerpeptide zu finden, arbeiteten die Forschenden mit Proben von fünf Körperflüssigkeiten verschiedener Probandinnen und Probanden: Blut, Speichel, Urin, Vaginalsekret und Sperma, welche häufig in forensischen Analysen identifiziert werden müssen.

Sie erstellten zunächst eine Übersicht aller Peptide, die sie zuverlässig über die Individuen hinweg im Blut, Speichel, Urin, Vaginalsekret oder Sperma nachweisen konnten. Anschließend verglichen sie die Datensätze für die fünf Körperflüssigkeiten und identifizierten diejenigen Peptide, die jeweils nur in einem der Sekrete auftauchten. Für jede Körperflüssigkeit fanden sie am Ende fünf bis sechs charakteristische Peptide.

Proben aus den Landeskriminalämtern im Test

Die kooperierenden Landeskriminalämter stellten dem RUB-Team dann mehrere Proben zur Verfügung, ohne zu verraten, was darin enthalten war. Mittels Massenspektrometrie suchte das Team um Katalin Barkovits-Boeddinghaus in jeder davon nach Spuren von Blut, Speichel, Urin, Sperma und Vaginalsekret – gleichzeitig in einem einzigen Test. Das Verfahren spürte die fünf Körperflüssigkeiten zuverlässig auf. Die Sensitivität war dabei höher als bei den etablierten Methoden; für die Massenspektrometrie reichten also noch geringere Mengen der Sekrete, damit der Test anschlug.

Außerdem liefert die Analyse noch eine Zusatzinformation: Wenn Blut, Speichel, Urin, Sperma oder Vaginalsekret anhand der Markerpeptide mit der Massenspektrometrie nachgewiesen werden, ist zugleich klar, dass es sich nicht um Tränenflüssigkeit, Schweiß oder Nasenschleim handeln kann. „Wir können Proben zwar nicht direkt auf diese drei Substanzen hin untersuchen, aber wir können zumindest ausschließen, dass sie enthalten sind.“ Denn die verwendeten Markerpeptide kommen in Tränen, Schweiß und Nasensekret nicht vor. Wie wichtig diese Abgrenzung sein kann, zeigt der oben skizzierte Anwendungsfall eines Sexualstraftäters, der behauptet Allergiker zu sein.

Teilnahme am Forensik-Wettbewerb

Das Verfahren klappt so gut, dass die Arbeitsgruppe am Medizinischen Proteom-Center der RUB mittlerweile jährlich an dem Ringversuch der Spurenkommission GEDNAP teilnimmt, kurz für German DNA Profiling. Er dient als externe Qualitätskontrolle. Die teilnehmenden Institutionen erhalten Untersuchungsgegenstände wie Toilettenpapier, Tampons, Kondome oder Zigarettenstummel zugeschickt und müssen diese analysieren. Dabei gibt es zwei Wettbewerbskategorien: die DNA-Analyse, mit der individuelle Täterinnen und Täter ermittelt werden können, und die Bestimmung von Körperflüssigkeiten; bei Letzterer macht das RUB-Team mit.

Dass die Methode gut funktioniert, hat das RUB-Team schon zweimal bei einem Wettbewerb von „German DNA Profiling“ gezeigt. Dabei müssen die Teilnehmenden Spuren von Körperflüssigkeiten an bestimmten Gegenständen analysieren. © Damian Gorczany
Dass seine Methode gut funktioniert, hat das RUB-Team schon zweimal bei einem Wettbewerb von „German DNA Profiling“ gezeigt. Dabei müssen die Teilnehmenden Spuren von Körperflüssigkeiten an bestimmten Gegenständen analysieren.

„Wir haben zwei Jahre lang teilgenommen und bislang 100 Prozent der Proben richtig bestimmt“, erzählt Katalin Barkovits-Boeddinghaus. Der Wettbewerb stellte die Forschenden aber manchmal auch vor Herausforderungen: „Einmal mussten wir ein Stück Toilettenpapier auswerten, aber konnten gar nicht sehen, wo sich die Körperflüssigkeit überhaupt befindet“, erinnert sie sich. „Wir haben hier ja kein normales forensisches Equipment zur Hand.“ Eine Technische Assistentin im Team erwies sich jedoch als erfinderisch. Sie legte das Toilettenpapier kurzerhand auf den UV-Lichttisch, der normalerweise für die Auswertung von ganz anderen Proben im Laboralltag gebraucht wird – und schon wurde die gesuchte Spur sichtbar.

Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt

Aufgrund der Einschränkungen durch die Coronapandemie im Forschungsbetrieb konnte das Team 2021 nicht an dem GEDNAP-Wettbewerb teilnehmen. Für 2022 ist das aber erneut fest eingeplant. Der Kontakt zu den Landeskriminalämtern in Bayern und NRW ist währenddessen auch nach dem Ende des gemeinsamen Forschungsprojekts geblieben. Hin und wieder schicken die Kriminalbeamten dem RUB-Team echte Fallproben zur Analyse. Zu diesem Zweck haben sie während des Projekts auch einen Workflow erarbeitet. Die Proben werden im Landeskriminalamt vorbereitet, auf ein Filterpapier getropft und in getrocknetem Zustand mit der Post zur RUB geschickt. „Die Proteine bleiben auch in getrocknetem Zustand stabil, das haben wir überprüft“, so Barkovits-Boeddinghaus.

Im Landeskriminalamt wird ein minimaler Teil der gewonnenen Spur auf eine Filtermembran in einem Plastikgefäß aufgetragen. So kommt die Probe zur RUB, wo sie analysiert wird. © Damian Gorczany

Die Forscherin prüft derzeit, inwiefern es möglich ist, massenspektrometrische forensische Analysen dauerhaft als Dienstleistung an der RUB anzubieten. Für die Anwendung des Verfahrens ist eine hohe Expertise erforderlich, die sie und ihr Team beisteuern könnten, um bei der Aufklärung von Verbrechen zu helfen. „Derzeit können wir die Proben aber noch nicht so schnell analysieren, wie es dafür erforderlich wäre“, sagt sie. Für eine schnellere Reaktionszeit bräuchte das RUB-Team ein eigenes Massenspektrometer, das für forensische Analysen reserviert ist und für das ein Vollwartungsvertrag besteht, sodass das Gerät umgehend repariert würde, wenn es mal streikt. Außerdem soll das Analyseverfahren selbst noch schneller werden.

„Momentan brauchen wir etwa einen Arbeitstag bis zum Endergebnis. Diese Zeitspanne möchten wir halbieren. Außerdem möchten wir den Prozess so weit wie möglich automatisieren“, gibt Katalin Barkovits-Boeddinghaus einen Ausblick. Auf jeden Fall wollen die RUB-Forschenden auch in Zukunft bei der Aufklärung von Straftaten helfen, wo immer es ihnen möglich ist.

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Veröffentlicht

Donnerstag
28. April 2022
09:28 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. Mai 2022 in Rubin 1/2022 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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