Ein OP-Team bei der Arbeit: Die Kittel sind undurchlässig für alles, die Lampe strahlt zusätzlich Wärme ab. Da kann man schon ins Schwitzen kommen.
© Jennifer Herzog-Niescery

Medizin Kühlung für heiße OP-Phasen

Im Operationssaal schwitzen die einen und frieren die anderen. Ein Projekt will mit spezieller Kühlkleidung Abhilfe schaffen.

In Operationssälen ist es beileibe nicht warm: Auf 19 Grad Celsius wird die Luft üblicherweise temperiert. Patienten und Teile des Personals frieren, doch Operateurinnen und Operateure sind trotzdem oft schweißgebadet. Mehr Komfort und Sicherheit für alle Beteiligten zu ermöglichen ist das Ziel eines Teilprojekts im Netzwerk InnoTecOP, an dem Privatdozentin Dr. Jennifer Herzog-Niescery beteiligt ist. Die Anästhesistin arbeitet im Klinikum der Ruhr-Universität Bochum im St. Josef Hospital und sorgt im Projekt für die Verbindung zur Praxis.

Frau Dr. Herzog-Niescery, 19 Grad Raumtemperatur – das klingt eigentlich gar nicht so, als könnte man schwitzen.
Es schwitzen auch nicht alle, die im Operationssaal arbeiten – im Gegenteil. Ich als Anästhesistin zum Beispiel sitze am Kopf des Patienten und muss nicht steril sein. Das heißt, ich trage wie alle anderen einen ärmellosen Kasack und eine lange Hose. Da sind 19 Grad schon frisch. Zudem wird im OP aus hygienischen Gründen die Luft sehr häufig ausgetauscht. Pro Stunde werden ungefähr 10.500 Kubikmeter Luft bewegt. Wenn man in diesem Luftstrom sitzt, ist der Zug durchaus spürbar. Ich ziehe mir da schon manchmal einen OP-Kittel oder eine Jacke über. Wenn die Temperatur um ein oder zwei Grad angehoben werden könnte, würde mich das freuen. Aber andere Kolleginnen und Kollegen sicher nicht.

Ein Metallteil in einen Knochen zu treiben ist anstrengender als einen Nagel in eine Wand zu schlagen.

Warum nicht? Wo ist das Problem?
Die Kolleginnen und Kollegen, die operieren, sind in einer ganz anderen Situation als ich. Sie müssen zum einen steril sein, das heißt, sie tragen über Kasack und Hose einen Kittel, der undurchlässig für alles ist. Sie stehen ganz nah am Patienten, der selbst und durch Wärmematten, auf denen er liegt, Wärme abstrahlt. Hinzu kommen die Lampen, die auch wärmen.

Jennifer Herzog-Niescery friert mitunter im OP, weiß aber, dass viele Kolleg*innen häufig in Schweiß gebadet sind.
© RUB, Marquard

Dann müssen die Operateurinnen und Operateure während des Eingriffs die ganze Zeit stehen. Das ist allein schon anstrengend. Manche Operationen erfordern außerdem einen kraftraubenden körperlichen Einsatz. Ein Metallteil in einen Knochen zu treiben ist anstrengender als einen Nagel in eine Wand zu schlagen. Bei einigen Eingriffen, die unter Röntgenkontrolle stattfinden, müssen die Kolleginnen und Kollegen dazu auch noch Bleischürzen tragen, die sehr schwer sind. Deswegen geraten sie doch ziemlich ins Schwitzen. Darunter leidet auch ihre Konzentration. Und sollte ein Schweißtropfen ins Wundgebiet fallen, wäre das natürlich auch für Patienten ein Risiko.

Wie wollen Sie da Abhilfe schaffen?
Erstmal wollen wir die Operateure noch wärmer anziehen: nämlich mit einer Art Skiunterwäsche, die unter Kasack und Hose getragen wird. Aber diese Wäsche besteht aus einem ganz besonderen Gewirk, das unsere Projektpartner am Sächsischen Textilforschungsinstitut entwickeln. Es ist mehrlagig und so beschaffen, dass es nicht in sich zusammenfällt, auch wenn man Druck darauf ausübt, etwa durch eine Bleischürze, die auf den Schultern lastet. So bleibt immer eine Luftzirkulation möglich.

Diese Zirkulation soll durch eine Schlauchverbindung entstehen, die einen Unterdruck erzeugt. Wie genau das System aussehen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen, weil wir noch ganz am Anfang stehen. Jedenfalls ist es wichtig, dass der Luftstrom individuell steuerbar sein wird.

