Interview Twitter, Trump und Tabus
Bloggerin Anne Wizorek erzählt, warum sie sich als Feministin international vernetzt und was die deutsche Gesellschaft daran hindert, wirklich aufgeklärt zu sein.
Die bekannte Autorin Anne Wizorek kommt ins Blue Square. Vorab erzählte sie in einem Interview, welcher Hashtag gerade wichtig für sie ist und was sich in der deutschen Gesellschaft noch ändern muss.
Frau Wizorek, 2013 haben Sie den Hashtag #Aufschrei ins Leben gerufen. Dabei ging es um Sexismus im Alltag. Welche Hashtags sind im Moment wichtig für Sie?
Der Hashtag #WhyIMarch. Darunter finden sich viele Beiträge von Frauen und vielen verschiedenen Menschen. Sie sind am 21. Januar 2017 in Washington D.C. mit einem Protestmarsch für eine sozial gerechte, vielfältige, inklusive Gesellschaft unterwegs gewesen. Für das, was durch eine Präsidentschaft von Donald Trump gefährdet ist.
Warum ist der Hashtag für Sie wichtig?
Weil die Leute mit dem Hashtag ihre Gründe nennen, warum sie sich am Protest beteiligt haben. Das finde ich sehr schön: zu sehen, wie so ein Ereignis so viele verschiedene Menschen zusammenbringen kann. Der Hashtag macht die Menschen und ihre Gründe sichtbar.
Es ist in Washington D.C. demonstriert worden. Sie wohnen in Berlin. Warum gibt es für Sie trotzdem eine Verbindung?
Weil Feminismus für mich schon immer eine internationale Sache war. Ich bin durch amerikanische Aktivistinnen beeinflusst worden, als ich für mich verstanden habe, dass ich Feministin bin. Viele Freundinnen von mir haben auch an dem Marsch teilgenommen. Gerade in Zeiten, in denen sich Rechtsnationalismus und Faschismus in allen möglichen Ländern dieser Erde breitmachen, ist es wichtig, dass sich Feministinnen weiter vernetzen und gegenseitig unterstützen.
Ich möchte noch mehr Leute außerhalb des Internets treffen.
Spielt Twitter dabei eine große Rolle?
Natürlich auch. Aber auch über Facebook oder zum Beispiel E-Mail vernetze ich mich. Dieses Jahr möchte ich zudem verstärkt auf Offline-Treffen setzen. Ich möchte noch mehr Leute außerhalb des Internets treffen, um die Netzwerke, die es schon gibt, weiterauszubauen.
Wie können sich Online- und Offline-Welten dabei gegenseitig beeinflussen?
Wirklich getrennt sind sie ja nie. Wir sind alle noch Menschen, die wirklich und keine virtuellen Wesen sind. Online aufgebaute Beziehungen sind real, aber man sollte aufpassen zu glauben, alles über einen Menschen zu wissen, nur weil man deren Facebook-Account abonniert hat. Es passiert eben viel zwischen den Zeilen. Und nicht jeder Gedanke wird publiziert. Auch deshalb ist es mir wichtig, sich genauso außerhalb des Internets auszutauschen.
Am 9. Februar kommen Sie nach Bochum ins Blue Square zu einer Diskussionsrunde zum Thema „Nein heißt Nein“. Können Sie kurz erläutern, worum es für Sie dabei geht?
Das Thema wurde in Deutschland sehr stark anhand der Sexualstrafrechtsreform diskutiert. Für mich geht es aber vor allem darum, dass wir eine Gesellschaft schaffen, in der es ein menschliches Miteinander gibt, das auf Respekt und auf Augenhöhe beruht. Es geht mir um das „Ja heißt Ja“.
Was heißt das?
Wenn zwei Menschen miteinander ins Bett gehen, sollte es möglich sein, dass sie einander kommunizieren, was sie jeweils möchten und was auch nicht. Ohne dass es ein Tabu ist. Das gehört zu einer sexuell aufgeklärten Gesellschaft dazu. An dem Punkt sind wir leider einfach noch nicht. Das ist für mich der Kern der Debatte.
Was hindert unsere Gesellschaft denn daran?
Die Tabus. Zum einen fehlt den meisten von uns im wahrsten Sinne des Wortes noch die Sprache, wenn es um Sexualität geht. Gleichzeitig fühlen wir uns frei und vollkommen aufgeklärt, bloß weil unsere tägliche Bilderwelt durch sexuelle Objekte geprägt ist. Zum Beispiel wird Werbung oft noch mit halbnackten Frauenkörpern betrieben und als normal gewertet. Die negativen Konsequenzen werden aber nicht reflektiert.
Wie sehen die Konsequenzen aus?
Mit den Bildern aus der Werbung werden Frauen mehr als Objekte wahrgenommen und weniger als Personen. Der Respekt vor Frauen sinkt und somit auch die Hemmschwelle, Gewalt gegen Frauen auszuüben. Studien belegen das.
Ein weiterer Punkt ist, dass in der Werbung ein großer Anteil der Körper, die gezeigt werden, einer bestimmten Schönheitsnorm entsprechen. Daraus können Essstörungen folgen, und die fangen schon bei jungen Mädchen an. Es hängt alles zusammen.
Ein klares Nein vom Opfer sollte ausreichen.
Noch einmal zurück zum Sexualstrafrecht: Was müsste sich da denn juristisch ändern?
Um von einem Sexualverbrechen zu sprechen, war es vor der Reform nötig, dass sich das Opfer nachweislich ausreichend körperlich wehrt. Dabei sollte auch ein Weinen oder ein klares Nein vom Opfer ausreichen. Es war wichtig, das entsprechend zu ändern.
Ein Problem ist allerdings, dass die Reform nun eine sexuelle Straftat mit dem Aufenthaltsstatus einer Person verknüpft. Das ist im Zuge der Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln passiert. Viele Feministinnen finden das schwierig, da das Ausländerrecht nicht der richtige Ort ist, um sexuelle Gewalt zu sanktionieren. Es handelt sich hier ja um ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Wie bewerten Sie die Diskussion um die Reform?
Sie ist mitunter sehr faktenfremd geführt worden. Es wurde in der Diskussion zum Beispiel kaum berücksichtigt, dass Opfer oft in eine Schockstarre verfallen und sich deshalb gar nicht wehren können. In der Gesellschaft gibt es aber den weit verbreiteten Gedanken, dass ein Opfer selbst schuld ist, wenn es sich nicht wehrt. Das blendet die Realität zum Beispiel von Vergewaltigungen komplett aus.
Welche Art von Diskussion würden Sie sich wünschen?
Viele denken, dass Männer mit der Reform unter Generalverdacht stehen. Dabei geht es einfach darum, dass Sexualstraftaten angezeigt und auch verurteilt werden. Die Verurteilungsrate ist immer noch sehr gering, und es gibt eine hohe Dunkelziffer. Sexuelle Übergriffe passieren jeden Tag. Trotzdem wird das Problem noch viel zu wenig thematisiert.