Karim Fereidooni und Nathalie Eleyth möchten dazu beitragen, Diskriminierung im Umfeld der Ruhr-Universität Bochum zu minimieren. © RUB, Marquard

Diversity Was tun gegen Rassismus an Universitäten?

Rassismus beginnt nicht erst mit dem Molotow-Cocktail, der gegen eine Hauswand geworfen wird, er beginnt mit der Skepsis: Kannst du, so wie du aussiehst, ein guter Mitarbeiter sein?

Welche Rassismus-Probleme es an Hochschulen gibt und wie man sie bekämpfen kann, diskutieren Nathalie Eleyth und Prof. Dr. Karim Fereidooni im Interview. Als Mitglieder des Think Tanks Diversity der Ruhr-Universität möchten sie dazu beitragen, Diskriminierung im Umfeld der Hochschule zu minimieren.

Welche Rolle spielt Rassismus in Deutschland?
Karim Fereidooni: 2022 ist im Auftrag der Bundesregierung der Rassismus-Monitor erschienen: Darin sagen 73 Prozent der 14- bis 24-jährigen, die einer rassifizierten Gruppe angehören: „Ich habe schon mal Rassismus-Erfahrungen gemacht. Der Afro-Zensus verweist darauf, dass 90 Prozent der 6.000 schwarzen Menschen, die in Deutschland nach ihrer Lebensrealität befragt worden sind, angeben: „Mir wird nicht geglaubt, wenn ich in Deutschland über Rassismus rede“.

49 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung denkt, dass es unterschiedliche Menschen-Rassen gibt und 33 Prozent sind der Ansicht, einige Kulturen seien von Natur aus fleißiger als andere. Diese Befunde weisen darauf hin, dass Rassismus auch in der bundesdeutschen Gesellschaft eine Rolle spielt.

Was kann jede*r Einzelne tun, um Rassismus entgegenzuwirken?
Nathalie Eleyth: Zunächst ist wichtig zu verstehen, dass Rassismus strukturell in unserer Gesellschaft, Kultur, Sprache und in unserem Wissen verankert ist. Ich kann mich als Individuum gegen rassistische Diskriminierung aussprechen und mich rassismuskritisch weiterbilden, muss mir jedoch gleichzeitig bewusst machen, dass ich Teil eines Systems bin, das ich kritisiere.

Rassistische Machtverhältnisse in den kulturellen Tiefenstrukturen unserer Gesellschaft kann ich als Einzelperson nicht bekämpfen. Ferner sollte sich jede Person bewusst machen, dass rassistische Handlungen nicht nur individuell ausgeübte, absichtsvolle, herabwürdigende verbale oder körperliche Angriffe von hoch amoralischen Menschen sind. Vielfach reproduzieren Menschen rassistisches Wissen oder rassistische Stereotype, ohne dass es ihnen bewusst ist.

Was genau ist struktureller Rassismus?
Fereidooni: Struktureller Rassismus heißt, auch wenn Menschen nicht rassistisch sein möchten, ist Rassismus in Verfahrensvorschriften und Routinen vorhanden, und wenn wir dafür nicht sensibilisiert sind, dann können wir nichts dagegen tun. Das bedeutet aber auch, dass wir den Strukturen nicht willkürlich ausgesetzt sind. Wenn Personen an entscheidender Stelle, beispielsweise an einer Universität, Lust haben auf Veränderungen, dann können sie an den Strukturen dieser Hochschule etwas verändern.

Muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, berichten, bestimmte Pflichtpraktika nicht absolvieren zu dürfen.


Nathalie Eleyth

Welche Probleme liegen an Universitäten vor?
Eleyth: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat sich in mehreren Berichten mit Diskriminierung an Hochschulen befasst und benennt konkrete Rassismuserfahrungen, die Studierende mit sogenanntem Migrationshintergrund an Universitäten erleben: zum Beispiel rassistische Bemerkungen von Lehrkräften in Vorlesungen, von Prüferinnen oder Prüfern, von Betreuern während ihrer Arbeiten.

Betroffene schildern, dass dieses rassistische Verhalten ihnen gegenüber mit einer schlechteren Benotung einhergeht. Zudem gibt es Belästigung durch Kommilitoninnen und Kommilitonen aufgrund von unterstellten fehlenden deutschen Sprachkenntnissen. Muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, berichten, bestimmte Pflichtpraktika nicht absolvieren zu dürfen.