Warum ist das so bedeutend?
In einer Operation gibt es verschiedene Phasen. Denken wir uns mal einen Eingriff am Bauch. Da gibt es zuerst die Phase, in der man den Bauch öffnet, das ist noch recht entspannt. Wenn dann aber ein Tumor herauspräpariert werden muss, kann es durchaus hektisch und anstrengend werden, dann möchte man vielleicht mehr Kühlung. Später entspannt sich die ganze Sache dann wieder, und man möchte vielleicht wieder weniger Kühlung.

Wie kann man so ein System regeln?
Das wissen wir noch nicht genau – entweder jemand tut das im Auftrag des Trägers der Kleidung, der ja steril bleiben muss, oder derjenige regelt das selbst über ein steriles Tablet, oder man kann zwischen beiden Optionen wählen. Wir stellen uns vor, dass es voreingestellte Settings gibt, sie man individualisieren kann. Das System speichert dann, welche Person welche Vorlieben hat.

In diesem Fall haben alle Kolleginnen und Kollegen sofort gesagt: Macht das auf jeden Fall. Das Problem ist riesengroß.

Was ist Ihr Part in dem Projekt?
Wir sind die Kliniker und damit die Verbindung zur Praxis. Wir haben mit den zu entwickelnden Patenten nichts zu tun, das heißt wir haben kein ökonomisches Interesse. Das erlaubt es uns, auch offen zu sagen, wenn eine Entwicklung nicht funktioniert.

Meine Aufgabe ist es, erst einmal den Bedarf zu ermitteln: Gibt es einen? Wie sieht das OP-Personal das? In diesem Fall haben alle Kolleginnen und Kollegen sofort gesagt: Macht das auf jeden Fall. Das Problem ist riesengroß.

Dann ist interessant, für welche Art von OPs und Fachabteilungen es relevant ist. Bei Fünf-Minuten-Eingriffen braucht man so ein Kühlsystem natürlich nicht. Aber bei acht- oder zehnstündigen Operationen oder solchen mit Bleischürzen oder körperlich anstrengenden Prozeduren durchaus.

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Dann müssen wir die Praktikabilität testen. Es bringt ja nichts, wenn das System toll funktioniert, aber wir zum Beispiel nicht ausreichend viele Andockstellen für die Vakuumabsaugung haben. Die Kühlkleidung darf natürlich auch den Operateur nicht behindern. Es geht viel um Compliance: Wenn das System zum Beispiel ein Geräusch erzeugt, das die Trägerin oder den Träger nervt, oder wenn es irgendwo zieht, sodass sie es nicht akzeptieren, bringt es nichts. Ich habe da aus vergangenen Projekten leider schon Erfahrung sammeln müssen, zum Beispiel haben wir einmal einen Gürtel mitentwickelt, der chirurgischen Rauch absaugt, der bei manchen Operationen entsteht. Der hat im Labor wirklich überzeugt, in der Praxis aber die Bewegungsfreiheit so eingeschränkt, dass er nicht akzeptiert worden ist. Da ich schon länger wissenschaftlich arbeite, sind die Kolleginnen und Kollegen es aber auch gewöhnt, dass ich sie zu solchen Dingen befrage oder mit Puppen in den OP gehe, um Dinge auszuprobieren.

Ziel ist es, am Ende der Laufzeit einen fertigen Prototypen entwickelt zu haben.

Wie geht es im Projekt in den kommenden zwei Jahren weiter?
Wir werden verschiedene Varianten testen, auch verschiedene Kleidungsstücke wie Hosen und Oberteile mit langem oder kurzem Arm. Ziel ist es, am Ende der Laufzeit einen fertigen Prototypen entwickelt zu haben.

Wird es durch die Kühlkleidung dann auch für die frierenden Kolleginnen und Kollegen angenehmer im OP?
Wir hoffen, dass wir die Raumtemperatur dadurch ein wenig anheben können. Dadurch wird es auch für uns und für die Patientinnen und Patienten angenehmer. Viel wärmer kann es im OP aber nicht sein, weil Wärme auch das Wachstum von Mikroorganismen begünstigt.

Das Projekt InnoTecOP

Das Forschungsvorhaben „OP-Kühlkleidung“ hat im September 2023 begonnen und läuft über zwei Jahre. Es ist ein Teilprojekt im Rahmen der Netzwerkes InnoTecOP des „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM), das über das Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. In dem Netzwerk kooperieren insgesamt 16 Unternehmen und vier Forschungseinrichtungen. Die Koordination liegt bei Prof. Dr. Hans-Martin Seipp und Prof. Dr. Thomas Steffens von der Technischen Hochschule Mittelhessen. Jennifer Herzog-Niescery ist seit September 2021 mit drei Forschungsprojekten und einem Anteil von 460.000 Euro beteiligt.

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Veröffentlicht

Freitag
20. Oktober 2023
09:05 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Dezember 2023 in Rubin 2/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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