Inwiefern digitale Hilfsmittel bei der Zusammenarbeit von räumlich verteilten Teams helfen können, möchte Lisa Thomaschewki herausfinden. © Damian Gorczany

Psychologie Meine Teamkollegin, der Avatar und ich

Wie sich Arbeitsprozesse in räumlich verteilten Teams optimieren lassen, interessiert ein Psychologieteam der RUB. Die Forschenden setzen auf Augmented Reality.

Auf einmal war nichts mehr wie zuvor. Corona hat in vielen Unternehmen und Behörden die Arbeitsabläufe ordentlich durcheinandergewirbelt. Plötzlich musste Homeoffice im großen Stil funktionieren, wo es zuvor die Ausnahme gewesen war. Die Frage, wie Teams funktionieren, wenn sie sich nicht an einem Ort befinden, stand von heute auf morgen im Fokus der Arbeitswelt. An der RUB tut sie das schon länger.

In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Annette Kluge beschäftigen sich mehrere Forschungsprojekte damit, wie räumlich verteilte Teams am besten zusammenarbeiten können. Denn wer nicht direkt miteinander sprechen und sich nicht sehen kann, hat zwangsläufig Hürden zu überwinden. „Die Übergabepunkte, an denen eine Person dort weitermachen muss, wo eine andere aufgehört hat, führen häufig zu Zeitverlust“, weiß Lisa Thomaschewski. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie sucht sie nach Lösungen, die den Arbeitsalltag künftig leichter machen könnten – und zwar im Bereich der Augmented Reality.

Augmented Reality als Helferin

„Ursprünglich haben wir uns für Organisationen wie beispielsweise Feuerwehr, Militär oder auch Raffinerien interessiert“, sagt Thomaschewski. In solchen Organisationen arbeiten die Beschäftigten häufig an unterschiedlichen Orten, und Fehler können verheerende Folgen haben. „Ein Zeitversatz kann ausreichen, um die Sicherheit zu beeinträchtigen“, so die Psychologin.

Lisa Thomaschewski (links) und Annette Kluge (rechts) vom Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie kooperieren für die Arbeiten mit Benjamin Weyers von der Arbeitsgruppe Human-Computer Interaction an der Universität Trier. © Damian Gorczany

Prozesse in Hochrisikoorganisationen sind aber schwer zu erforschen, weil das schlicht zu gefährlich für alle Beteiligten werden könnte. Daher schauen sich die Forschenden Anwendungsbeispiele aus der Produktionsbranche an, in der es ähnliche Herausforderungen gibt. Ziel der Prozessoptimierung hier ist es, eine möglichst hohe Produktivität zu erzielen. „Wir wollten wissen, welche Hilfsmittel dafür nützlich sein können, und sind schnell auf Augmented Reality gekommen“, erklärt Lisa Thomaschewski. Sie arbeitet mit der HoloLens, einer Augmented-Reality-Brille, die virtuelle Informationen überlagert auf Objekten der realen Welt einblenden kann. Das Praktische: Mit dieser Technik bleiben die Hände frei. Das ist nützlich, wenn beispielsweise ein komplexes Schaltpult zu bedienen ist. Ein Vorteil ist auch, dass man die Technik in ein Unternehmen einbringen kann, ohne in bestehende Systeme eingreifen zu müssen.

Simulierte Abwasseraufbereitung erfordert Teamarbeit

Für ihre Studien ziehen die Forschenden eine etablierte Simulation einer Abwasseraufbereitungsanlage heran. Um diese zu steuern, sind 13 Schritte in der richtigen Reihenfolge zu absolvieren. Es müssen zum Beispiel Ventile geöffnet oder geschlossen und Tanks gefüllt werden. Wer möglichst viel gereinigtes Wasser erhalten will, braucht zudem ein gutes Timing. Die RUB-Gruppe adaptierte die Simulation so, dass sie von zwei Personen im Team bedient werden muss. Jede Person muss dabei einige der 13 Schritte im Wechsel durchführen und das stets zum richtigen Zeitpunkt, wenn der Partner oder die Partnerin die eigene Aufgabe abgeschlossen hat.