Fereidooni: Auch in Bochum konnte eine muslimische Medizinstudentin aufgrund ihres Kopftuches ihr praktisches Jahr in einem Lehrkrankenhaus der Ruhr-Universität erst beginnen, nachdem sich der Rektor eingeschaltet hatte.

Eleyth: Nach meiner Erfahrung im Fachbereich Theologie stehen in den Curricula und Modulhandbüchern weiße Menschen beziehungsweise die Interpretationen und Denkhorizonte von weißen Menschen im Zentrum der Lehre, während das Wissen und die Perspektiven des globalen Südens marginalisiert werden. In der Theologie sind Texte von weißen männlichen Autoren hegemonial.

Wie könnte man dem entgegenwirken?
Eleyth: Es gibt bereits seit längerer Zeit Forderungen nach internationaler Bildung und der Berücksichtigung von marginalisiertem Wissen – prominent ist auch der Slogan „Decolonize the Curriculum“. Sofern dekoloniale Ansätze jedoch nicht in den Curricula verankert sind, kommt es auf engagierte Personen in der Lehre an, ob und inwiefern sie sich mit Rassismus-Kritik, Intersektionalität und kritischem Weißsein auseinandersetzen oder nicht. Ohne solche Einzelpersonen fällt das unter den Tisch.

Seit September vergangenen Jahres haben wir eine Antidiskriminierungsbeauftragte an der Ruhr-Universität. Anlaufstellen an Hochschulen mit machtkritischen und diskriminierungssensiblen Personen sind unbedingt wichtig, damit Studierende, Lehrende und andere angestellte Personen mit Rassismuserfahrungen nicht allein gelassen werden.

Rassismus beginnt nicht erst mit dem Molotow-Cocktail, der gegen eine Hauswand geworfen wird, er beginnt mit der Skepsis: Kannst du, so wie du aussiehst, ein guter Mitarbeiter sein?


Karim Fereidooni

Fereidooni: Wenn Sie sich auf den Webseiten der Universitäten die Personen ansehen, die Professuren bekleiden, dann ist das kein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Es beginnt schon damit, welche Studierenden gefördert werden, um eine Stelle als studentische Hilfskraft anzunehmen. Das ist meistens der Pfad, auf dem eine wissenschaftliche Karriere anfängt. Ich war einer der sehr wenigen Menschen of Color, die überhaupt die Möglichkeit hatten, als studentische Hilfskraft für eine Professorin zu arbeiten.

Rassismus beginnt nicht erst mit dem Molotow-Cocktail, der gegen eine Hauswand geworfen wird, er beginnt mit der Skepsis: Kannst du, so wie du aussiehst, ein guter Student oder eine gute wissenschaftliche Mitarbeiterin sein? Kannst du das Professoren- beziehungsweise Professorinnen-Amt gut bekleiden oder nicht? Mit diesen Bedenken aufgrund der zugeschriebenen oder faktischen Herkunft fängt Rassismus an. Es geht um die Auswahl von Menschen. Wem traut Mensch zu, beispielsweise prestigeträchtige Positionen in unserer Gesellschaft einzunehmen und wem eben nicht. Wer wird gefördert und wer nicht.

Haben Sie diesbezüglich auch selbst Rassismus-Erfahrungen gemacht?
Fereidooni: Wenn Sie über Rassismus forschen und bei Berufungsverfahren auch empirische Befunde vorstellen, dann passiert etwas Seltsames im Raum. Viele Professoren und Professorinnen können nicht damit umgehen, Rassismus-Kritik als analytisches Instrument zu betrachten, sondern fühlen sich persönlich angegriffen.

Bei einem Bewerbungsgespräch einer Exzellenz-Uni hat eine Professorin, nachdem ich 30 Minuten lang in einem Vortrag empirische Befunde zu Rassismus dargelegt hatte, gesagt: „Was wollen Sie uns eigentlich unterstellen? Wir sind keine Nazis“. Solche Sachen passieren sehr oft. Menschen werden behindert, ihre Kompetenzen zu entwickeln. Seitdem ich denken kann, spielt Rassismus eine Rolle für mich.

Bauen sich Vorurteile ab, wenn man häufig Kontakt zu Menschen of Color hat?
Fereidooni: Dafür muss der Kontakt auf Augenhöhe passieren. Es genügt nicht, als weißer Mensch gerne Döner zu essen oder sich von einem persischstämmigen Taxifahrer umher kutschieren zu lassen. Den Kontakt auf Augenhöhe habe ich erst dann, wenn ich mit meiner schwarzen Kollegin über Fachdebatten diskutiere.

All das, was nicht der weißen Perspektive entspricht, gilt als nicht objektiv, nicht gesichert.


