In seinem offenen Brief findet Prof. Dr. Axel Schölmerich klare Worte zur aktuellen Lage in den USA und gegen Rassismus. © RUB, Marquard

Hochschulleitung „Rassismus zu verstehen, ist ein gesellschaftlicher Auftrag“

Offener Brief von RUB-Rektor Axel Schölmerich zum Thema Rassismus.

Liebe Studierende, liebe Beschäftigte, liebe Freunde der Ruhr-Universität Bochum,

der Tod von George Floyd durch Polizeigewalt hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Die USA erleben derzeit eine Welle von Protesten wie seit den 60er-Jahren nicht mehr. Aber nicht nur dort. Überall in der Welt beteiligen sich immer mehr Menschen an Protestaktionen. Auch an der Ruhr-Universität haben viele Menschen in diesen Tagen Flagge gegen Rassismus gezeigt.

Ich wende mich heute vor allem an diejenigen Menschen an unserer Universität, die unter rassistisch motivierten Diskriminierungen leiden müssen. Hier in Deutschland und auch hier auf unserem Campus. Und ich möchte darüber berichten, was an der Ruhr-Universität dagegen getan wird.

Was macht die Wissenschaft, was macht die Ruhr-Universität gegen Rassismus?

Es ist zu hoffen, dass die mediale Aufmerksamkeit zu Rassismus-Themen nicht nur ein Trend ist, der in den nächsten Wochen wieder abebbt. Denn der Kampf gegen Rassismus darf erst aufhören, wenn Rassismus aufhört. Der Beitrag der Wissenschaft besteht genau darin: Wissenschaft liefert die Erkenntnisse, die die Debatten zu Rassismus und seinen vielen verschiedenen Formen langfristig fördern und der Politik verlässliche Fakten und Empfehlungen für ihre Entscheidungen liefern. Auch an der Ruhr-Universität gibt es viele wertvolle Beiträge, die Wirkung erzeugen, den Finger in die Wunde legen und etwas verändern. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen, die gerade in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit erfahren haben.  

Studie zu Polizeigewalt

Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte beschäftigt die öffentliche Debatte schon seit langem intensiv. Der Lehrstuhl für Kriminologie an der Juristischen Fakultät der RUB untersucht aktuell in einem Forschungsprojekt rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendung in Deutschland, insbesondere aus der Perspektive der Opfer. Die Bochumer Kriminologen Prof. Dr. Tobias Singelnstein und Prof. Dr. Thomas Feltes sind gefragte Experten zu diesem Thema. Auch in der aktuellen Debatte um Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt werden ihre Erkenntnisse und Einschätzungen häufig zitiert: „Die Polizei ist eine sehr heterogene Institution, in der viele Menschen mit hehren Motiven arbeiten, aber eben auch solche, die rassistische Einstellungen mitbringen oder während ihrer Laufbahn entwickeln“, sagte Tobias Singelnstein in der NRZ vom 3. Juni.

Die Bochumer Forschung über Polizeigewalt und über rassistisches Verhalten in der Polizei hat seit jeher viel Echo in der Öffentlichkeit gefunden. Viel schwieriger haben es da Rassismus-Themen, die den Alltags-Rassismus beleuchten, wo wir ihn viel weniger erwarten:            

Rassismus in Bildungseinrichtungen

„Also, es finden ganz viele rassistische Dinge statt im Lehrer- und Lehrerinnenzimmer, im Klassenraum, in den Schulbüchern, aber niemand will darüber reden. Beziehungsweise diejenigen, die die Macht haben im Lehrer- und Lehrerinnenzimmer, im Klassenzimmer, die wollen nicht darüber reden, weil sie glauben, sie hätten nichts mit Rassismus zu tun“, sagte Prof. Dr. Karim Fereidooni von der RUB am 4. Juni im Deutschlandfunk. Er ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Rassismus in Bildungseinrichtungen. Er gehört zu den wenigen Wissenschaftlern in Deutschland, die sich dafür einsetzen, Rassismuskritik in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung stärker zu verankern.

Ich glaube, dass Karim Fereidooni einen besonders empfindlichen Nerv trifft. Zum einen, weil Lehrerinnen und Lehrer natürlich einen großen Einfluss auf die Selbst-Wahrnehmung von Rassismus in den heranwachsenden Generationen haben. Aber auch weil diejenigen Menschen, die in Bildungseinrichtungen typischerweise arbeiten – und damit meine ich auch uns – allzu leicht glauben wollen, frei zu sein von rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen oder sei es auch „nur“ eines unbewusst diskriminierenden Sprachgebrauchs. Die Fähigkeit zur Selbstreflektion zu fördern und zu fordern ist fundamental. Ich hoffe, dass Karim Fereidooni noch viel mehr Mitstreiter findet und dass seine Arbeit Schule macht.                      

