Einsamkeit ist ein Gefühl, das alle kennen. Erst, wenn es dauerhaft bleibt, wird es zum Problem. © Pixabay

Psychologie An der Basis der Einsamkeit

Dauerhafte Einsamkeit verändert Menschen. Wie genau und welche Auswege es gibt, untersucht Dirk Scheele.

Chronische Einsamkeit erhöht das Sterberisiko stärker als Rauchen oder Übergewicht. Aber Einsamkeit ist keine Krankheit. Was ist sie dann? Und warum gelingt es Menschen, die unter Einsamkeit leiden, nicht, daraus auszubrechen? Prof. Dr. Dirk Scheele beschäftigt sich mit diesen Fragen schon seit Jahren. Der Psychologe will vordringen an die Basis des Phänomens Einsamkeit, um es besser zu verstehen und Betroffenen helfen zu können.

„Unsere Hypothese ist, dass einsame Menschen gegenüber anderen eine verzerrte, negative Erwartungshaltung haben, die dazu führt, dass es ihnen schwerer fällt zu vertrauen“, erklärt er. Dazu hat er verschiedene experimentelle Studien durchgeführt, an denen jeweils Menschen teilgenommen haben, die sich selbst als dauerhaft einsam empfanden, und solche, die das nicht von sich sagten. Zusätzlich zur Befragung der Teilnehmenden ermittelten Scheele und sein Team jeweils auch physiologische Messwerte, die Aufschluss über die körperlichen Vorgänge geben.

Warum Einsame weniger von netten Gesprächen profitieren

In einem Experiment im Rahmen der Doktorarbeit von Jana Lieberz durchlebten beide Gruppen eine positive soziale Situation: In einem Gespräch mit einem Studienleiter oder einer Studienleiterin ging es um Hobbies, Pläne – was würden sie tun, wenn sie eine Lotterie gewännen –, und Gemeinsamkeiten. Bei nicht einsamen Teilnehmenden hob sich dadurch die Stimmung, und die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin stieg messbar an. Einsame hingegen profitierten deutlich weniger von dem netten Gespräch, erlebten es weniger positiv und reagierten auch physiologisch nur eingeschränkt.

Einsamkeit

Einsamkeit ist das subjektive Gefühl des Fehlens sozialer Beziehungen in quantitativer oder qualitativer Hinsicht. Sie ist nicht dasselbe wie soziale Isolation, die das objektive Fehlen von Beziehungen ausdrückt. Anders gesagt: Auch Menschen mit viel Familie können sich einsam fühlen. Sozial isolierte Menschen müssen aber keine Einsamkeit erleben.

Einsame Momente oder Phasen zu erleben, ist völlig normal. Erst, wenn das Einsamkeitsgefühl über Monate oder Jahre anhält, kommt es zu negativen Folgen wie kognitiven Beeinträchtigungen oder Gehirnveränderungen wie einem reduzierten Hippocampusvolumen. Wann genau Einsamkeit chronisch wird, ist bisher nicht gut erforscht.

Verschiedene psychische Erkrankungen gehen häufig mit Einsamkeit einher, beispielsweise Depressionen oder soziale Ängste. Dennoch sind sie nicht deckungsgleich und unterscheiden sich auf neurobiologischer Ebene voneinander.

Weitere Befunde erhärteten den Verdacht, dass die fehlende Fähigkeit zu vertrauen eine Grundlage für dauerhafte Einsamkeit sein könnte. „Ein bewährtes experimentelles Paradigma zum Thema Vertrauensentscheidungen in der Psychologie besteht darin, dass Probanden gebeten werden in fremde Personen Geld zu investieren, in der Hoffnung, dass die fremde Person sich später revanchiert, sodass am Ende alle profitieren“, erklärt Dirk Scheele. Während dieser simulierten Situation beobachteten er und sein Team einsame und nicht einsame Menschen mittels funktioneller Kernspintomografie. Dieses bildgebende Verfahren zeigt, welche Gehirnbereiche während einer Handlung besonders aktiv sind.

