Interview Schubladen im Kopf ausfindig machen
Heather Hofmeister darüber, wie das Hinterfragen des eigenen Denkens und Handelns Räume für alle öffnen kann und was das für Universitäten bedeutet.
Für ihre Führungskräfte bietet die RUB seit 2022 sogenannte Anti-Bias-Workshops an, in denen sie lernen, zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen anders mit dem eigenen Schubladen-Denken umzugehen. Prof. Heather Hofmeister, Ph.D., leitete den ersten Workshop für RUB-Führungskräfte in 2022. In einem Interview erläutert sie, warum es so wichtig für Universitäten ist, sich dem Thema zu widmen.
Heather Hofmeister, wie sind Sie selbst zum Thema Anti-Bias gekommen?
In den USA ist das Thema Chancengleichheit Teil der Kultur. Es bedeutet, dass ein Bewusstsein und eine Sensibilität dafür vorhanden sind, dass vorhandene Strukturen Hürden sein können. Solche Strukturen können zum Beispiel hohe Bildungskosten, gefährliche Wohnviertel, oder die fehlende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sein. Sie alle rufen Ungleichheit hervor. Es gibt aber auch gewohnte Muster oder Strukturen im Kopf, die uns dazu bringen, in Schubladen zu denken und Menschen anhand ihrer äußeren Merkmale Fähigkeiten zu- oder abzusprechen.
Als ich 2002 nach Deutschland kam, war das Thema Bewusstsein über unsere Vorurteile nicht sonderlich stark auf der universitären Agenda. Ich habe mich vor allem in der Forschung mit Karrieren von Männern und Frauen beschäftigt und später, besonders als die erste Frau im Rektorat der RWTH Aachen in 2007, auch mit Frauen in Wissenschaft und Führungspositionen. Dabei ist deutlich geworden, dass die Arbeitsorganisationen, beispielsweise in Unternehmen und Universitäten, im deutschsprachigen Raum im Gegensatz im internationalen Vergleich noch immer extra überproportional stark von Männern beherrscht wird. Wenn wir Migrationshintergrund und Hautfarbe miteinbeziehen, wird diese Ungleichheit in Bezug auf Macht- und Schlüsselpositionen noch deutlicher. Durch diese Auseinandersetzung bin ich zum Thema gekommen.
Warum sollten sich Universitäten damit auseinandersetzen?
Universitäten haben einen Bildungsauftrag. Wir bilden junge Menschen für die Zukunft aus. Wenn wir bestimmte Menschen von Bildung oder Stellen ausschließen, anhand von alten Mustern und nicht anhand ihres Könnens, verhindern wir ihren berechtigten Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen, und einer sicheren Zukunft. Dabei brauchen wir heute mehr denn je Talente und Qualitäten. Obwohl wir für das Lernen und Bildung zuständig sind, sind wir selbst oft nicht bereit, dazu zu lernen und uns mit schwierigen Themen in unseren Köpfen und eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Es ist zwar schwer, diese abzubauen, aber es ist wichtig. Denn wenn wir es nicht tun, verlieren wir viele Menschen auch für die Wissenschaft, Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Aber noch wichtiger: wir verletzten auch unsere eigenen Werte, dass alle Menschen würdig sind. Hinzu kommt, dass auch neue Vorbilder und Denkweisen keine Chance haben, wenn wir sie ignorieren.
Gibt es Beispiele zum Thema Anti-Bias an Universitäten?
Anti-Bias kann an verschiedenen Stellen vorkommen. Da wo Professuren besetzt werden oder bei der Bewertung von Studienarbeiten; aber auch in der Verwaltung. Interessant ist an Bochum, dass die Region sehr divers ist. Das spiegelt sich auch bei den Studierenden wider. Bochum kann sich fragen, ob die Universitätsverwaltung, aber auch die Besetzung von Professuren, dieser regionalen Vielfalt entspricht. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir für eine so diverse Gruppe an Studierenden selbst als Vorbild dienen.