Rassismus in den USA und in Deutschland 

Die Unterdrückung von Afroamerikanern in den USA hat eine lange Geschichte. Diese zu erforschen ist ein Schwerpunktthema von Prof. Dr. Rebecca Brückmann, Historikerin an der RUB. In einem Interview in der Hannoverschen Allgemeinen vom 7. Juni äußert sie sich aber auch über den Rassismus in Deutschland, dem sie auch persönlich immer wieder ausgesetzt ist.
        
„Wenn wir uns anschauen, was etwa Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt angeht, dann ergeht es People of Colour in Deutschland ähnlich wie in den USA. Tödliche Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze gibt es hier auch. Daher finde ich erstaunlich, wie hier jetzt teilweise über die USA gesprochen wird: Die sind ganz furchtbar rassistisch, aber Deutschland macht es gut, hat aus dem Holocaust gelernt und kann jetzt Tipps geben. Das ist durchaus problematisch.“

Zu ihren persönlichen Erfahrungen berichtet sie: „Wenn ich nach Deutschland einreise, wird bei mir immer länger am Pass herumhantiert als bei allen anderen, und ich muss erstmal zeigen, dass ich wirklich Deutsch kann. Ich werde auch grundsätzlich von der Polizei auf Englisch angesprochen, weil man nicht die Vorstellung hat, dass jemand, der so aussieht, Deutsche sein kann. Und natürlich gibt es ein „Racial Profiling“ auch in Deutschland. Dass zum Beispiel Autos angehalten werden, in denen ich mit mehreren schwarzen Menschen sitze, oder Leute sich im Zug ausweisen müssen, die nicht vermeintlich deutsch aussehen.“

In ihrer historischen Analyse über die Gründe des Rassismus in den USA kommt sie auch auf die Politik von Donald Trump zu sprechen. Ihre Worte könnten deutlicher nicht sein: „Trump ist ein Faschist, das haben die letzten Jahre und insbesondere vergangenen Tage gezeigt, daran gibt es nichts zu rütteln. Er hat autoritäre Vorstellungen von Gesellschaftsorganisation und lobt Gewaltausübung.“

Wie politisch darf Wissenschaft sein? 

Rassismus zu verstehen, offenzulegen und anzuprangern ist keine Frage der politischen Einstellung. Es ist ein gesellschaftlicher Auftrag für das Funktionieren einer pluralistischen Gesellschaft, der sich aus unser Verfassung ergibt. Ich möchte daher alle auf dem Campus ermutigen, in ihrem Verantwortungsbereich gegen Rassismus vorzugehen – auch und gerade diejenigen unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Stimme in der Öffentlichkeit gehört wird.

Rassismus auf dem Campus

Ich bin froh und stolz darauf, dass wir an der RUB viele dieser Stimmen aus der Wissenschaft haben, die nicht nur auf die aktuelle Debatte aufspringen, sondern seit langem immer wieder wertvolle Beiträge liefern. Etwas ganz anders als unsere wissenschaftliche Expertise zu diversen Formen des Rassismus ist jedoch die Frage, was wir gegen unseren eigenen Rassismus auf dem Campus machen.

Das Kooperationsprojekt zwischen dem Asta und dem Rektorat „RUB bekennt Farbe“ setzt bereits ein wichtiges Zeichen gegen Rassismus. Die RUB bietet außerdem mit der vom DAAD geförderten Initiative „Universität ohne Grenzen“ viele wirkungsvolle Maßnahmen für die Integration von Geflüchteten. Darüber hinaus gibt es seit 2018 zusammen mit dem Akafö das Projekt „Unser Campus“. Ich möchte alle auf dem Campus ermutigen, sich in diese Initiativen mehr einzubringen. Neue Helfer und neue Ideen sind in den Initiativen sehr willkommen und sehr nötig. Darüber hinaus haben Sie alle die Möglichkeit, sich in den Gremien und Interessensvertretungen der RUB gegen Rassismus zu engagieren.

Ich bin mir jedoch bewusst, dass das nicht reicht. Es gibt in Deutschland kaum Studien, die den Rassismus an Universitäten und seine Folgen systematisch untersuchen. Das ist ein blinder Fleck. Auch bei uns gibt es eine solche Studie bislang nicht. Über rassistische Erfahrungen im Alltag an der Uni, den viele von Ihnen erleiden müssen, wissen wir viel zu wenig.

Diversität und Toleranz sind nicht nur hehre Werte. Sie sind Voraussetzung für eine freie und leistungsfähige Wissenschaft zur Bewältigung der globalen Herausforderungen unserer Zeit. Autoritäres Denken und Rassismus zerstört Wissenschaft. Es ist daher höchste Zeit, dass wir die wissenschaftliche Expertise der RUB zu Rassismus-Themen auch gegen den Rassismus auf unserem eigenen Campus einsetzen.Ich halte auch eine Anlaufstelle für Diskriminierungserfahrungen für notwendig.

Herzlichst

Axel Schölmerich

Veröffentlicht

Mittwoch
10. Juni 2020
13:25 Uhr

Von

Axel Schölmerich

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