Silvia Schneider (links) und Anke de Haan aus dem Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit setzen sich seit Jahren für Open Science ein. 

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Interview

„Gemeinsam können wir Dinge besser verstehen“

Der November steht im Zeichen von Open Science. Jede Menge Formate informieren, erklären, geben Tipps.

Forschungsmethoden und -ergebnisse sollen offen für alle zugänglich und nutzbar werden, so die Vision von Open Science. Warum das gut ist und wie es klappen kann, berichten Prof. Dr. Silvia Schneider, Direktorin des Forschungs- und Behandlungszentrums für psychische Gesundheit (FBZ), und Dr. Anke de Haan, Open Science-Beauftragte des FBZ.

Was bedeutet Open Science für Sie und warum setzen Sie sich dafür ein?
Schneider: Meine Motivation hat ihren Anfang in der sogenannten Replikationskrise der Psychologie, bei der deutlich wurde, dass viele Studienergebnisse nicht replizierbar waren. Ich fand es schon lange unbefriedigend, dass – anders als ich es noch in meinem Studium gelernt hatte – irgendwann Methodik und Materialien von Studien – aus Platzmangel – nicht mehr umfassend in den Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Und besonders bemerkenswert fand ich, dass je hochkarätiger die Fachzeitschrift war, umso weniger Platz war für die detaillierte Beschreibung der Methodik. Das hat bei mir ein großes Unbehagen hervorgerufen. 

Nur wer es sich leisten konnte, kam an Publikationen ran.

— Silvia Schneider

Darüber hinaus störte mich, dass durch die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und Materialien über Verlage eine Barriere aufgebaut wurde, an Forschungsergebnisse heranzukommen, denn nur wer es sich leisten konnte, kam an Publikationen ran. In die Erarbeitung dieser Ergebnisse sind aber Steuergelder geflossen, und daher sollten sie auch offen zur Verfügung stehen. 

Parallel berichtete mir mein Sohn aus seiner Arbeit mit elektronischer Musik, dass da einfach alles offen geteilt wird, sodass alle an Dingen weiterarbeiten können. Das fand ich toll. 

Was haben Sie dann unternommen?
Schneider: 2017 haben wir als erstes unsere strukturierten Interviews nach einer jahrelangen Diskussion mit dem Verlag open access veröffentlicht in der Überzeugung, dass Wissenschaft kumulativ sein muss. Auf der Open Access Seite des FBZ listen wir seitdem alle frei verfügbaren Materialien. 

Welche Herausforderungen haben Sie bei der Umsetzung von Open Science erlebt? Wie sind Sie damit umgegangen?
Anke de Haan: Man muss Lizenzen verstehen lernen. Die cc by-Lizenz bedeutet zum Beispiel, dass der Name des Urhebers oder der Urheberin genannt werden muss, ansonsten aber alles erlaubt ist. Man muss sich fragen: Was will ich erlauben? Es gibt verschiedene Modelle. Dazu gibt es aber auch gute Beratung an der RUB, zum Beispiel durch die Universitätsbibliothek. 

Man übernimmt schon ein Mehr an Verantwortung. 

— Anke de Haan

Gibt es auch Vorbehalte gegen Open Science? 
de Haan: In der klinischen Forschung gibt es gewisse Vorbehalte gegen die Veröffentlichung von Daten zu sensiblen Themen oder Patientendaten wegen Bedenken gegenüber der Datensicherheit. Das kann man aber lösen, wenn man gut aufgestellt ist, zum Beispiel, indem man die Einwilligungserklärung anpasst und die Proband*innen transparent aufklärt, dass die Daten im Sinne von Open Science weiterverwendet werden. Zudem muss ich ausführlich prüfen, dass die Daten richtig anonymisiert sind und auch keine Kombinationen von Daten Rückschlüsse auf die Proband*innen zulassen. Damit haben wir bislang keine negativen Erfahrungen gemacht. Transparenz ist also wichtig, ebenso wie guter Datenschutz. Man übernimmt schon ein Mehr an Verantwortung. 

Wie sieht es in anderen Fächern mit Open Science aus? 
Schneider: Die Psychologie ist schon weit vorn, gemeinsam mit anderen naturwissenschaftlichen Fächern oder den Wirtschaftswissenschaften.

Trägt Open Science zur Glaubwürdigkeit von Wissenschaft bei? 
Schneider: Ich habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit diese Aktivitäten noch nicht so wahrnimmt. 

de Haan: Open Science trägt zu transparenter und robuster Forschung bei. Das stärkt in jedem Fall die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft. Ich denke aber, wir müssen noch besser werden, die Materialien, Publikationen und Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. 

Gut ist es, Open Science von Anfang an mitzudenken.

— Anke de Haan

Welchen Rat würden Sie anderen Forschenden geben, die sich für Open Science interessieren, aber noch unsicher sind, wie sie damit beginnen sollen?
de Haan: Es gibt viele Beratungsangebote, fächerübergreifend durch die AG Open Science der RUB, aber auch fachbezogen, zum Beispiel die Open-Science-Initiative der Fakultät für Psychologie. Die Fakultät hat Vorgaben entwickelt, und Open Science ist Bestandteil der Lehre.

Wir am FBZ haben Vorlagen, Dokumente, Checklisten für die Mitarbeitenden und Studierenden erstellt, zudem biete ich eine offene Sprechstunde an. 

Gut ist es, Open Science von Anfang an mitzudenken und den ganzen Prozess in kleine Schritte für sich herunterzubrechen. 

Wie weit verbreitet ist Open Science? Macht die Mehrheit der Forschenden schon mit? 
Schneider: Da ist schon noch Luft nach oben. Es ist das eine, ob man Open Science in seine Antragslyrik aufnimmt, oder ob man es wirklich lebt. Wir haben uns als FBZ durch unsere Mitgliedschaft im German Network of Reproducibility zu Open Science verpflichtet. Das bedeutet durchaus zusätzliche Arbeit. Es gibt Abfragen im Team, es wird dokumentiert. Wir haben einen Preis für Open Science ausgelobt. 

de Haan: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Immer mehr Journals stellen auf Open Access Publikationen um, das kostet zwar Geld für die Forschenden, ist aber die richtige Richtung. Zudem haben immer mehr Journals Vorgaben, die besagen, dass der Datensatz mitgeschickt beziehungsweise veröffentlich werden muss, sie setzen eine Präregistrierung voraus und anderes. Aber noch kann man sich durchmauscheln. Die intrinsische Motivation muss noch wachsen. 

Schneider: Open Science bringt mehr Gemeinsamkeit und damit auch bessere Forschung. Über Karrierestufen und geografische Herkunft hinweg – sehr relevant für die globale Fairness. Und gemeinsam können wir Dinge einfach besser verstehen als jeder für sich.

Veröffentlicht

Donnerstag
16. Oktober 2025
10:32 Uhr

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