Prof. Dr. Kornelia Freitag leitet als Prorektorin für Lehre und Studium die Weiterentwicklung des Leitbildes Lehre der Ruhr-Universität Bochum. © RUB, Marquard

Interview Die Perspektive hat sich verändert

Die Ruhr-Universität aktualisiert die Werte und Ziele ihres Leitbildes Lehre. Forschendes Lernen bleibt zentral — gesellschaftliche Verantwortung wird wichtiger.

Mehr als 40.000 Studierende an 21 Fakultäten prägen das Bild der Ruhr-Universität Bochum. Unter dem Motto „Lernen. Leisten. Gemeinschaft leben“ haben Lehrende und Studierende im Jahr 2010 ein gemeinsames Leitbild Lehre entwickelt. Nun ist es Zeit, die Werte und Ziele zu aktualisieren. Als Prorektorin für Lehre und Studium leitet Prof. Dr. Kornelia Freitag den neu angestoßenen Leitbildprozess. Warum die Universität ihr Leitbild Lehre gerade jetzt aktualisiert und welche Themen die Lehre künftig prägen werden, erzählt sie im Interview.

Frau Prof. Dr. Freitag, was ist das Besondere an der Lehre der Ruhr-Universität Bochum?
Forschendes Lernen wird an der Ruhr-Universität Bochum großgeschrieben. Wir wollen Studierende während ihres Studiums immer wieder in die Situation von Forschenden versetzen. Das heißt, sie lernen, Lücken im heutigen Wissen und gegenwärtigen Verfahrensweisen zu finden, informierte Fragen zu stellen, Ergebnisse in größere Zusammenhänge einzuordnen, und zu erkennen, dass Forschung gesellschaftliche Auswirkungen hat. Sowohl in der Lehre als auch in der Forschung herrscht an der Ruhr-Universität ein starkes Bewusstsein dafür, mit Bochum und dem Ruhrgebiet verbunden zu sein.

Gleichzeitig werden wir immer internationaler, beispielsweise durch unsere Mitgliedschaft in der europäischen Hochschulallianz  „The European University of Cities in Post-Industrial Transition“ (UNIC) mit 9 weiteren Partneruniversitäten aus allen Teilen Europas. So wird sich beispielsweise im kommenden Semester mit dem Start des UNIC-Studiengangs „Redesigning the Post-Industrial City“ die Zahl der internationalen Studierenden weiter erhöhen.

Die Ruhr-Universität ist im wahrsten Sinne des Wortes vielfältig.

Studierende prägen als Teil der Lehr-Lern-Gemeinschaft die universitäre Lehre mit. Auch hier ist die Ruhr-Universität besonders.
Die Ruhr-Universität ist im wahrsten Sinne des Wortes vielfältig und wir sind stolz darauf, dass unsere zahlreichen Erstakademikerinnen und -akademiker genauso erfolgreich sind, wie Studierende, deren Eltern bereits studiert haben. Wir haben viele Studierende mit Migrationshintergrund und viele geflüchtete Studierende beginnen ihr Studium bei uns oder führen es hier weiter. Momentan bauen wir zudem die Unterstützung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung aus.

Mit dem RUB-Talentscouting und fast 200 fachlichen und zentralen Angeboten helfen wir unseren Studierenden, den Übergang von der Schule zum Studium zu gestalten; mit zahlreichen Deutschlandstipendien honorieren wir herausragende Leistungen und gesellschaftliches Engagement im Studium; und wir unterstützen Studierende gezielt bei der Bewerbung auf Stipendien der Studienstiftung und anderer Förderwerke.

Warum braucht die Ruhr-Universität ein Leitbild Lehre?
Ein Leitbild ist strategisch sehr wertvoll und sogar notwendig, um Studiengänge zu akkreditieren. Für uns als große Universität mit vielen unterschiedlichen Fächern dient das Leitbild vornehmlich der Selbstversicherung wie der kritischen Reflektion. Unser Leitbild führt uns immer wieder vor Augen, wie sich die Lehre entwickelt hat, wo wir stehen, wo wir künftig hinwollen, und welche neuen Felder und Innovationen sich eröffnet haben. Viele Punkte, die sich in den letzten Jahren herauskristallisiert haben, sind in unserem jetzigen Leitbild kaum oder gar nicht enthalten.

Die Lehre braucht eine einheitliche Strategie, die alle mitnimmt – Lehrende, Lernende und die Verwaltung.

Aber warum braucht es ein separates Leitbild für die Lehre?
Die Lehre braucht, vielleicht noch mehr als die Forschung, in der fachspezifische Ansätze und Methoden dominieren, eine einheitliche Strategie, die alle mitnimmt – Lehrende, Lernende und die Verwaltung. Jede dieser drei Gruppen hat im Prozess von Lehre und Studium spezielle Aufgaben und Interessen, aber alle haben das Anliegen, ein erfolgreiches Studium in den unterschiedlichen Fächern zu sichern. Dass die Methoden, Verfahren und Ziele von Lehre und Studium den aktuellen Anforderungen genügen und zukunftsfähig sind, das ist das Anliegen eines Leitbilds. Forschendes Lernen ist und bleibt dabei das Gestaltungsmerkmal aller Studienangebote der Ruhr-Universität.

