Mit einem speziellen Infrarot-Detektor messen die Forschenden Temperaturveränderungen von Feststoffen. Der Detektor muss mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden. © Damian Gorczany

Physik Coole Festkörper

Nach mehr als einem Jahrhundert wollen Physiker die bewährte Technik des Kühlschranks vom Thron stoßen. Denn Kühlen geht auch sparsamer.

Der Sommer 2023 war weltweit der heißteste seit Beginn der Aufzeichnungen. An vielen Orten wüteten verheerende Waldbrände, und Menschen ächzten unter Rekordtemperaturen. In einer Welt, die immer wärmer wird, steigt auch der Bedarf nach Kühlung. Kühlung, die Energie verschlingt. Viel Energie. „Kälte zu erzeugen ist grundsätzlich schwieriger, als Wärme zu erzeugen“, weiß Prof. Dr. Daniel Hägele, Physiker an der Ruhr-Universität Bochum. Die Kompressortechnik, mit der heutige Kühlschränke arbeiten, wurde vor mehr als einem Jahrhundert erfunden. „Natürlich wurde die Technik im Lauf der Jahre immer weiter optimiert“, ergänzt der Forscher. „Aber zuletzt bestanden die Verbesserungen bei den Energieeffizienzklassen eher in Anpassungen wie dichteren Türen.“

So funktioniert ein Kühlschrank

Kühlschränke funktionieren mithilfe eines Kühlmittels, das durch das System gepumpt und dessen Druck dabei reguliert wird. Im Inneren des Kühlschranks nimmt das Kühlmittel Wärme auf und wird dabei gasförmig. Dann strömt es in einen Kompressor, der das Gas verdichtet, wodurch sich seine Temperatur weiter erhöht. Über geschlängelte Rohre an der Rückseite des Geräts gibt das Kühlmittel seine Wärme nach außen ab. Dabei verringert sich seine Temperatur, und es wird flüssig. Bevor das Kühlmittel zurück in das Innere des Kühlschranks strömt, wird sein Druck wieder reduziert, wodurch seine Temperatur weiter sinkt. Nun kann das Kühlmittel erneut Wärme im Inneren des Geräts aufnehmen. In der Gesamtbetrachtung erzeugen Kühlschränke also genauso viel Kälte wie Wärme, die aber räumlich voneinander getrennt werden, sodass es innen kälter wird als außen.

Dabei sind auch komplett andere Techniken zur Erzeugung von Kälte denkbar, als sie derzeit im Einsatz sind. Das Team um Daniel Hägele von der Arbeitsgruppe Spektroskopie der kondensierten Materie arbeitet mit dem sogenannten kalorischen Effekt: Manche festen Materialien reagieren mit einer Temperaturveränderung, wenn sie gedehnt werden oder in ein elektrisches Feld oder Magnetfeld eingebracht werden. Wer das selbst ausprobieren möchte, findet eine Anleitung für ein Mini-Experiment in der folgenden Infobox.

Ein Experiment für Zuhause

Der kalorische Effekt lässt sich leicht selbst erfahren. Alles, was es dafür braucht, ist ein Luftballon, der für das Experiment nicht aufgepustet sein sollte.

Den Ballon ruckartig mit zwei Händen auseinanderziehen. © RUB, Marquard

Das gedehnte Gummi an die Lippen halten. Das Material hat sich erwärmt. © RUB, Marquard

Den Ballon ruckartig mit zwei Händen auseinanderziehen. © RUB, Marquard
Den Ballon anschließend von den Lippen entfernen und – weiterhin gedehnt – ein paar Sekunden in die Luft halten, sodass das Gummi auf Umgebungstemperatur abkühlen kann.

Dann den Ballon zusammenschnacken lassen. © RUB, Marquard

Jetzt schnell wieder an die Lippen halten. Der entspannte Ballon ist nun kälter als die Umgebungsluft. © RUB, Marquard

Feststoffe im elektrischen Feld erzeugen Kälte

Hägeles Team befasst sich schon viele Jahre mit dem kalorischen Effekt. Zunächst nutzten die Forscher Magnetfelder, um Kälte mit Feststoffen zu erzeugen. Allerdings braucht es dafür Feldstärken wie in einem Kernspintomografen – für einen Kühlschrank oder eine Klimaanlage wäre das nicht praktikabel. Daher arbeiten Hägele und seine Kollegen Jörg Rudolph und Jan Fischer nun mit elektrischen Feldern. „Im Grunde kann man Strom aus der Steckdose nutzen“, sagt Fischer. „Zu Versuchszwecken verstärken wir die Spannung aber auf einige Tausend Volt.“

Daniel Hägele, Jan Fischer und Jörg Rudolph (von links) forschen zum elektrokalorischen Effekt. © Damian Gorczany

Wir können Veränderungen von einem Tausendstel Grad in einer Tausendstel Sekunde detektieren – so schnell kann das sonst niemand.


Jan Fischer

Denn das Bochumer Team ist an speziellen Effekten interessiert. Die Forscher bestimmen für verschiedene Materialien, wie diese auf das äußere elektrische Feld reagieren, beispielsweise wie stark sich die Temperatur verändert. Vor allem aber interessieren sie sich für zeitaufgelöste Effekte, also wie schnell die Temperatur sinkt oder steigt, wenn sich das äußere elektrische Feld verändert. „Wir können Veränderungen von einem Tausendstel Grad in einer Tausendstel Sekunde detektieren – so schnell kann das sonst niemand“, beschreibt Fischer die Besonderheit des Bochumer Ansatzes.