Um das Ganze noch etwas schwieriger zu machen, haben die beiden Teilnehmenden zudem eine Individualaufgabe zu lösen. Jede Person bedient allein eine zweite Abwasseraufbereitung, die ebenfalls möglichst viel gereinigtes Wasser erzeugen soll. „Im realen Arbeitsalltag kann man sich in der Regel auch nicht nur auf eine Aufgabe im Team konzentrieren, sondern muss weitere Aufgaben zeitgleich erledigen“, begründet Lisa Thomaschewski.

Für die Versuche befanden sich die beiden Teilnehmenden jeweils in zwei getrennten Räumen, ohne miteinander kommunizieren zu können. Jede Person steuerte über ein Tablet ihre eigene Abwasseraufbereitung sowie ihre Aufgaben als Teamaufgabe. Die Simulationen für Individual- und Teamaufgabe waren dabei auf zwei unterschiedlichen Leinwänden zu sehen, die im 90-Grad-Winkel zueinander standen. Um von der Individualaufgabe zur Teamaufgabe zu wechseln, mussten sich die Teilnehmenden somit umdrehen, konnten den Parallel-Job also nicht aus dem Augenwinkel beobachten. 110 Zweierteams machten bei dem Versuch mit, wobei die Durchführung für jedes Paar etwa vier Stunden Zeit in Anspruch nahm.

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Zwei Tools sollen bei der Aufgabe helfen

Für den Versuch hatten die Teilnehmenden das sogenannte Ambient Awareness Tool zur Verfügung. Das RUB-Team hat es gemeinsam mit der Gruppe um Prof. Dr. Benjamin Weyers von der Arbeitsgruppe Human-Computer Interaction an der Universität Trier entwickelt. Über die HoloLens blendete es den Probandinnen und Probanden Informationen zum Zustand der Anlage ein, der andernfalls nicht sichtbar gewesen wäre. In der HoloLens sahen die Teilnehmenden drei Icons, die jeweils die nächsten anstehenden Schritte in den beiden Aufgaben anzeigten. Konnte der nächste Schritt durchgeführt werden – zum Beispiel weil die Partnerin in der Teamaufgabe mit ihrem Prozessschritt fertig war –, fing das Icon an zu blinken. Die Teilnehmenden mussten also nicht permanent checken, wie weit die zweite Person schon mit ihrer Aufgabe war. Das Tool signalisierte ihnen, wann sie dran waren. So konnten sie sich in der Zwischenzeit auf ihre andere Aufgabe konzentrieren.

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Als zusätzliche Hilfe für die Probandinnen und Probanden kam ein Gaze Guiding Tool zum Einsatz: In der HoloLens wurde immer das Objekt der Abwasseraufbereitungsanlage farblich markiert, das als nächstes bearbeitet werden musste. Zusätzlich wurde ein Hinweistext eingeblendet, was mit diesem Objekt zu tun war. Die Forscherinnen verglichen, wie effizient die Teilnehmenden bei der Aufgabe waren, wenn sie nur das Gaze Guiding Tool zur Verfügung hatten oder wenn sie zusätzlich das Ambient Awareness Tool nutzen konnten. „Die Ergebnisse sind allerdings nicht eindeutig“, fasst Thomaschewski zusammen. „Dass das Gaze Guiding Tool die fehlerfreie Bedienung unterstützt, wissen wir schon aus früheren Studien. Wir sehen auch eine Tendenz, dass die Probandinnen und Probanden mit dem Ambient Awareness Tool effizienter sind, können dazu aber zum jetzigen Auswertungszeitpunkt noch nichts Zuverlässiges sagen.“

Ein Fortschrittsbalken für das Teamgefühl

Neben den oben beschriebenen Hilfsmitteln testeten die Forschenden, ob ein zusätzlicher Fortschrittsbalken die zeitliche Koordination der Teams verbesserte. Er war über dem Objekt positioniert, das die nächste Aufgabe anzeigte, und signalisierte, wann der nächste Schritt in Angriff genommen werden konnte. Das verbesserte zwar nicht das Timing bei der Aufgabe. Dafür war mit dem Fortschrittsbalken die Teamkohäsion größer, ein Maß für die empfundene Teamzusammengehörigkeit, wie die Forschenden mit Fragebögen herausfanden. „Wir denken, dass der Balken als sozialer Hinweis wahrgenommen wird: Er vermittelt den Eindruck, dass da noch jemand ist“, vermutet Lisa Thomaschewski.

