Kommunikationsnetzwerke Schnell durch den Stau auf der Datenautobahn

Um mit einem Taxi in New York von A nach B zu fahren, braucht es keinen Fahrer vor Ort. Das Fahrzeug könnte auch aus Brasilien gesteuert werden. Vorausgesetzt, die Datenpakete werden zuverlässig und schnell zugestellt.

Der Taxifahrer, der sein Taxi durch die Stadt steuert. Die Chirurgin, die am OP-Tisch steht und einen Eingriff durchführt. Das Team des Flughafentowers, das den Flugverkehr im Blick hat und lenkt. Diese Dinge gehören für uns wie selbstverständlich nah zusammen. „Diese engen räumlichen Beziehungen sind im Begriff sich aufzulösen“, stellt Prof. Dr. Steffen Bondorf fest. Der Informatiker leitet den Lehrstuhl für Verteilte und Vernetzte Systeme an der Fakultät für Informatik der Ruhr-Universität Bochum. „Schon wenn wir in einem Callcenter anrufen und den Eindruck haben, die Person, die wir erreichen, würde in der nächsten Nachbarschaft sitzen, stimmt das nicht mehr. Häufig befinden sich solche Callcenter auf einem anderen Kontinent.“

Und das Internet macht es möglich, weitere Entkopplungen zu erdenken oder gar heute bereits umzusetzen. Warum sollte das Towerteam nicht ganz woanders sitzen als am Flughafen? Über Monitore könnte es genauso den Flugverkehr überwachen und kontrollieren wie vor Ort. Ein Taxi ließe sich auch von Rio de Janeiro aus durch New York lenken. Die Ärztin könnte die Instrumente für die Operation von egal wo steuern, was der Patientin oder dem Patienten vielleicht eine strapaziöse Reise in eine Spezialklinik ersparen würde.

Wenn das Bild stockt, weil der Datenstrom nicht fließt

Viele beschleicht bei dieser Vorstellung eventuell ein gewisses Unbehagen. Denn wer das Internet nutzt, sei es zum Filmeschauen oder für Videokonferenzen, kennt Momente, in denen plötzlich das Bild stockt. Das ist zwar nur ärgerlich und bringt niemanden in Lebensgefahr. Aber bei Operation, Taxifahrt oder Flugsteuerung geht es im Zweifel um Leben und Tod. Sie müssen absolut zuverlässig und schnell funktionieren. Eine Verzögerung in der Weiterleitung der Steuersignale hätte fatale Folgen.

Steffen Bondorf befasst sich in seiner Forschung genau damit: Er versucht die Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit der Datenübermittlung mathematisch nachzuweisen. Diese Angelegenheit ist ziemlich komplex: „Das Internet ist ein riesiges System mit zahllosen Komponenten“, veranschaulicht der Forscher. „Wir können es nicht als Ganzes betrachten, sondern müssen uns die einzelnen Teile vornehmen.“

Je mehr Verkehr, desto länger die Warteschlange

Wenn jemand zum Beispiel von seinem Smartphone aus eine Anfrage bei Google startet, sendet das Smartphone die Daten zunächst an den nächsten Mobilfunkmast. Von dort aus werden sie über ein Glasfaserkabel weitergegeben an einen Internetknotenpunkt eines Netzwerkbetreibers, der sie wiederum weiterleitet, bis sie schließlich auf einem Google-Server landen, der dann eine Antwort schickt. Daten lassen sich kopieren, und Google betreibt Server auf allen Kontinenten, wodurch man vergleichsweise kurze Wege hat. Steuersignale müssen aber gegebenenfalls als interkontinentaler Datenverkehr über Unterseekabel reisen. Jeder Streckenabschnitt und jeder Knotenpunkt, an dem sie weitergegeben werden, beeinflusst die Geschwindigkeit, mit der sie vorankommen. Dabei gilt dasselbe wie auf der Autobahn: Je mehr Verkehr unterwegs ist, desto länger muss man warten, und das Vorankommen ist langsamer.