Nathalie Eleyth

Gibt es bestimmte Strukturen an Universitäten, die Rassismus begünstigen?
Eleyth: Wenn wir über den Raum der Universität sprechen, dann reden wir natürlich über eine Institution, bei der Hierarchien eine Rolle spielen, in der lehrende Personen eine andere Position bekleiden als Studierende. Wenn sich Studentinnen oder Studenten trauen, Dozierende auf rassistische Fremdbezeichnungen, Unkenntnis in Bezug auf Rassismus, Kolonialismus oder einseitige Darstellungen hinzuweisen, dann kommt es oft zu einem Kampf um Definitions- und Wissensmacht.

Weiße Dozierende denken häufig, sie wären aufgrund ihres Wissensstandes und ihres Weißseins neutral und objektiv und hätten die Lehrhegemonie. Dann disqualifizieren sie das Erfahrungswissen und die Erkenntnisprivilegien der von Rassismus betroffenen Studierenden, verfügen aber selbst über gar kein Erfahrungswissen diesbezüglich. Weiße Dozierende reagieren in der Folge mit einem herrschaftlichen Verhalten: All das, was nicht der weißen Perspektive entspricht, gilt als nicht objektiv, nicht gesichert.

Es kann passieren, dass den Studierenden von den Dozierenden vorgehalten wird, sie würden übertreiben, das Seminar mit störenden Diskursen belasten oder sie wären zu emotional. Das ist eine Entwertung der Perspektiven von Studierenden.

Karim hatte darauf hingewiesen, dass mehrheitlich weiße Menschen Professuren bekleiden. Wenn sich Studierende of Color bei weißen Professor*innen über rassistisches Verhalten beschweren, das sie durch deren Kolleg*innen erfahren haben, entsteht häufig eine „weiße Solidarität“: Weiße Personen nehmen andere weiße Personen in Schutz und stellen Rassismus als Phantasma der Betroffenen unter Verweis auf den akademischen, hoch professionellen Raum dar.

Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, können häufig nicht nachvollziehen, in welchen vielfältigen Kontexten es zu Diskriminierungs-Handlungen kommen kann.


Nathalie Eleyth

Die Erfahrungen von Menschen of Color werden gezielt bagatellisiert, um die Person zu bestrafen, die Rassismus angesprochen hat. Deshalb ist es auch so wichtig, die entsprechenden Anlaufstellen mit rassismussensiblen Personen zu besetzen. Denn Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, können häufig nicht nachvollziehen, in welchen vielfältigen Kontexten es zu Diskriminierungs-Handlungen kommen kann.

Die weiße Mehrheitsgesellschaft empfindet es vielfach nicht als rassistisch, Menschen unter Bezugnahme auf Abstammungs- und Herkunftslogiken vermeintlich positiv konnotierte Eigenschaften zuzuschreiben. Aus dem Umfeld der Universität ist bekannt, dass ostasiatisch gelesenen Menschen besondere IT-Kenntnisse oder mathematische Fähigkeiten unterstellt werden, schwarzen Menschen wird überdurchschnittliche sportliche Leistungsfähigkeit attestiert. Solche Äußerungen verstehen sich häufig als Kompliment. Betroffene Personen empfinden sie jedoch als verletzend. Denn diese werden durch die stereotype Zuschreibung entindividualisiert.

An wen können sich Betroffene an der Ruhr-Universität wenden?
Eleyth: Seit September 2022 ist Michalina Trompeta die erste Antidiskriminierungsbeauftragte der Ruhr-Universität. Nicht nur Studierende, sondern alle Mitglieder und Angehörigen der Universität, die aufgrund von rassistischer Diskriminierung oder anderen Diskriminierungsformen Beratungsbedarf haben, können sich an Frau Trompeta wenden.

Zudem gibt es seit vielen Jahren und gesetzlich verankert Gleichstellungsbeauftragte. Einige Fakultäten haben seit kurzem auch Diversitätsbeauftragte, da Gleichstellung – auch durch den Wortlaut des Gesetzes – auf die Chancengleichheit der Geschlechter fokussiert. Die Diversitätsbeauftragten haben die Aufgabe, über die Genderdimension hinaus andere Diversitätskategorien mitzudenken.

Was kann die Ruhr-Universität zusätzlich tun, um Rassismus entgegenzuwirken?
Fereidooni: Ich glaube, dass die Beschäftigung mit Rassismuskritik, also Rassismus-relevanten Denk-, Sprech- und Verhaltenspraktiken sowie rassismuskritischen Studien tatsächlich stärker Eingang finden sollte in die Lehramtsausbildung, für die ich an meiner Fakultät zuständig bin. Bisher wurde auch vernachlässigt, dass die Verankerung der Rassismuskritik in allen Fachbereichen stattfinden könnte.

