Recht Dieselprozesse drohen die deutschen Gerichte zu überlasten
Die Bochumer Juristin Renate Schaub begleitet die rechtliche Aufarbeitung der Diesel-Problematik seit 2018. Ein Ende ist nicht in Sicht, sagt sie. Aber eine massive neue Klagewelle.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 26. Juni 2023 drei wegweisende Urteile zu Abschalteinrichtungen in Diesel-Fahrzeugen gefällt und dabei auch die europäische Rechtsprechung berücksichtigt. Letztere hatte bei vielen Betroffenen, die zuvor leer ausgegangen waren, Hoffnung auf Schadenersatz geweckt. Der BGH hat die Ansprüche zunächst gedeckelt. Wie diese Urteile zu bewerten sind, erklärt Juristin Prof. Dr. Renate Schaub von der Ruhr-Universität Bochum. Sie hat die Diesel-Prozesse von Beginn an verfolgt und die Urteile kommentiert. Am 27. Juli 2023 ist ihre Anmerkung zu den BGH-Urteilen vom 26. Juni 2023 in der Neuen Juristischen Wochenschrift erschienen.
Ihr Fazit: „In dieser Angelegenheit ist kein Ende in Sicht. Den Gerichten droht eine neue Klagewelle, die schwer zu bewältigen sein dürfte“, so Schaub. Sie rechnet damit, dass auch die neueste Rechtsprechung des BGH angegriffen wird.
EuGH stellt weiteren Betroffenen Schadenersatz in Aussicht
Im September 2015 war erstmals bekannt geworden, dass Autohersteller die Software ihrer Fahrzeuge so manipuliert hatten, dass die Abgasreinigung zwar auf dem Prüfstand funktionierte, im normalen Betrieb jedoch nicht. Einige dieser Abschalteinrichtungen wurden in der Folge für unzulässig erklärt. Seit Jahren beschäftigen die Fälle die Gerichte, in Deutschland sind in den verschiedenen Instanzen wohl noch zehntausende Fälle anhängig.
„In Deutschland haben Betroffene bislang Schadenersatz erhalten, wenn der Einbau einer Abschalteinrichtung ihres Fahrzeugs eine sogenannte vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellte“, sagt Renate Schaub. „Mittlerweile ist das Thema aber an der Schnittstelle von nationalem und europäischen Recht sehr viel komplizierter geworden.“ Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) befand bereits im Sommer 2022 auch einige Abschalteinrichtungen für unzulässig, die in Deutschland bislang als legal galten. Im März 2023 entschied er, dass dafür auch unterhalb der Schwelle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung Schadensersatz zu gewähren sei.
Überlastung der Gerichte befürchtet
Nun steht der BGH vor einem Dilemma. Die Urteile des EuGH müssen umgesetzt werden, aber sie passen nicht richtig in das deutsche Rechtssystem – und sie könnten eine massive Klagewelle auslösen. „Die Gerichte sind jetzt schon sehr stark belastet“, weiß Renate Schaub. „Die Musterfeststellungsklage hat weniger Fälle gebündelt als erwartet, es gibt viele Einzelfälle. Nach der neuen Rechtslage mag man sich gar nicht vorstellen, was auf die Gerichte zukommen könnte.“
BGH sucht Kompromiss zwischen EU-Recht und Handhabbarkeit
In seinen Urteilen vom Juni 2023 begrenzte der BGH den Anspruch auf Schadenersatz für die Fälle, in denen keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gegeben war, auf eine Kostenerstattung von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises. „Wie der BGH auf diese Zahlen gekommen ist, ist aber unklar“, so Schaub. „Daher bleibt diese Rechtsprechung angreifbar, und ich gehe davon aus, dass Anwältinnen und Anwälte das nutzen werden.“