Wie schnell läuft ein Signal vom Start zu Ziel? Das versucht Steffen Bondorf zu berechnen. © Damian Gorczany

„Dabei ist das Verhalten der einzelnen Komponenten einerseits durch technische Gegebenheiten definiert, aber nicht nur“, erklärt Steffen Bondorf. „Es werden andererseits auch Standards definiert, die Forschende, Hersteller von Hardware und Vertretende politischer Organe gemeinsam erarbeiten.“ Dazu gehört zum Beispiel der Umgang mit Stau auf der Datenautobahn. „Wenn zeitgleich zu viele Datenpakete an einem Internetknotenpunkt ankommen, können sie nicht sofort verarbeitet werden, und es entsteht eine Warteschlange“, erklärt Steffen Bondorf. So etwas kann sich dann im Stocken eines Videos bemerkbar machen. Die Standards legen fest, welche Daten möglicherweise mit Priorität behandelt werden müssen, damit es hier nicht stockt. „Das ist ungefähr so, wie wenn alle Verkehrsteilnehmenden vor einer roten Ampel warten müssen, die Feuerwehr darf aber durchfahren“, vergleicht Bondorf. Diese Priorisierung von Daten ist nicht ohne Konfliktpotenzial. Große Konzerne möchten ihren Services und Kunden gerne Vorrang ermöglichen, Priorität für die eigenen Daten kaufen. Verfechter der Netzneutralität hingegen fordern gleiche Bedingungen für alle Daten. „Wie dem auch sei: Es ist möglich, Daten Vorrang zu geben“, erläutert Steffen Bondorf. Und das ist bedeutend für seine Arbeit.

700 Millisekunden und nicht mehr

In dem sogenannten Netzwerkkalkül modelliert er den Weg der Daten von A nach B – beispielsweise von Rio de Janeiro, dem Standort des Taxifahrers, nach New York, dem Standort des Taxis. Sämtliche Stationen und Schnittstellen, die die Daten passieren, werden mitsamt ihren technischen Eigenheiten in das Modell aufgenommen. „Das funktioniert nur, weil die Organisation des Internets streng hierarchisch ist“, erklärt der Forscher. „Die Daten nehmen in dieser Hierarchie gerne den kürzesten Weg zum nächsthöheren Knotenpunkt und wieder zurück.“

Für den modellierten Fall wird eine Übertragungsdauer von A nach B festgelegt, die nicht überschritten werden darf. Im Fall des Taxis zum Beispiel darf kein Datenpaket von Rio bis New York mehr als 700 Millisekunden brauchen. Für die Berechnung geht der Forscher von fehlerfreien Bedingungen aus. Die Modellierung ergibt dann einen einzigen Wert: Die eine obere Schranke auf die maximale Dauer des Transports der Datenpakete. „Liegt er in diesem Fall unter 700 Millisekunden, ist die Verbindung erwiesenermaßen ausreichend schnell“, erklärt Bondorf. „Liegt der Wert höher, zum Beispiel bei 750 Millisekunden, können wir noch überlegen, an welchen Stellschrauben man drehen könnte, um die zeitliche Schranke doch noch zu untertreffen. Da kommt wieder die Priorisierung von Daten ins Spiel.“ Acht Prioritätsstufen stehen den im Internet eingesetzten Geräten zur Verfügung. Es lässt sich berechnen, welche Stufe die Datenpakete haben müssten, damit die Zeitgrenze unterschritten wird – diese Berechnung ist aber sehr aufwändig.

Sein Tool für die Modellierung stellt Steffen Bondorf Expertinnen und Experten frei zur Verfügung. „Ich gehe schon davon aus, dass Unternehmen, die Netze betreiben oder Komponenten entwickeln, die Ergebnisse dieser Forschung aufnehmen“, sagt er. Informationen aus der Industrie zu bekommen, sei allerdings schwierig. Schon was die Implementierung von Standards angeht, müsse man den Unternehmen vertrauen, da sie keine Informationen offenlegen. „Für mich steht im Mittelpunkt, was theoretisch möglich ist“, erklärt er sein akademisches Interesse. „Ich will die Systeme verstehen.“

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Veröffentlicht

Donnerstag
25. Mai 2023
09:08 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Juni 2023 in Rubin 1/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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