Das letzte Leitbild stammt aus dem Jahr 2010. Warum ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Leitbild zu überarbeiten?
Die Pandemie, verschiedene Kriege und zunehmend wichtiger werdende globale Notwendigkeiten, wie Nachhaltigkeit, Internationalisierung und Digitalisierung, aber auch die steigenden Anforderungen an eine gelingende Inklusion, haben die Perspektive auf die universitäre Lehre verändert. Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung von Individuen, Teams, Unternehmen, Institutionen und Staaten bekommen eine neue Relevanz. Die Universität ist kein Elfenbeinturm. Unsere Studierenden tragen Verantwortung und schaffen einen Mehrwert für die Gesellschaft, deren Teil sie sind. Daher müssen sie genauso wie wir mit gesellschaftlichen Akteuren noch stärker zusammenarbeiten. Die Idee, einer „University Without Walls“, das heißt die Universität für die Gesellschaft zu öffnen und dabei die akademische Integrität zu bewahren, ist zentral für die neue Leitbilddiskussion.

Zur Person

Kornelia Freitag wurde 1958 in Potsdam geboren. Sie studierte Slawistik/Anglistik an der Universität Potsdam. Nach der Promotion und Forschungsaufenthalten an der Stanford University habilitierte sie sich an der Universität Potsdam im Fach Amerikanistik. 2002 wurde sie auf die C4-Professur „Amerikastudien/American Studies“ an die Ruhr-Universität Bochum berufen.

Von 2007 bis 2009 war sie Dekanin der Fakultät für Philologie, 2010 bis 2013 war sie die Sprecherin für die Geisteswissenschaften in der RUB-Research School. 2012 bis 2015 gehörte sie dem Senat der RUB an.
Im November 2021 wurde sie, nach einer ersten Amtsperiode von 2015 bis 2021, als Prorektorin für Lehre und Studium der Ruhr-Universität Bochum wiedergewählt. In dieser Funktion war sie Sprecherin der AG Prorektorinnen und Prorektoren Lehre NRW und Mitglied des Steering Committee der Learning & Teaching Initiative der European University Association.

Derzeit ist sie die Projektleiterin der RUB in der European University of Cities in Post-industrial Transformation (UNIC), Vorstandsmitglied der Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen (AQAS) und Mitglied des Beirats für Qualitätssicherung in Lehre und Studium der Universität Greifswald.

Auch die Frage der Internationalisierung, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit, muss neu gestellt werden. Als Universität bilden wir auch für Europa aus, was der tragende Gedanke des bereits erwähnten gemeinsamen UNIC-Studiengangs und des gesamten UNIC-Konsortiums ist. Gleichzeitig lernen wir durch unsere internationalen Partner neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Lehre kennen. Beispielsweise die „Microcredentials“, kürzere und bedarfsorientierte Lehr-Lern-Formate, die separat erworben und zertifiziert werden können.

Was waren denn die wichtigsten Punkte des bisherigen Leitbildes?
Die Werte unseres bisherigen Leitbildes sind nicht veraltet und passen immer noch zur Ruhr-Universität. Wir haben daher beschlossen, kein neues Leitbild zu entwickeln, sondern das bisherige Leitbild zu aktualisieren und mit konkreten Maßnahmen zu hinterlegen. Eine Online-Umfrage, bei der wir Lehrende, Vertreterinnen und Vertreter der UKL, die studentische Senatsfraktion und die Fachschaften gefragt haben, welche Themen im neuen Leitbild ergänzt und welche erhalten bleiben sollten, hat dieses Vorgehen bestätigt. Eine offene, respektvolle Kultur des Miteinanders, die Einheit von Forschung und Lehre, Chancengerechtigkeit sowie Vielfalt bleiben wichtig. Das Zukunftskonzept „Forschung erfahren, erlernen, leben“, welches das Forschende Lernen ins Zentrum rückt, soll zukünftig in das Leitbild integriert werden.

Weitere wichtige Themen sind Interdisziplinarität und gesellschaftliche Verantwortung.

Diskutiert wurden diese Punkte im Rahmen des Teaching Innovation Days 2023, richtig?
Genau. Der Teaching Innovation Day Anfang Juli bildete den Auftakt des neuen Leitbildprozesses. Die Ergebnisse der Online-Befragung wurden hier gemeinsam mit der Universitätskommission Lehre (UKL), den Studiendekaninnen und -dekanen, sowie Vertreterinnen und Vertretern der Studierenden und der Verwaltung besprochen. Forschendes Lernen, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Internationalisierung, Diversität und Inklusion wurden als gesetzte Themen identifiziert. Weitere Themen einschließlich ihrer Definition und möglicher Maßnahmen wurden in Arbeitsgruppen von den Teilnehmenden diskutiert. Hierzu zählten unter anderem Interdisziplinarität und gesellschaftliche Verantwortung.

Wie geht es bis zur Fertigstellung des aktualisierten Leitbildes weiter?
Aktuell werden die Ergebnisse der Diskussionen am Teaching Innovation Day gesichtet. Ein Entwurf für einen neuen Leitbildtext und entsprechende Maßnahmen für die einzelnen Themenfelder werden vorbereitet. Das Resultat wird dann zu Beginn des Wintersemesters hochschulöffentlich vorgestellt und diskutiert werden. Die Ergebnisse gehen anschließend in die weiteren Besprechungen durch die Studiendekane und -dekaninnen, die UKL und das Rektorat ein. Zum Ende des Wintersemesters 2023/24 geht ein Entwurf zum Beschluss in den Senat.

Wichtig ist, was nach der Verabschiedung der Vision kommt – die Übersetzung in Maßnahmen.

Was erhoffen Sie sich von der Überarbeitung des Leitbildes?
Die Diskussionen zum Leitbild sind hilfreich, um sich Herausforderungen und Errungenschaften, Werte und Ziele von Lehre und Studium vor Augen zu führen. Eigentlich wichtig ist das, was nach der Verabschiedung der Vision kommt – die Übersetzung in Maßnahmen und deren Realisierung, um das Studium an unserer Universität noch erfolgreicher und zukunftsweisender zu machen.

Veröffentlicht

Donnerstag
10. August 2023
14:47 Uhr

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