Ein reduziertes Bauchgefühl

Es kam dabei nicht nur heraus, dass Einsame weniger investieren. „Wir konnten auch eine reduzierte Aktivität im insulären Kortex und eine verringerte Konnektivität in diesem Gehirnbereich beobachten“, beschreibt Dirk Scheele. Der insuläre Kortex ist eine Gehirnregion, die unter anderem körpereigene Signale verarbeitet. „Er ist besonders aktiv, wenn wir zum Beispiel auf unseren Herzschlag achten oder auf unseren Magen“, erklärt Scheele. „Die verringerte Aktivität dieses Bereichs deutet darauf hin, dass Einsame vielleicht ein verändertes Bauchgefühl haben, und dass sie deswegen die Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen weniger gut aus dem Bauch heraus einschätzen können als andere.“ Das würde erklären, warum sie zwar unter ihrer Einsamkeit leiden, aber nicht in der Lage sind, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, indem sie Kontakte zu anderen suchen.

Zum Professor für Social Neuroscience ist Dirk Scheele an der RUB ernannt worden. © RUB, Marquard
Dirk Scheele hat sich schon lange vor der Corona-Pandemie mit Einsamkeit befasst. „Was das Bewusstsein für Einsamkeit anbelangt, hatte die Pandemie doch etwas Gutes, denn sie hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf gelenkt“, sagt er.

Ihnen dabei zu helfen, stand im Mittelpunkt einer weiteren Studie, die Scheele zusammen mit Jana Lieberz und Kooperationspartnern von den Universitäten Bonn, Oldenburg, Freiburg und Haifa durchgeführt hat. „Die negative Verzerrung der Erwartung ist ein typisches Symptom verschiedener psychischer Erkrankungen, etwa von Depressionen“, sagt Dirk Scheele. Es gibt daher etablierte Therapien, die dagegen helfen. In der Studie verabreichten die Forschenden den Teilnehmenden zusätzlich das Bindungshormon Oxytocin oder als Kontrolle ein Placebo in Form eines Nasensprays. Ergebnis: Die Einsamkeit ließ nach fünf Gruppentherapiesitzungen bei allen nach, ohne dass aber das Oxytocin einen zusätzlichen Effekt auf die generelle Einsamkeit hatte. „Die Teilnehmenden, die Oxytocin bekommen hatten, berichteten jedoch, dass das akute Gefühl der Einsamkeit nach den Sitzungen stärker nachgelassen hatte als es bei Personen, die ein Placebo bekommen hatten, der Fall gewesen ist. Zusätzlich gaben sie eine stärkere Bindung in der Gruppe an. Die Einsamkeit auf lange Sicht hat sich dadurch aber nicht verbessert“, berichtet Dirk Scheele. „Oxytocin ist kein Allheilmittel.“

Immerhin: Die Intervention war erfolgreich. Und das kann Einsame ermutigen. „Es muss aber nicht immer eine Therapie sein, um aus dem Teufelskreis der Einsamkeit herauszufinden“, ist Dirk Scheele überzeugt. Wer sich seine negativen Erwartungen gegenüber anderen Menschen bewusst mache, könne versuchen, trotzdem Kontakt zu suchen und Vertrauen zu investieren. Der Forscher rät auch dazu, Kontakte gezielt zu suchen, sei es im Sportverein, in Spaziergruppen oder Selbsthilfegruppen.

Aktuelle Studien

Eine aktuelle Studie mit gesunden Teilnehmenden soll Aufschluss darüber geben, wie sich die sogenannte Synchronizität bei einsamen und nicht einsamen Menschen unterscheidet. Damit ist gemeint, dass Menschen in einer positiven Interaktion übereinstimmende körpersprachliche Signale geben und sich bestimmte physiologische Parameter einander angleichen. Dabei stehen sowohl Studienleiter*innen als auch Teilnehmende im Fokus. „Es gibt Hinweise, dass Einsamkeit die Synchronisation mit anderen Menschen verändert“, so Dirk Scheele.

Eine aktuelle Studie aus seinem Team zum Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung und Einsamkeit wird derzeit ausgewertet. Ebenfalls in Arbeit ist eine Studie über die Wirkung von Berührung auf einsame Menschen. Die Forschenden vermuten, dass Einsame von sozialer Berührung nicht in demselben Maße profitieren wie nicht einsame Menschen.

Originalveröffentlichung

Ruben Berger et al.: Oxytocin-Augmented Modular-Based Group Intervention for Loneliness: A Proof-of-Concept Randomized Controlled Trial, in: Psychotherapy and Psychosomatics, 2024, DOI: 10.1159/000538752

Veröffentlicht

Mittwoch
19. Juni 2024
08:38 Uhr

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