Ich stelle mir unter anderem vor, gemeinsam mit vielen verschiedenen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen und Fachdidaktiken ein Zusatzzertifikat „Diversitätssensibilität“ zu etablieren. Dabei geht es nicht nur darum, Rassismuskritik zu verankern, sondern auch darum, eine Professionskompetenz in Bezug auf andere Ungleichheitsstrukturen anzubahnen.

Wenn ein Entscheidungsträger offen ist für Veränderungen, dann lebt diese Person das in der Struktur vor und setzt auch Entscheidungen durch, die vorher (scheinbar) nicht umsetzbar waren.


Karim Fereidooni

Fereidooni: Letztlich beeinflusst Rassismus alle Lebensbereiche von Menschen, und da würde ich mir wünschen, dass wir Rassismuskritik in den Kanon der Credit Points der Lehramtsausbildung mit aufnehmen. Das bedeutet aber auch, dass wir neue Professuren benötigen, die sich explizit mit rassismuskritischer Lehramtsausbildung auskennen.

Zusätzlich brauchen wir die Bereitschaft von Fachdidaktikern, die explizit keine Rassismus-Forscher sind, sich mit diesem Themenfeld zu beschäftigen. Damit sie ihre Lehramtsstudierenden diesbezüglich schulen können. Hierüber sind wir auch im Gespräch mit Isolde Karle, unserer Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talententwicklung, die wie ich finde, einen sehr guten Job macht und auch vieles anstößt.

Wir reden häufig über Strukturen. Was ich aber beispielsweise auch in der Politikberatung gemerkt habe: Wenn ein Entscheidungsträger offen ist für Veränderungen, dann lebt diese Person das in der Struktur vor und setzt auch Entscheidungen durch, die vorher (scheinbar) nicht umsetzbar waren. Beispielsweise glaube ich, dass die Antidiskriminierungsstelle nicht geschaffen worden wäre, wenn Isolde Karle nicht das entsprechende Prorektorat innehätte.

Heute ist rassismuskritische Literatur nur einen Klick entfernt.


Karim Fereidooni

Wie könnte man rassismuskritische Denkweisen bei Lehrenden in allen Fachbereichen fördern?
Eleyth: Durch die Einführung von obligatorischen Anti-Bias-Schulungen und Anti-Diskriminierungs-Workshops. Lehrende könnten verpflichtet werden, regelmäßig entsprechende Fortbildungen zu absolvieren. Das könnte man auch mit Neuberufungen verbinden, sodass neue Professorinnen und Professoren innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nach ihrer Einstellung entsprechende Fortbildungsangebote im Bereich Rassismuskritik und intersektionale Antidiskriminierung wahrnehmen müssen.

Fereidooni: Ich glaube, indem wir nicht nur darüber reden. Wir haben eine noch nicht veröffentlichte Studie zu unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen auf dem Campus durchgeführt. Alexandra Wassermann, die Referentin von Frau Karle, hat die Ergebnisse vorliegen. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass der Weg, den Isolde Karle und der Think Tank Diversity eingeschlagen haben, mithilfe dieser Studie flankiert werden kann: indem Maßnahmen entwickelt werden, über die wir uns noch verständigen müssen.

Wenn Menschen Lust haben, rassismuskritisch tätig zu werden, dann war es noch nie so leicht, an entsprechendes Material zu kommen, egal ob für Kinder, Erwachsene, die Universität oder den Beruf. Heute ist rassismuskritische Literatur nur einen Klick entfernt. Die Ausrede „Ich weiß von nix, das ist alles so schwer und ich verstehe das nicht“ gilt im Jahr 2023 nicht mehr.

Rassismuskritische Literatur

Zur Person

Nathalie Eleyth ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Sie lehrt und forscht unter anderem zu rassismuskritischer Theologie und Kritischem Weißsein. Sie ist dezentrale Gleichstellungsbeauftragte an ihrer Fakultät und berät und begleitet als Antirassismus-Trainerin Organisationen in rassismuskritischen Veränderungsprozessen.

Karim Fereidooni ist seit 2016 Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum und bildet Lehrer aus. Zudem berät er mehrere Bundesministerien zu Muslimfeindlichkeit und Integration durch Bildung.

Veröffentlicht

Freitag
19. Mai 2023
09:37 Uhr

Von

Carina Huber

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