Interview Zwischen Holocaust und Gegenwart
Vanessa Eisenhardt studiert evangelische Theologie und Geschichte an der RUB. Das begeistert sie so sehr, dass sie im Hier und Jetzt nach noch mehr Geschichten sucht.
Sie engagieren sich bei den Heimatsuchern. Worum geht es dabei?
Heimatsucher ist ein Zeitzeugenprojekt, das sich mit dem Holocaust beschäftigt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Geschichten von jüdischen Überlebenden festzuhalten und sie weiterzutragen. Wir führen Interviews mit ihnen, machen daraus Magazine, schreiben Kurzbiografien oder Porträts.
Außerdem besuchen wir regelmäßig Schulen und berichten dort von den Überlebenden und ihrem Leben vor, während und nach dem Holocaust. Wir möchten Menschen berühren und sie selbst zu Zeugen machen, zu Zweitzeugen.
Was hat Sie zu den Heimatsuchern geführt?
Ich habe schon länger nach etwas gesucht, das ich neben meinem Studium machen kann. Bei einer Veranstaltung im Borusseum wurde der Heimatsucher-Verein vorgestellt. Da habe ich einfach gefragt, ob ich mitmachen kann.
Was sind Ihre Aufgaben?
Anfangs habe ich hauptsächlich Texte lektoriert, dann kamen Führungen in der Steinwache hinzu. Inzwischen mache ich auch viel historische Recherche und habe gerade zusammen mit zwei anderen Heimatsuchern meine erste Ausstellung organisiert. Dort biete ich unter anderem didaktische Führungen für Kinder ab der vierten Klasse an.
Jeder kennt das Tagebuch von Anne Frank. Wenn aber jemand vor dir sitzt, der den Holocaust selbst erlebt hat, ist das etwas total anderes.
Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?
Sie gibt mir unheimlich viel. Die vielen persönlichen Begegnungen sind oft sehr bewegend. Mich erfüllt es zu hören, dass es den Überlebenden etwas bedeutet, dass wir ihre Geschichten weitertragen. Aber es bringt mir auch etwas fürs Studium, es gibt ihm eine neue Dimension. An der Uni hört man zig Referate zum Thema Holocaust, liest viele Texte dazu. Jeder kennt das Tagebuch von Anne Frank. Wenn aber jemand vor dir sitzt, der das selbst erlebt hat, ist das etwas total anderes.
Viele Zeitzeugen, die wir interviewt haben, waren in Auschwitz oder haben noch mehr Konzentrationslager durchlaufen. Die Geschichten bleiben schon im Gedächtnis.
Es ist bestimmt nicht leicht, die Geschichten zu verarbeiten...
Stimmt, es ist auf jeden Fall aufwühlend. Besonders eine Geschichte lässt mich wirklich gar nicht mehr los. Wir haben mit einer Zeitzeugin gesprochen, die als Kind unter anderem vier Jahre lang durch den Wald getrieben worden ist. Sie ist so traumatisiert, dass sie 70 Jahre lang nicht über ihre Geschichte gesprochen hat – weder mit ihrem Mann, noch mit ihren Kindern. Mit Mitte 70 hat sie sich noch eine Puppe gekauft, weil sie ein wenig von ihrer verlorenen Kindheit nachholen möchte. Es ist irrsinnig traurig und einfach schrecklich, was sie erlebt hat.
Sie sagen selbst, dass Sie die Arbeit oft nicht loslässt. Wie schaffen Sie es, nach einem aufwühlenden Tag zu entspannen?
Meine Freunde helfen mir dabei. Mit Krönchen auf dem Kopf schauen wir zum Beispiel Disney-Filme oder irgendeinen anderen Quatsch [lacht]. Um mein Studium zu finanzieren, arbeite ich noch in einem Shop für handgemachte Kosmetik – ein komplett anderer Job. Mit den Kollegen habe ich auch immer viel Spaß.
Wissen Sie schon, welchen Weg Sie nach dem Studium einschlagen möchten?
Mein sicherer Plan B ist das Lehramt, aber ich würde eigentlich gern an der Uni bleiben und promovieren.