Schnell sein lohnt sich

Dass die Gruppe sich für diese winzigen Veränderungen interessiert, mag auf den ersten Blick paradox erscheinen. „Eigentlich suchen wir Materialien mit möglichst großen Temperatureffekten“, gibt Hägele zu. „Aber manchmal muss man klein anfangen.“ Die kleinen Veränderungen auf der Zeitskala verraten den Forschern viel über die grundlegenden Prozesse, die zu den Temperaturveränderungen in den Feststoffen führen. Hinzu kommt, dass Materialien, die schnell ihre Temperatur ändern können, für die Anwendung besonders interessant wären. „In einem kalorischen Kühlprozess wird die Wärme päckchenweise abtransportiert“, erklärt Jörg Rudolph. „Für die Effizienz ist es von Vorteil, wenn man die Wärmepäckchen schnell hintereinander wegschaffen kann.“

Nicht zuletzt ermöglichen die schnellen Messungen auch einen unverfälschten Blick auf die Materialeigenschaften. Denn die sich erwärmenden und abkühlenden Proben tauschen im Lauf der Zeit Wärme mit ihrer Umgebung aus, zum Beispiel mit der Unterlage, auf der sie montiert sind. Erfolgt die Messung sehr schnell, ist keine Zeit für diesen Wärmetransfer und die Forscher können den reinen kalorischen Effekt messen.

Kleine Temperaturunterschiede genau zu messen, ist erstaunlich kompliziert.


Jörg Rudolph

Was aber macht die Bochumer Technik so schnell? „Temperatur messen – das klingt vielleicht im ersten Moment einfach“, sagt Jörg Rudolph. „Kleine Temperaturunterschiede genau zu messen, ist jedoch erstaunlich kompliziert. Man kann nicht einfach ein Thermometer an die Probe halten.“ Zum einen ist die Probe dafür viel zu klein, nämlich weniger als einen Millimeter dick. Zum anderen würde ein Wärmeaustausch zwischen Probe und Thermometer stattfinden und die Messungen verfälschen.

Infrarotdetektor als Thermometer

Daher hat sich Daniel Hägele schon vor Jahren einen Versuchsaufbau speziell für diese Art von Messungen ausgedacht, den sein Team nun weiter optimiert hat. Die von der Probe ausgestrahlte Wärmeenergie wird dabei berührungslos mit einem Infrarot-Detektor gemessen. Der Versuchsaufbau steht in einem klimatisierten Raum auf einem schwingungsstabilisierten Tisch, dessen Installation einige Komplikationen mit sich brachte. „Der Tisch wiegt eine Tonne, wir konnten ihn nicht einfach in den Aufzug stellen. Um ihn ins Labor zu bekommen, mussten wir zwei Fenster ausbauen und ihn mit einem Kran hineinbefördern lassen“, erinnert sich Daniel Hägele. „Er darf auch nur an einer bestimmten Stelle im Raum stehen, damit er nicht durch den Boden brechen kann“, ergänzt Jörg Rudolph.

Weitere Materialeigenschaft parallel messen

Mittlerweile steht der Aufbau seit Jahren sicher im Labor, sodass Hägele, Rudolph und Fischer schon viele Materialien vermessen konnten. Neben den schnellen Temperaturveränderungen können sie eine zweite Materialeigenschaft der Feststoffe, die Polarisation, erfassen, und zwar parallel zur Temperatur – eine weitere Besonderheit des Bochumer Versuchsaufbaus. Nützlich ist das, weil hoch polarisierbare Materialien Vorteile bei der Kälteerzeugung mit sich bringen.

Neben etablierten Materialien wie der seltenen Erde Gadolinium und verschiedenen Metalllegierungen untersuchen die Bochumer auch andere Materialklassen wie Keramiken und Kunststoffpolymere. Sie haben ebenfalls vielversprechende Kandidaten hervorgebracht. Ein Fokus liegt dabei auf umweltfreundlichen und ungiftigen Materialien. Aus einigen davon haben andere Gruppen bereits Demonstratoren gebaut. „Dass unsere Grundlagenforschung einen so konkreten Anwendungsbezug hat, ist toll“, findet Jörg Rudolph. „Das gibt zusätzliche Motivation bei der Arbeit.“

Die Kühlung basierend auf dem kalorischen Effekt ist dabei ein mehrstufiger Prozess. Denn in der Regel schafft ein Material auf einen Schlag nur eine Abkühlung von drei bis vier, maximal sechs Grad Celsius. Ein Kühlsystem könnte aber aus mehreren Kammern bestehen, an deren Übergängen jeweils eine Abkühlung um einige Grad erfolgt, sodass insgesamt eine ausreichend große Kühlung erzielt würde.

Viele Anwendungen denkbar

Anders als bei herkömmlichen Kühlschränken würde die Kälte dann nicht mehr mithilfe eines Gases oder einer Flüssigkeit erzeugt, sondern mit einem festen Material. „Einen Festkörper zu verwenden ist von Vorteil, weil darin mehr Atome pro Kubikzentimeter vorliegen“, erklärt Hägele. „Damit ließen sich kompaktere Kühlgeräte bauen.“ Und potenziell auch effizientere. Nützlich könnte das nicht nur für Kühlschränke und Klimaanlagen sein, sondern beispielsweise auch für die Wasserstoffverflüssigung. Anwendungen gäbe es in einer immer wärmer werdenden Welt jedenfalls genug.

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Veröffentlicht

Mittwoch
08. November 2023
09:21 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Dezember 2023 in Rubin 2/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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