Das bedeutet nicht, dass gebürtige Deutsche nicht qualifiziert sind; sie haben auch das Recht auf einen Arbeitsplatz. Sondern es soll uns sensibilisieren, ob wir unterbewusst doch qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber ausschließen, weil sie nicht einem bestimmten gewohnten Muster entsprechen. Dazu müssen wir uns trainieren, achtsam zu bleiben. Dazu stellt sich die Frage, wie wir zusammenarbeiten und wie dies das Gefühl beeinflussen kann, ob sich jemand willkommen fühlt oder nicht. Hat es vielleicht Einfluss darauf, ob sich jemand einschreibt oder nicht, sich auf einen Job bewirbt oder nicht. Das Bewerbungsfoto ist da ein gutes Beispiel, wo Vorannahmen unnötig die Wahrnehmung von Qualifikationen beeinflussen können. Warum ist ein Bewerbungsfoto für eine Stelle relevant, in der es um Können und Denken, nicht Äußerlichkeiten, geht?
Es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Denn ansonsten verlieren Universitäten Talente und viele Menschen Chancen. Und das gilt für alle Ebenen.
Auch für Professorinnen und Professoren?
Der Blick auf Professorinnen und Professoren ist vor allem interessant, weil sie nach ihrer Berufung viele Jahre und Jahrzehnte großen Einfluss auf das haben, was bei ihnen in der Forschung und Lehre und den Einstellungen der nächsten Generation in der Wissenschaft passiert.
Wenn wir immer nur den gleichen Typus von Mensch in einer Stelle sehen, assoziieren wir dessen Merkmale mit der Position. Leider sind wir deshalb quasi automatisch skeptischer, wenn es um die Frage geht, ob auch Menschen mit anderen Merkmalen die Stelle erfolgreich ausfüllen können.
Wir müssen uns also fragen: Was können wir tun, um Menschen weniger in Schubladen zu stecken, damit die Erfolgsgeschichten breiter, vielfältiger, interessanter, und innovativer aussehen und erlebt werden kann.
Wie trainiert man das?
Am besten ist es, wenn man sich darüber bewusst wird, dass diese Art der Kategorisierung stattfindet. Erst dann kann man bewusst dagegen wirken und sich erlauben, anders zu bewerten und entscheiden. Das ist ganz individuell. Wir müssen dafür also die Gelegenheit haben, unsere automatische Kategorisierung wahrzunehmen. Das ist ein Prozess, in dem wir Stück für Stück unsere Wahrnehmung schärfen. So können wir letztendlich erkennen, wie wir unser Verhalten ändern können. Wie kann ich, anhand meiner tatsächlichen und durchaus berechtigten vordefinierten Kriterien, bei der Bewerberbeurteilung und -auswahl oder Hausarbeitsbewertung so akkurat wie möglich entscheiden?
Konkret heißt das, zum Beispiel damit anzufangen, Hausarbeiten zu korrigieren, ohne auf dem Deckblatt schon den Namen stehen zu haben. Dann geht es um die Arbeit an sich und Name, Geschlecht, die Beteiligung im Seminar oder die mögliche Migrationsgeschichte spielen keine Rolle.
Versuchen Sie zu verstehen, warum Sie welche Entscheidungen bewusst oder unbewusst treffen.
Heather Hofmeister
Gibt es etwas, was im Alltag hilft, bewusster mit Kategorien umzugehen?
Geben Sie sich Pausen und Zeit; beobachten sie sich selbst und versuchen Sie zu verstehen, warum Sie welche Entscheidungen bewusst oder unbewusst treffen. Wenn wir so ehrlich reflektieren, hilft es uns Vorurteile und Schubladendenken abzubauen. Dabei hilft es auch in Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen, mit unterschiedlichen Biografien und mit Geschichten zu sein.
Wie jemand auftritt ist ebenso von den Erfahrungen geprägt, die die Person gemacht hat. Zum Beispiel melden sich Frauen in Seminaren weniger als Männer zu Wort. Frauen haben während ihrer Schulzeit, in ihren Familien und in ihren Freundeskreisen häufig gelernt, nicht aufzufallen, keine extra Aufmerksamkeit zu wecken, und bloß nicht etwas Falsches zu sagen. Wenn Lehrende das verstehen, können sie ganz bewusst alle Studierenden einladen, sich zu beteiligen, mit einfachen Sätze wie: „Ich höre gerne jetzt von jemanden, der noch nichts gesagt hat.“ Und warten ein bisschen länger auf Wortmeldungen. So wird niemand vorgeführt. Die Neugierde kann neue Wege eröffnen. Sie kann Beteiligung schaffen. Wir benötigen kollektive Lösungen von diversen Gruppen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Für sie wollen wir unsere Räume öffnen.
Anti-Bias kann komisch entfremdet wirken. Dabei geht es eigentlich vor allem darum, Bewusstsein für eigenes Handeln und Denken zu finden.