Weil das Teamgefühl den Forschenden wichtig ist, experimentieren sie derzeit mit einer weiteren Technik, die allerdings noch im Anfangsstadium ist. Statt der abstrakten Objekte des Ambient Awareness Tools lassen sie mithilfe der HoloLens den Avatar des Teampartners oder der Teampartnerin einblenden. Die Probandinnen und Probanden sehen durch die Brille also eine Projektion einer Person, die zum Beispiel in Richtung des nächsten Prozessschritts deuten kann. Die komplexe Abwasseraufbereitung als Teamaufgabe konnten sie so noch nicht testen. Erst einmal testeten sie die Machbarkeit und wollten wissen, wie Menschen auf die Avatare reagieren.

Wie der Avatar entsteht

Um den Avatar zu erzeugen, braucht es eine menschliche Vorlage. Eine Versuchsleiterin befindet sich in einem anderen Raum als die Probandin oder der Proband. Dort wird jede ihrer Bewegungen von einem speziellen System über Kameras erfasst und in die Bewegungen des Avatars übersetzt. Der Avatar wird über die HoloLens eingeblendet, sodass es für die Teilnehmenden so aussieht, als ob er im Raum stünde. Die technische Umsetzung sowie die Programmierung des Avatars erfolgte durch die Kooperationspartner der Universität Trier.

Inwiefern Avatare bei der virtuellen Zusammenarbeit helfen können, ergründet das Bochumer Team derzeit mit einer Gruppe der Universität Trier, die bereits eine erste Version eines Avatars technisch umgesetzt hat. © Arbeitsgruppe Human-Computer Interaction, Universität Trier

Zu diesem Zweck mussten Teilnehmende – ohne Teampartner oder -partnerin – einzelne Füllstände der Simulationsoberfläche ablesen. Dabei sahen sie den Avatar, der in Richtung des abzulesenden Anlagenteils deutete. In einer zweiten Versuchsbedingung stand der Avatar einfach nur still im Raum, ohne zu interagieren. Begleitende Befragungen ergaben, dass der bewegliche Avatar erwartungsgemäß als realistischer wahrgenommen wurde und das Gefühl verstärkte, nicht allein zu sein.

Die Vision: Teammitglieder als Avatare

Hier will das Psychologie-Team nun weiter forschen. Welche Rolle spielt das Geschlecht des Avatars? Was passiert, wenn er sich den Teilnehmenden nähert oder sich entfernt? Bewegen sie sich mit? Und lässt sich der Avatar einsetzen, um die Effizienz in der Simulation der Abwasseraufbereitungsanlage zu erhöhen?

Unser Ziel ist es, einen visuell gemeinsamen Arbeitsplatz über die räumliche Entfernung zu schaffen.


Lisa Thomaschewski

Wenn die Technik ausgereift ist, könnte die Teampartnerin als Avatar an den Ort des Kollegen projiziert werden, sodass dieser sehen könnte, was die Partnerin macht – so die Idee der Forschenden. „Unser Ziel ist es, einen visuell gemeinsamen Arbeitsplatz über die räumliche Entfernung zu schaffen“, sagt Lisa Thomaschewski. Dabei weiß sie, dass diese Forschung nicht schon übermorgen Einzug in die Berufswelt halten wird. „Augmented-Reality-Brillen haben sich noch nicht durchgesetzt, weil die Technik einfach noch nicht weit genug ist“, meint sie. In zwei bis fünf Jahren könnte das anders aussehen. Dann könnten die Brillen die Arbeit von räumlich verteilten Teams erleichtern.

Originalveröffentlichung

Lisa Thomaschewski, Benjamin Weyers, Annette Kluge: A two-part evaluation approach for measuring the usability and user experience of an Augmented Reality-based assistance system to support the temporal coordination of spatially dispersed teams, in: Cognitive Systems Research, 2021 DOI: 10.1016/j.cogsys.2020.12.001

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Veröffentlicht

Dienstag
18. Oktober 2022
09:29 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. November 2022 in Rubin 2/2022 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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